| # taz.de -- Debatte G-7-Treffen: Lieblingsfeinde der Linken | |
| > Gehört der G-7-Gipfel abgeschafft? Nein. Linke Kritiker übersehen gerne, | |
| > dass es auch Gutes in all dem Kritikwürdigen gibt. | |
| Bild: G7 setzt viel Protestpotenzial frei, dabei ist es nur noch ein Treffen un… | |
| Angela Merkel bewirtet bald sechs Regierungschefs auf Schloss Elmau, | |
| romantische Alpenkulisse inklusive, und die Aufregung im linken Lager ist | |
| wie immer groß. Attac zürnt, die sieben mächtigsten Industriestaaten | |
| sicherten ihre „ökonomische, politische und militärische Vormachtstellung | |
| in der Welt“. Die Linkspartei wettert, die Staatschefs maßten sich an, als | |
| Weltregierung zu beraten. Kritiker im Netz zerpflücken Inhalte, bevor der | |
| Gipfel überhaupt begonnen hat. | |
| Ja, es stimmt: Vieles an diesem Politspektakel ist verrückt. Die immensen | |
| Kosten von 360 Millionen Euro sind durch nichts zu rechtfertigen. Auf die | |
| Idee, ein solches Megaevent in Naturschutzgebieten zu planen, muss man erst | |
| mal kommen. Und die Bürger werden ausgeschlossen, kaum ein Demonstrant wird | |
| wegen des Sicherheitswahns der Behörden einen Blick aufs Schloss erhaschen. | |
| Aber wahr ist auch, dass die linke Kritik in wichtigen Punkten an der Sache | |
| vorbeigeht. | |
| Die Staatschefs der sieben Mitgliedsstaaten machen schon lange keine | |
| „Weltpolitik“ im Wortsinne mehr. Das war vielleicht in den 1970er Jahren | |
| einmal der Fall. Damals bestimmte die von Helmut Schmidt und Valéry Giscard | |
| d’Estaing mitgegründete Runde tatsächlich die Linie der wichtigsten | |
| Industriestaaten der westlichen Welt. | |
| Sie besaß echte Macht, auch deswegen, weil das weltpolitische Setting | |
| einfacher war als heute: hier der Westen, da der Ostblock, dort | |
| wirtschaftlich schwache, also irrelevante Kontinente wie Afrika oder | |
| Südamerika. Als stärkste Volkswirtschaften des Westens waren die G 7 per se | |
| Ton angebend, oft zum Nachteil der weniger privilegierten Staaten. | |
| ## Ein Anachronismus | |
| Aber der G-7-Gipfel hat dramatisch an Bedeutung verloren. Er ist heute nur | |
| noch ein Gipfel unter vielen. Die G 20 repräsentieren nicht nur zwei | |
| Drittel der Weltbevölkerung, sie binden auch die in Zukunft maßgeblichen | |
| Volkswirtschaften ein – China, Indien und Brasilien. Es gibt den | |
| Eurasien-Gipfel, es gibt Gipfel afrikanischer Staaten mit der EU oder den | |
| USA, und es gibt das Treffen der Brics-Staaten, das führende | |
| Schwellenländer wie Russland, Brasilien oder Südafrika eint. Wenn man so | |
| will, hat der Lauf der Zeit den G-7-Gipfel überholt. Er ist ein | |
| Anachronismus, dem die Linke heute mehr Macht zuschreibt, als er | |
| tatsächlich besitzt. | |
| Sollte man ihn deshalb einstampfen, wie es Kritiker fordern? Diese Sicht | |
| ignoriert, dass es auch Gutes in all dem Kritikwürdigen gibt. Die Kanzlerin | |
| sieht die G 7 als „Wertegemeinschaft“, die sich für das selbstbestimmte | |
| Leben aller Menschen einsetze. Dieses Lob mag ein bisschen zynisch klingen | |
| angesichts vieler Entscheidungen zu Lasten schwächerer Länder. Doch Merkels | |
| Sätze haben einen wahren Kern. Die USA, Großbritannien, Frankreich, | |
| Deutschland, Japan, Kanada und Italien teilen Überzeugungen, die es zu | |
| verteidigen gilt. Menschenrechte, freie Wahlen, Religionsfreiheit, eine | |
| freie Presse. Solche Werte brauchen eine Lobby, auch und gerade in einer | |
| Welt, in der sich die Kräfteverhältnisse verschieben. | |
| ## Nötige Stimmen im Konzert | |
| Linke Kritiker müssen sich deshalb sehr realpolitische Fragen gefallen | |
| lassen: Nutzt es ihrem Anliegen wirklich, wenn sich ausgerechnet wichtige | |
| Demokratien aus dem weltpolitischen Spiel nehmen? Und wer würde davon | |
| profitieren? | |
| Autokratische Staaten wie China nähmen den Ausfall der G 7 sicher erfreut | |
