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# taz.de -- Debatte Wirtschaftsordnung: Den Markt gibt es nicht
> Deutsche-Bank-Chef Anshu Jain und GDL-Boss Claus Weselsky verwenden
> denselben Trick: Sie reden von „Wettbewerb“, weil es ihnen nützt.
Bild: Manche Märkte funktionieren, andere nicht.
Wir leben angeblich in einer „sozialen Marktwirtschaft“, doch das stimmt
nicht. Echte Märkte sind selten und würden meist nicht funktionieren. Der
„Markt“ ist ein ideologisches Konstrukt, das Interessen verschleiern soll.
In der vergangenen Woche waren wieder zwei Marktfans zu erleben. Der
[1][Ko-Chef der Deutschen Bank, Anshu Jain], glaubt irrtümlich, er würde
auf „Finanzmärkten“ operieren, was dann Millionenboni für die
„Leistungsträger“ im Investmentbanking rechtfertigen soll. Der Vorsitzende
der Lokführergewerkschaft GDL, [2][Claus Weselsky], ist wiederum der
Meinung, dass gnadenlose Konkurrenz zwischen Gewerkschaften eine brillante
Idee sei. Beide folgen dem Motto: Markt ist, was ich zum Markt erkläre.
Dieser Trick funktioniert nur, weil die Konzepte von „Markt“ und
„Wettbewerb“ fast nie hinterfragt werden. Daher scheint ein kleiner Exkurs
angebracht, der zunächst von Jain und Weselsky wegführt.
Die empirische Sozialforschung hat längst gezeigt, wie ineffizient es sein
kann, in Marktkategorien zu denken. Ein berühmtes Beispiel nennt der
Schweizer Ökonom Bruno Frey: In England gab es fürs Blutspenden lange kein
Geld – doch dann wurden die Spender entlohnt. Man hoffte, dass noch mehr
Menschen ihr Blut zur Verfügung stellen würden. Aber das Gegenteil geschah.
Viele Spender zogen sich zurück, denn sie wollten Gutes tun, nicht ihr Blut
verkaufen. Es erwies sich als kontraproduktiv, die Blutspende mit einem
Preis zu versehen und einen „Markt“ zu simulieren.
## Vollkommene Konkurrenz als Voraussetzung
Es ist zwar modisch, Menschen als „Marktteilnehmer“ zu titulieren, aber wie
der amerikanische Anthropologe Alan Fiske herausgefunden hat, ist der
„Markt“ nur eine von vier Formen, die das ökonomische Zusammenleben präge…
Die anderen drei Varianten sind das Teilen, das Tauschen von gegenseitigen
Gefälligkeiten – und die hierarchische Dominanz.
Der Bereich des Marktes ist also klein, und selbst wenn Märkte existieren,
sind sie keine echte „Marktwirtschaft“. Dieses Konzept setzt nämlich
voraus, dass vollkommene Konkurrenz herrscht. Es soll viele Anbieter und
viele Nachfrager geben, sodass durch den perfekten Wettbewerb ein fairer
Preis entsteht.
Doch von diesem idealisierten Wettbewerb ist in der Realität nichts zu
sehen. Stattdessen ist die bundesdeutsche Wirtschaft extrem konzentriert,
wie an einer trockenen Zahl zu erkennen ist, die sich im Statistischen
Jahrbuch findet: „Weniger als 1 Prozent der Unternehmen erwirtschafteten
2011 gut 66 Prozent aller Umsätze.“
## Kapitalismus ja, Markt nein
Die Wirtschaft wird von wenigen Konzernen dominiert, die von den Rohstoffen
bis zum Absatz die gesamte Wertschöpfungskette kontrollieren. Wir leben
nicht in einer Marktwirtschaft, sondern im Kapitalismus, der als Oligopol
organisiert ist. Dies ist keine deutsche Besonderheit, sondern in allen
Industrieländern vorzufinden. Und da wenige Konzerne so mächtig sind, muss
es einen starken Staat geben, der als Kontrollinstanz fungiert – was mit
„Markt“ ebenfalls nichts zu tun hat.
