# taz.de -- Ökonom über Russland vor der Rezession: „Die Krise ist unser in… | |
> Die aktuell drohende Rezession ist hausgemacht, meint der | |
> Wirtschaftsexperte Sergej Drobyschewski. Sie werde den Lebensstandard für | |
> viele im Land deutlich senken. | |
Bild: Die Rentner wird die schlechte ökonomische Lage Russlands zuerst treffen… | |
taz: Der rasante Fall des Rubelkurses schockiert seit zwei Wochen die Welt. | |
Was hat diese Krise verursacht? | |
Sergej Drobyschewski: Falls man unter einer Krise bloß einen momentanen | |
Schock versteht, dann verdient die heutige in Russland diesen Namen nicht. | |
Sie ist auch nicht primär eine Währungskrise, sondern eine allmähliche | |
Rezession. Das Wachstum des Bruttosozialprodukts verlangsamte sich schon | |
vor zwei Jahren sehr merklich. Die fallenden Ölpreise haben zusammen mit | |
gewissen geopolitischen Faktoren jetzt diesen Prozess beschleunigt. | |
„Geopolitische Faktoren“ nennen Sie die Sanktionen der EU und der USA? | |
Ja, aber der Konflikt zwischen Russland, der EU und den USA ist die | |
geringste Ursache. Da sich das russische Wirtschaftswachstum bereits zwei | |
Jahre abgeschwächt hatte, war die Nachfrage nach Kapitalinvestitionen, | |
Ausrüstungen für die Produktion und Maschinen eh schon gefallen. Wären | |
natürlich solche Sanktionen auf eine Wirtschaft in der Wachstumsphase | |
getroffen, hätten sie ihr sehr geschadet. | |
Die Sanktionen haben also ihr Ziel verfehlt? | |
Sie haben schon zu einer gewissen Atmosphäre der Unsicherheit beigetragen. | |
Aber auf unsere konkrete Wirtschaftsdynamik wirkten sie sich minimal aus. | |
Es gab ein allmähliches Abrutschen in eine Stagflation … | |
… also in eine Inflation mit gleichzeitig steigender Arbeitslosigkeit und | |
stagnierendem Wirtschaftswachstum. | |
Der Lebensstandard in Russland wird in den kommenden beiden Jahren sehr | |
einschneidend sinken. So gesehen ist diese Krise die ernsteste seit Beginn | |
der 90er Jahre. | |
Waren beim Rubelkurs Spekulanten im Spiel? Es geht das Gerücht, die | |
Zentralbank habe unmittelbar vor dem Währungsabsturz russischen Exporteuren | |
gigantische Kredite gewährt. | |
Spekulationen waren keine Ursache der Krise, sondern ihre Folge. Ein wenig | |
hat sich die Zentralbank mit ihren Maßnahmen zur Rettung des Rubels | |
verspätet, wie zum Beispiel mit der Erhöhung des Leitzinses. Die | |
Zentralbank ist verpflichtet, solche Kredite möglichst zu gewähren – zum | |
geltenden Leitzins. Und solange der noch so niedrig war, begünstigte das | |
eben Spekulationen. Das hat sich auf den Rubelkurs ausgewirkt. | |
Wer in Russland leidet am meisten unter der Krise? | |
Zuerst werden es wegen der Inflation die Empfänger staatlicher Leistungen | |
wie Renten sein. Danach kommt die sogenannte Mittelklasse. Der inzwischen | |
starke Dienstleistungssektor in den russischen Großstädten wird unter den | |
sinkenden Realeinkommen leiden. | |
Bei der Systemwende um 1990 überlebten viele BürgerInnen Russlands nur dank | |
ihrer Datschengrundstücke … | |
Das war eine ganz andere Situation. Damals herrschte ein gewaltiger | |
Warenmangel. Heute haben wir eine große Warenmenge, und zwar bei einer | |
schon weitgehenden Marktwirtschaft. Bei sinkender Nachfrage werden auch die | |
Preise wieder sinken. | |
Die russischen Devisenreserven sind seit dem 13. Dezember um 15,7 | |
Milliarden Dollar gesunken, erstmals seit Jahren unter die | |
400-Milliarden-Dollar-Grenze. Kann Russland seinen Verpflichtungen im | |
Ausland damit nachkommen? | |
Russlands Deviseneinnahmen aus dem Erdölsektor sind ja nicht ganz versiegt, | |
zusammen reicht dies mindestens noch anderthalb Jahre zur Schuldentilgung. | |
Sehr viele Arbeitskräfte aus den GUS-Staaten verdienen in Russland und | |
schicken Geld nach Hause. | |
Diese Überweisungen haben sich auch schon seit dem Jahr 2013 verringert. | |
Die eng an Russland orientierten Gesamtwirtschaften jener Länder werden | |
natürlich von der Krise bei uns behindert. Aber mit den sinkenden | |
Rubelkursen werden sich auch die bei uns produzierten Waren verbilligen und | |
dort besser verkaufen. | |
Wirkt sich die Krise Russlands auf die Weltwirtschaft aus? | |
Ich glaube nicht, dass die Situation in Russland im globalen Maßstab ernste | |
ökonomische Folgen nach sich ziehen wird. In gewisser Weise ist das unser | |
langwieriges internes Problem, mit dem wir fertig werden müssen. | |
30 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Barbara Kerneck | |
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