| zu Kenntnis. Aber die Vorstellung, dass sich China, Russland oder | |
| Saudi-Arabien bei G-20-Treffen plötzlich für Menschenrechte einsetzen, ist | |
| weltfremd. Ebenso unrealistisch ist die Idee einer friedliebenden und | |
| demokratischen Weltregierung. Die UNO-Generalversammlung wird leider nicht | |
| in absehbarer Zeit zu allen relevanten Themen der Menschheit mehrheitlich | |
| entscheiden. Anders gesagt: Die G 7 gehören zu den Guten, jedenfalls dann, | |
| wenn man den weltweiten Maßstab anlegt. Einen Zaun in der Landschaft als | |
| böse Repression der Staatsmacht zu sehen ist ein Luxus, den sich Demokraten | |
| in anderen Ländern wünschen würden. | |
| Grundsätzlich ist es ein traurige Tatsache, dass das Primat des Politischen | |
| in vielen Bereichen nicht mehr gilt. Die Finanzmarktindustrie macht immer | |
| noch, was sie will, und global aufgestellte Konzernkonglomerate betreiben | |
| wirksamer Politik als jede Staatsregierung. Multinational besetzte Treffen | |
| von Volksvertretern sind nötiger denn je, weil sie ebenjenes Primat | |
| verteidigen, wenn sie die richtigen Themen verfolgen. | |
| Beliebt ist auch der Vorwurf, die G-7-Staatschefs benähmen sich wie | |
| feudalistische Weltherrscher. Warum eigentlich? Weil sie – Skandal! – | |
| miteinander reden? Eine Politik, die sich aus Kostengründen über | |
| Telefonschalten verständigt und aufs Gespräch verzichtet, kann niemand | |
| wollen. Vertrauen entsteht im persönlichen Gespräch, das ist bei | |
| Spitzenpolitikern nicht anders als bei normalen Menschen. Und die | |
| Behauptung, da bestimmten sieben Möchtegern-Autokraten die Geschicke der | |
| Welt, ist einfach zu platt. Es mag einem gefallen oder nicht, aber Merkel | |
| ist demokratisch gewählt. Sie vertritt eine Linie, die viele Deutsche für | |
| richtig halten. Es ist notwendig, ihre markt- und wirtschaftsorientierte | |
| Linie zu kritisieren. Aber der Gipfel, ein reines Gesprächsformat, kann | |
| nichts dafür. | |
| Angenommen, ein anderer deutscher Kanzler lüde nach Oberbayern ein. Einer, | |
| der nicht bereit ist, Grundrechte der Bürger beim Datenschutz preiszugeben, | |
| nur weil deutsche und amerikanische Geheimdienste kooperieren. Einer, der | |
| in der EU nicht auf fatale Sparprogramme setzt, sondern auf Solidarität. | |
| Ein solcher Kanzler würde mit Barack Obama und François Hollande anders | |
| verhandeln als Merkel. Politik wird von Menschen gemacht. Den Gipfel zu | |
| diskreditieren, weil man einzelne Teilnehmer meint, wirft die Dinge | |
| durcheinander. | |
| ## Sehr nützlicher Druck | |
| Ein solches Ereignis erzeugt sogar Druck, der nützlich ist. Der G-7-Gipfel | |
| schafft Öffentlichkeit: für Themen, für Proteste, für Streit – kurz: für | |
| Politik. Dies ist nicht zu unterschätzen in einer Zeit, in der viele | |
| Menschen Politikern geheime und böse Absichten unterstellen. Natürlich ist | |
| nicht zu erwarten, dass Merkel Obama in der Geheimdienstaffäre ernsthaft | |
| mit Konsequenzen droht. Aber sie wird sich dafür vor der Öffentlichkeit | |
| rechtfertigen müssen, weil Journalisten hinterher Fragen stellen werden. | |
| Es wird bei diesem G-7-Gipfel um den Schutz der Weltmeere, um | |
| Seuchenbekämpfung, Antibiotikaresistenzen und um Frauenrechte gehen. Alles | |
| Themen, denen man Wichtigkeit nicht absprechen kann. Wenn die Staatschefs | |
| wider Erwarten relevante Schritte beschließen und diese zu Hause | |
| durchsetzen, ist das wunderbar. Wenn nicht, müssen sie sich dafür | |
| kritisieren lassen. Sollen die G-7-Staatschefs also ruhig weiter tagen und | |
| sich das nächste Mal – so ein Vorschlag auf Twitter – doch bitte im | |
| Berliner Kanzleramt treffen. Funktioniert auch, ist aber billiger. | |
| 2 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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