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# taz.de -- Russlands Beziehung zu China: Große Träume, altes Misstrauen
> Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine versuchen beide Länder verstärkt
> voneinander zu profitieren. Ihr Erfolg dabei ist mäßig.
Bild: Russlands Außenminister und Chinas Präsident beim Schwätzchen in Beiji…
PEKING/MOSKAU taz | Noch vor Kurzem hatte Zhang Li ein russisches
Ladenschild über ihren kleinen Laden in der Yabao-Straße hängen. Die
48-Jährige verkauft Pelzmäntel, Seide und andere Textilien. Inzwischen hat
sie das Schild abgehängt. „Der Handel lohnt sich nicht mehr“, sagt Zhang.
Die Kundschaft bleibe aus. „Wegen des Verfalls des Rubels ist vielen Peking
zu teuer geworden.“
Viele Jahre lang war die Yabao-Straße bekannt als „Klein Russland“. Neben
mehreren russischen Restaurants, Kneipen und Lebensmittelmärkten, die
Kaviar, Salzgurken, Krimsekt, Wodka und Piroggen anboten, hatten sich vor
allem chinesische Textilhändler niedergelassen, um russische Kunden zu
bedienen.
Ihre Ware holten die Händler aus den Textilfabriken im Süden und Südosten
Chinas. Die Russen kauften sie säckeweise auf und versandten sie in ihre
Heimat. Vor einem Jahr arbeiteten in Peking noch mehr als 20.000 Russen,
die vor allem von diesem Handel lebten.
Russische Unternehmen sind, abgesehen von den Energieriesen Gazprom und
Rosneft, kaum in China aktiv. Dabei hatte sich die Volksrepublik noch vor
einem Jahr als lachender Vierter bei der Krimkrise gesehen. Von der
Annexion war Peking zwar nicht begeistert, schließlich hatte man kurz zuvor
umfangreiche Wirtschaftsabkommen mit Kiew abgeschlossen. Aber anders als
Europa und die USA protestierte die chinesische Führung nicht lautstark und
beteiligte sich schon gar nicht an den Sanktionen gegen Moskau.
## Pipeline durch Sibirien
Umso mehr versucht die Volksrepublik, vom westlichen Boykott zu
profitieren. Als Moskau als Reaktion auf die Wirtschaftssanktionen die
Einfuhr von Fleisch, Fisch, Gemüse und Milchprodukten aus der EU und den
USA stoppte, wollte China einspringen. Peking genehmigte eine Reihe neuer
Zollstationen an der über 4.000 Kilometer langen Grenze. In unmittelbarer
Nähe von Wladiwostok errichtete es in Rekordzeit einen neuen
Großhandelsmarkt. Ziel: der Anstieg der Lebensmittelexporte nach Russland
um 80 Prozent.
Vor allem gelang es der chinesischen Führung, Präsident Putin ein
umfangreiches Gasabkommen abzuringen und den Bau der von Peking lange
ersehnten Pipeline quer durch Sibirien bis zur chinesischen Grenze zu
vereinbaren. Über ein Jahrzehnt hatte sich China darum bemüht - erst das
Zerwürfnis mit dem Westen brachte den Durchbruch.
Allerdings hat der chinesisch-russische Handel trotz einer Reihe von
Wirtschaftsvereinbarungen im vergangenen Jahr nur um 0,4 Prozent
zugenommen. Chinas Ausfuhren nach Russland stiegen laut amtlichen
chinesischen Statistiken um immerhin 5,5 Prozent auf 23,48 Milliarden
US-Dollar. Doch die Einfuhren aus Russland brachen kräftig ein: um mehr als
20 Prozent auf 4,19 Milliarden Dollar. Das ist vor allem dem dramatischen
Sinken der Öl- und Gaspreise geschuldet, Russlands Haupteinnahmequelle.
Auch kamen in der zweiten Hälfte 2014 kaum noch russische Touristen nach
China.
Politisch zelebrieren beide Seiten Eintracht: Zu den Feierlichkeiten zum
Ende des Zweiten Weltkriegs haben sich Putin und Chinas Staatspräsident Xi
Jinping gegenseitig zu ihren jeweiligen Militärparaden eingeladen.
