# taz.de -- Arbeitskampf im Krankenhaus: Streik um Streik | |
> An der Charité beginnt ein unbefristeter Streik – die Klinikleitung | |
> versucht ihn gerichtlich zu verhindern. Etwa tausend OPs werden abgesagt. | |
Bild: An der Charité läuft in den nächsten Tagen wenig. | |
Nun also doch: Mit der Frühschicht am heutigen Montag beginnt der Streik an | |
der Charité. Krankenschwestern, Pfleger und weitere Beschäftigte treten in | |
den Ausstand – unbefristet. Wegen des Streiks sollen allein in der ersten | |
Woche etwa 1000 geplante Operationen abgesagt werden, lebensnotwendige | |
Operationen finden aber statt. Mehr als 20 Stationen der Klinik sollen | |
geschlossen werden. Die streikenden Krankenhausmitarbeiter streiken nicht | |
für ein höheres Gehalt, sondern für bessere Arbeitsbedingungen. | |
Bis zum letzten Moment versucht die Leitung der Charité, den Streik | |
gerichtlich zu verbieten. Am Freitag scheiterte eine einstweilige Verfügung | |
beim Arbeitsgericht. Die Charité argumentierte, dass die | |
Personalausstattung tariflich geregelt sei und der Streik deshalb gegen die | |
Friedenspflicht verstoße. Außerdem sei durch die Schließung vieler | |
Stationen die Versorgung der Patienten gefährdet. Das Gericht lehnte es | |
jedoch sowohl ab, den Streik ganz zu verbieten, als auch den Streik auf | |
weniger Stationen zu beschränken. Es verwies auf den Notfallplan, der die | |
Notversorgung der Patienten sicherstellt. | |
## Ein Pfleger auf zehn Patienten | |
„Nicht der Streik, sondern der Alltag gefährdet das Wohl der Patienten“, | |
meint Stephan Gummert. Der 44-jährige ist Pfleger auf der kardiologischen | |
Station im Virchow-Klinikum, das zur Charité gehört. Gummert erzählt, dass | |
er im Monat durchschnittlich auf 25 Überstunden, also etwa drei Arbeitstage | |
komme. Auf seiner Station käme häufig nur ein Pfleger auf zehn Patienten. | |
Gummert und seine Kollegen wollen durch den Streik ein Betreuungsverhältnis | |
von sieben zu eins erreichen. | |
Seit 1998 arbeitet Gunnert auf der Station, seit dem hätten sich die | |
Arbeitsbedingungen „hanebüchen verschlechtert.“ Auf der Station mit 31 | |
Betten seien sie tagsüber zu dritt, am Wochenende und nachts nur zwei | |
Pfleger. „Gerade die jungen Kollegen hatten jahrelang Angst vor der | |
Nachtschicht“, so Gummert. Am gestrigen Sonntag ist er damit beschäftigt, | |
die Räumung seiner Station vorzubereiten. Er und seine Kollegen werden ab | |
Montag streiken. Am frühen Morgen sollen die letzten Patienten auf andere | |
Stationen verteilt und die Station geschlossen werden. | |
## Kämpferischer Kalle Kunkel | |
Trotzdem ist unklar, ob der Streik wie geplant und in vollem Umfang | |
stattfinden wird. Nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts am Freitag legt | |
die Leitung der Charité nun Berufung vor dem Landesarbeitsgericht ein. Wann | |
über die Berufung entscheiden wird, ist noch unklar. Die Charité wollte | |
sich auf Anfrage der taz erst im Laufe des heutigen Montags zu ihrem | |
weiteren Vorgehen äußern. Da die Berufung jedoch keine aufschiebende | |
Wirkung hat, könnte der Streik erst im Nachhinein eingeschränkt werden. | |
„Die Charité sollte besser mit den politisch Verantwortlichen sprechen, | |
statt den Streik zu torpedieren“, sagte Kalle Kunkel, der als | |
Gewerkschaftssekretär von verdi für den Streik zuständig ist, und nahm | |
damit auch die Berliner Politik in die Verantwortung. Im Aufsichtsrat der | |
Charité sitzen sowohl die Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres als auch | |
Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen. | |
Kunkel ist zuversichtlich, dass trotz der sehr kurzfristigen Entscheidung | |
des Gerichts viele Pfleger in den Streik treten werden. „Die Kollegen sind | |
jetzt noch wütender“, so Kunkel. Weil der Notfallplan eingehalten werden | |
muss, könnten gar nicht alle streiken, die wollten. Den Versuch der | |
Charité, den Streik gerichtlich zu verhindern, da sonst das Wohl der | |
Patienten gefährdet sei, kritisierte Kunkel: „Jahrelang hat man die Notrufe | |
der Pfleger ignoriert.“ | |
Für Dienstag planen Gewerkschaft und Streikende eine Kundgebung vor dem | |
Brandenburger Tor. | |
21 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
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