# taz.de -- Politologe über Russland und China: „Moskau nutzt seine einzige … | |
> Der Politologe Sebastian Heilmann erklärt die Hinwendung Russlands zu | |
> China – und was das für den Rest der Welt bedeutet. | |
Bild: Neue Freundschaft: die Premierminister von Russland und China, Dimitri Me… | |
taz: Kritiker der europäischen Russlandpolitik warnen, Moskau werde in die | |
Arme Pekings getrieben. Zu Recht? | |
Sebastian Heilmann: Das kann man so nicht sagen. Russland nutzt die einzige | |
Chance, die es zurzeit hat, seine Isolation zu durchbrechen: Es legt mit | |
China, dem großen Partner im Osten, viele gemeinsame Programme auf und | |
kooperiert auch in internationalen Organisationen stärker mit den Chinesen. | |
Ist das eine Folge der europäischen Sanktionen? | |
Nicht nur. Die Russen sind wirtschaftlich in einer Notsituation – und die | |
Chinesen haben die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen. | |
Ist es denn aus europäischer Sicht ein Problem, wenn beide sich gut | |
verstehen? | |
Problematisch würde es dann, wenn sich beide – etwa in internationalen | |
Organisationen – bei allen Vorstößen der Europäer querstellen und | |
miteinander verbünden. | |
Ist China Nutznießer des Ukrainekonflikts? | |
Bislang sieht es so aus, als hätte China durch den Konflikt große | |
Spielräume gewonnen. Peking hat – etwa in der UNO – mit Russland einen | |
Verbündeten bekommen, der auf China angewiesen ist. Was jetzt neu ist: In | |
allen internationalen Streitigkeiten, beispielsweise mit den USA, stimmen | |
sich China und Russland ganz eng ab. Bislang war das nur bei bestimmten | |
Themen so – etwa in Bezug auf Syrien oder den Iran. | |
Bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über die russische Annexion der | |
Krim hat sich China aber enthalten. | |
Ja, aus chinesischer Sicht gehört es zu den Grundprinzipien, dass | |
territoriale Grenzen nicht verschoben werden. Doch insgesamt unterstützt | |
Peking ganz klar die russischen Positionen. | |
Ändert sich wirtschaftlich etwas zwischen beiden Ländern? | |
Auf den ersten Blick ist das eine perfekte Partnerschaft: China kann | |
Konsumgüter liefern, die Russland nicht hat, und Russland liefert Energie | |
und Rohstoffe. Allerdings sind dafür gigantische Investitionen notwendig – | |
also Pipelines für Öl und Gas, Straßen und Bahnlinien, um all das zu | |
transportieren, was sich jetzt anbahnt. Darum gab es lange Streit, erst | |
jetzt kam der Durchbruch. Man plant gemeinsame Investitionen, die vorher | |
undenkbar waren. Der russischen Seite fällt es natürlich nicht so leicht, | |
50 Milliarden Dollar für eine neue Pipeline aufzubringen. Da kann China | |
einspringen. Russland bekommt dadurch einen neuen Markt, und China | |
profitiert jetzt auch noch davon, dass die Preise verfallen. | |
Für Russland ist China also eine gute Alternative zu Europa? | |
Man kann Moskaus Abwendung von Europa auch als Unabhängigkeitserklärung | |
sehen: Wir haben hier andere Möglichkeiten, und die sind stark, mindestens | |
so stark wie Europa. | |
Hierzulande sind die Geschäfte voller Waren aus China. Ist das auch in | |
Russland so? | |
Das nimmt jetzt zu. Russland hat außerdem viele Bereiche geöffnet, die | |
bisher nicht zugänglich waren, das lukrative Kreditkartenbusiness zum | |
Beispiel. Visa- und Master-Card sind in Russland jetzt unter Beschuss, und | |
die chinesische Union-Pay ist nun voll in den Markt reingegangen. Oder beim | |
Aufbau von Telekommunikationsinfrastruktur: Da hat China Firmen, die die | |
sehr schnell hinstellen können. | |
Ein ungleiches Verhältnis! | |
Ja. Solange China stabil bleibt, ist zu erwarten, dass es innerhalb der | |
nächsten zehn Jahre zum eindeutig dominierenden Partner wird. Da wird es | |
auch Konflikte geben. Ostsibirien beispielsweise ist dünn besiedelt. China | |
übt schon jetzt enormen Druck auf die Grenzregion aus. Was passiert, wenn | |
Russland instabil wird oder gar zerbricht? Darüber denkt man in China nach. | |
Und das andere Konfliktfeld ist Zentralasien, wo China gegenwärtig seine | |
Präsenz massiv ausbaut – ein Schneise durch den russischen Vorhof schlägt. | |
Was tut China denn dort? | |
China will einen gewaltigen Logistik- und Handelskorridor durch | |
Zentralasien legen, mit unglaublichen Investitionen von 50 bis 100 | |
Milliarden Dollar. Im Grunde geht es um die Verbindung von Zentralasien | |
über Südasien bis nach Europa. Das steht nicht nur auf dem Papier, | |
Eisenbahn und Straßenverbindungen sind schon im Bau. Das Ganze bekommt | |
jetzt einen Riesenschub. | |
Wie reagiert Russland? | |
Die diplomatischen Verbindungen nach Moskau sind traditionell eng, aber die | |
zentralasiatischen Staaten sind äußerst empfänglich für diese chinesischen | |
Avancen. Wenn man dort hinkommt und sagt, wir bauen euch eine komplette | |