Dahinter steckt aber, wie chinesische Russlandkenner wissen, weiterhin eine
gute Portion Misstrauen: Vor allem Chinas Initiative der „Neuen
Seidenstraße“ - es geht um die Wiederbelebung der einstigen Handelswege
zwischen China, Zentralasien bis nach Europa - könnte Moskau ein Dorn im
Auge sein, befürchtet Außenpolitikexperte Shi. „Wenn China in Zentralasien
allzu forsch auftritt, könnte es mit der strategischen Allianz schnell
wieder vorbei sein.“
## Gesunkenes Interesse
Seit der Annektion der Krim hat sich die Regierung in Moskau mächtig ins
Zeug gelegt: Die Abkehr vom Westen machte es nötig, einen Partner zu
suchen, der Europa langfristig ersetzt – als Energiekonsument,
Technologiespender und Bankhaus. Wer läge da näher als der direkte Nachbar
Russlands im Osten?
Chinesische Delegationen bereisen Russland, russische Amtsträger beschwören
leuchtende Zeiten der Gemeinsamkeit mit China. Schon träumt die
Olympiastadt Sotschi vom stetigen Fluss chinesischer Wintersporttouristen.
Doch das Verhältnis zwischen beiden Staaten bleibt zwiespältig: 80 Prozent
der Russen halten die Beziehungen zu China laut einer Umfrage des
unabhängigen Lewada-Zentrums zwar für „gut“ oder „sehr gut“, doch zug…
besteht die alte Angst vor Überfremdung und einer Inbesitznahme des
russischen Ostens durch China fort.
Gerüchte machen die Runde, dass sich „Millionen von illegalen Migranten“ in
Russland niedergelassen hätten. Tatsächlich arbeiten dort nur ca. 400.000
Chinesen. Viele ältere Russen erinnern sich auch noch an den bewaffneten
Grenzkonflikt mit der Volksrepublik China Ende der 1960er Jahre. Jüngere
Russen sehen das entspannter. Mehr als 40.000 richteten sich im letzten
Jahrzehnt auf der chinesischen Seite ein, weil das Leben dort
unkomplizierter sei.
Außerhalb der Grenzregion aber ist das Interesse am östlichen Nachbarn in
den letzten Jahren eher gesunken. Der Sinologe Alexander Gabujew vom Rat
für Außen- und Sicherheitspolitik konstatiert besorgt, dass es zu
Sowjetzeiten mehr Chinaexperten im Land gab als heute. Zudem seien die
russischen Sinologen auf die neuen ökonomischen Anforderungen nicht
vorbereitet, sodass russische Firmen oft auf chinesische Honorarkräfte und
Dolmetscher zurückgreifen müssten. Tiefere Kenntnisse des Rechts- und
Wirtschaftssystems könnten so nicht entstehen.
Der Russisch-chinesische Business-Rat und das bilaterale Zentrum für Handel
und wirtschaftliche Kooperation werden seit Moskaus Schwenk nach Osten mit
Anfragen bombardiert. Doch auch diese beiden Institutionen seien der Sache
nicht gewachsen, meint Gabujew. Interviewanfragen der taz lehnten beide
Einrichtungen ab.
## Nicht auf Augenhöhe
Die Notwendigkeit, einen neuen Partner zu finden, traf Russland
unvorbereitet. Bereits beim Abschluss des spektakulären Gasgeschäfts im
Umfang von 400 Milliarden Dollar im letzten Mai war nicht zu übersehen,
dass Putin China umgarnte und Pekings Preisvorstellungen entgegenkam. Von
einer Beziehung auf Augenhöhe kann seither nicht mehr die Rede sein.
Die Investitionsbereitschaft der Chinesen hält sich trotzdem in Grenzen –
sie ziehen den Westen, Südostasien oder Afrika vor. Denn der russische
Markt verspricht weniger Gewinn bei höheren Risiken: Bürokratie, Korruption
und mittlerweile auch die Sanktionen belasten das Geschäft. Das gilt auch
für die Banken. Moskau hatte darauf gesetzt, finanziellen Engpässen
mithilfe chinesischer Geldhäuser entgehen zu können – doch Beijing prüft
genau, ob heimische Institute dadurch ins Fadenkreuz westlicher Ermittler
geraten könnten.
Das chinesische Engagement bleibt also vorerst überschaubar: In
Tschetschenien etwa wird auf 250 Hektar ökologischer Landbau betrieben; in
St. Petersburg sind chinesische Firmen an einem Wohnviertel und auf
Sachalin an einen maritimen Biotechnopark beteiligt, und zwischen Moskau
und Kasan soll eine Hochgeschwindigkeitstrasse gebaut werden.
Dabei ist die russische Sorge, die neuen Partner könnten Technologien
kopieren und an Drittländer verkaufen, ebenso wenig zu übersehen wie die
Furcht, künftig statt von westlicher von chinesischer Technik abhängig zu
sein.
9 Mar 2015
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
Felix Lee
## TAGS
Gazprom
Pipeline
China
Russland
Kasan
Waffenkontrolle
Minsk II
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China
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