Doch obwohl die Marktwirtschaft eine Fiktion ist, vermehren sich die
vermeintlichen „Märkte“ inflationär. In der landläufigen Vorstellung gibt
es Gesundheitsmärkte, Transportmärkte, Energiemärkte, Bildungsmärkte,
Wohnungsmärkte – und eben auch Finanz- und Arbeitsmärkte.
Um zunächst beim „Finanzmarkt“ zu bleiben, auf dem sich Jain zu Hause
fühlt: Die Welt des Geldes kann niemals ein Markt sein. Die Theorie der
„Marktwirtschaft“ fordert, wie schon dargestellt, dass sich der Preis durch
den Wettbewerb ergibt. Der Preis für Kredite und Spareinlagen ist
bekanntlich der Zins. Doch der Zins wird weitgehend vorgegeben – von der
Europäischen Zentralbank.
Die Rolle der Zentralbanken ist kein Zufall, sondern zwingend: Jede
einzelne Bank denkt nur betriebswirtschaftlich, daher kann man ihr nicht
die volkswirtschaftliche Aufgabe überlassen, die Geldmenge zu bestimmen.
Daraus folgt aber: Zwischen Banken kann es keinen echten Wettbewerb geben,
wenn der Zins letztlich schon feststeht. Daher ist es nur konsequent, dass
der deutsche Bankensektor von öffentlichen Sparkassen und
Genossenschaftsbanken dominiert wird.
Die Investmentabteilung der Deutschen Bank hingegen ist weitgehend
überflüssig, hat mit Markt nichts zu tun und ist als „Zockerbude“ richtig
beschrieben. Die Spekulation mit Derivaten dient nur dazu, einige
Investmentbanker zu bereichern – während die Allgemeinheit die Kosten
tragen darf.
## Lokführer wissen, wie es geht
Genauso bizarr ist der „Arbeitsmarkt“, auf dem sich Weselsky bewegt. Auch
dort herrscht kein Wettbewerb, sondern Gewerkschaften sind Kartelle. Auf
der Homepage der GDL ist dies schön nachzulesen: „97 Prozent aller 27.000
Lokomotivführer in Deutschland erhalten mittlerweile faire Löhne. Die GDL
hat mit ihren standhaften Mitgliedern dafür gesorgt, dass Lohndumping in
Eisenbahnverkehrsunternehmen fast überall der Vergangenheit angehört. Mit
ihrem Flächentarifvertrag hat sie ein einheitliches, leistungsgerechtes
Lohngefüge, vernünftige Qualifizierungsstandards und Arbeitszeitregeln
erreicht.“
Übersetzt: Die GDL hat verhindert, dass die unterschiedlichen
Bahngesellschaften die Lokführer gegeneinander ausspielen können, indem
überall der gleiche Lohn gilt. Bravo!
Bleibt nur ein Widerspruch: Wenn die Lokführer überall das Gleiche
verdienen sollen, dann ist es seltsam, dass Weselsky genau diese Regel bei
den Zugbegleitern der Deutschen Bahn aushebeln will. Sie sollen
unterschiedliche Gehälter erhalten – je nachdem, ob sie bei der GDL oder
bei der EVG organisiert sind. Diese betriebsinterne Gewerkschaftskonkurrenz
ist Weselsky so wichtig, dass er dafür schon neun Streiks angezettelt und
einen Millionenschaden angerichtet hat.
Es mag ja sein, dass die Kommunikation zwischen GDL und EVG nicht immer
glückt, dass Eitelkeiten, Machtstreben und Verletzungen hinderlich sind.
Trotzdem müssen Gewerkschaften kooperieren. Es ist verantwortungslos von
Weselsky, „Wettbewerb“ zu verlangen, wo kein Wettbewerb sein kann.
27 May 2015
## LINKS
[1] /Kommentar-Deutsche-Bank-Chef-Jain/!5200353/
[2] /GDL-Chef-und-der-Bahnstreik/!5029372/
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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