Infrastruktur für 30 Milliarden Dollar, ist das für Länder, die am Rande | |
der wirtschaftlichen Funktionsfähigkeit stehen, unwiderstehlich. | |
Gibt es andere Beispiele der Kooperation zwischen Peking und Moskau? | |
China baut derzeit zu vielen internationalen Organisationen, die westlich | |
dominiert sind, Parallelstrukturen auf. Es macht dies gemeinsam mit | |
Russland. Dazu gehört etwa die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, | |
wo man unter anderem gemeinsame Strategien gegen den islamischen | |
Terrorismus entwickeln will, oder die Cica, eine Organisation für | |
vertrauensbildende Maßnahmen im asiatischen Raum. | |
Auch militärisch arbeiten beide ja eng zusammen: 2015 ist sogar ein | |
gemeinsames Marinemanöver im Mittelmeer geplant. | |
Das ist neu für China und vor allem eine Machtdemonstration. Damit zeigt | |
Peking dem Westen: Wir sind in eurem Vorhof präsent. Wir können global | |
agieren, und ihr seid nicht mehr diejenigen, die das als | |
Alleinstellungsmerkmal haben. Das ist ein Bruch und letztlich ein Ende | |
dieser ganzen Vorstellungen, die wir in der Nach-Kalter-Kriegs-Zeit hatten, | |
dass wir im Westen die Regeln machen und die Weltmeere beherrschen. | |
Ist das ein Grund zur Sorge? | |
Das kann zu Konflikten, aber auch zu mehr Sicherheit führen. Aus deutscher | |
Sicht ist es ja immer gut, wenn die Handelswege sicher und offen gehalten | |
werden. Da haben China und die USA bisher gemeinsame Interessen. | |
Wo kaufen die Chinesen ihre Waffen? | |
Auch da hat sich einiges verändert: Russland hatte sich ja lange geweigert, | |
bestimmte Steuerungssysteme und bestimmte Komponenten für die neuesten | |
Flugzeuggenerationen an China auszuliefern und die Software dafür | |
offenzulegen. Das ist jetzt aber erheblich geöffnet worden. China hat jetzt | |
auch in dem Bereich einen großen Sprung zu erwarten. Chinas Fernsehen | |
berichtete kürzlich über ein besonderes Radarsystem zur Ortung für | |
Gegenmaßnahmen bei Raketenangriffen. Das hat Russland ausgeliefert. | |
So etwas war früher tabu? | |
Ja, so was wollte Russland nicht liefern. Da haben sich die Russen jüngst | |
sehr geöffnet. Auch in der Raumfahrt gibt es jetzt konkrete Kooperationen. | |
Den USA bereitet das natürlich Sorge: Man befürchtet, China könnte im | |
Konfliktfall die gesamte satellitengestützte Kommunikation der Amerikaner | |
ausschalten. Das sind so die neuen Kampfgebiete. Auch in der Raumfahrt ist | |
die Kooperation für Peking sehr wertvoll, da diese immer auch eine | |
militärische Komponente hat. Das sind Bereiche, die man nicht unbedingt | |
sieht, aber für China sind es ganz wichtige Betätigungsfelder. | |
Haben die Russen jetzt auch besseren Zugang in China? | |
Die Russen haben sich sehr geärgert, dass ihre wichtige und riesige | |
Software-Sicherheitsfirma Kapersky in China auf der Liste derjenigen | |
Unternehmen steht, die nicht im öffentlichen Bereich eingesetzt werden | |
dürfen. Sie werden damit aus chinesischer Sicht genauso als | |
Sicherheitsrisiko eingestuft wie die amerikanischen Cisco-Systems, Google | |
und andere. Die Russen hatten schon gedacht, China sei jetzt ihr Markt. | |
Aber das wollen die Chinesen nicht. | |
Unter Mao studierten ja die Kinder von Chinas Parteielite in Russland. Ist | |
das heute noch so? | |
Kaum. Die Kinder chinesischer Führungskader sind in England und den USA, | |
manchmal auch in Deutschland, aber die meisten sind anglophon, gehen etwa | |
auch nach Australien oder Kanada. Umgekehrt ist mir auch nicht bekannt, | |
dass die Zahl russischer China-Spezialisten zugenommen hätte. Es gibt in | |
Moskau nur ein paar Dutzend Leute, die China kompetent betreuen können. | |
Wieweit hat sich die Welt denn durch die engere Zusammenarbeit zwischen | |
Peking und Moskau inzwischen verändert? | |
Wir müssen uns klar werden, dass die Zeit der westlichen Dominanz in | |
internationalen Institutionen jetzt wirklich vorbei ist. Aus chinesischer | |
Sicht gibt es gute Gründe, alternative Organisationsformen zu entwickeln, | |
weil die Chinesen in den traditionellen Institutionen – wie etwa dem | |
Internationalen Währungsfonds – nicht das Gewicht bekommen, das ihnen | |
zusteht. Das bedeutet aber auch, dass der Westen die Kontrolle über die | |
Regelsetzung in diesen internationalen Institutionen auf Dauer wird teilen | |
müssen. | |
Verstehen die Europäer das? | |
Das ist in den Köpfen der meisten Leute hier überhaupt noch nicht drin. Man | |
muss auf neue Kräfte wie China Rücksicht nehmen. Man hatte sie eingeladen, | |
mitzumachen und sich anzuschließen – aber nicht mitzureden. Doch diese Zeit | |
ist vorbei. Die Europäer sind an dieser Stelle allerdings weiter als die | |
Amerikaner. | |
29 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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