| # taz.de -- Pekinger Politologe über China: „Demokratie mit Besonderheiten“ | |
| > China dominiert die Welt überhaupt nicht und ist sowieso eine Demokratie | |
| > im westlichen Sinne. Hä? Der Pekinger Politologe Wang Yiwei erklärt es | |
| > uns. | |
| Bild: „Selbst die Bezeichnung 'Volksrepublik' hat ihren Ursprung im Westen.“ | |
| taz: Herr Wang, wann wird China endlich zur einer Demokratie im westlichen | |
| Sinne? | |
| Wang Yiwei: Das sind wir doch längst. Ich bin Mitglied der Kommunistischen | |
| Partei. Ich glaube an die Lehren von Karl Marx. Marx war ein Deutscher. | |
| Selbst die Bezeichnung „Volksrepublik“ hat ihren Ursprung im Westen. Wenn | |
| Sie ein System meinen, das auch den Gedanken des Sozialismus umfasst, ist | |
| China längst eine westliche Demokratie. | |
| Dem würden aber viele widersprechen. China fehlen unabhängige Parteien, | |
| freie Wahlen, Meinungsfreiheit und die Achtung der Menschenrechte. | |
| Auch unter den Demokratien im Westen gibt es große Unterschiede. In den USA | |
| haben auch nur zwei Parteien das Sagen, während im griechischen Parlament | |
| sieben Parteien sitzen. Unser System ist eine Demokratie mit chinesischen | |
| Besonderheiten. | |
| China ist eine Einparteiendiktatur und lässt Kritiker einsperren. | |
| Wir haben neben der Kommunistischen Partei acht weitere Parteien. Anders | |
| als bei Ihnen sind es keine Oppositionsparteien, sondern sie sind | |
| eingebunden. Umsturzversuche werden bei uns nicht akzeptiert. Das mag uns | |
| unterscheiden. | |
| Aber wie sieht es mit freien Wahlen aus? | |
| Wir haben auf kommunaler Ebene freie Wahlen. Es stimmt, die KP dominiert. | |
| Aber innerhalb der Partei findet sich ein sehr breites Meinungsspektrum. | |
| Anders gefragt: Was ist an der heutigen Volksrepublik noch kommunistisch? | |
| Ist China angesichts der extremen sozialen Ungleichheit nicht eines der | |
| kapitalistischsten Länder überhaupt? | |
| Die chinesische KP ist seit mehr als 60 Jahren an der Macht. Da bleibt es | |
| nicht aus, dass sich die Partei sehr stark verändert. Sicherlich könnten | |
| wir uns auch umbenennen. Es ist aber schwierig, einen einmal etablierten | |
| Namen umzuändern. Auch die SPD in Deutschland ist schon lange keine reine | |
| Arbeiterpartei mehr. Der Name ist aber gleichgeblieben. | |
| Aber was genau ist China heute? | |
| China mag in vielen Bereichen kapitalistisch sein, in anderen Bereichen | |
| sind wir aber noch immer sehr kommunistisch geprägt, wenn es etwa um die | |
| Verstaatlichung von Schlüsselindustrien geht. Vielleicht lässt sich das | |
| aber mehr über die chinesischen Besonderheiten begründen. | |
| Sie meinen den zunehmenden chinesischen Nationalismus? | |
| Nationalismus klingt so negativ und zeichnet sich vor allem durch seine | |
| Engstirnigkeit aus. Nein, diese Umschreibung wird China nicht gerecht. | |
| Tatsächlich haben wir den Nationalismus erst vom Westen gelernt. Diese Art | |
| von übersteigertem Nationalstolz kannten wir vorher gar nicht. | |
| Das mag historisch so gewesen sein. Aber wie die antijapanischen Proteste | |
| zeigen, hat sich in China sehr wohl ein ausgeprägter Nationalismus | |
| entwickelt, den die KP-Führung auch zu nutzen weiß. | |
| Ich kenne die Aussagen von ausländischen Beobachtern, die behaupten: Chinas | |
| KP könne sich nur mit Nationalismus an der Macht halten, er legitimiere die | |
| KP erst. Ich halte diese Behauptung für falsch. Die Legitimation der KP | |
| ergibt sich aus der Geschichte, die mit der kolonialen Unterdrückung begann | |
| und in zwei Weltkriege mündete, in die China hineingezogen wurde. Heute | |
| misst sich die KP-Führung daran, ob es ihr gelingt, 1,3 Milliarden Menschen | |
| zu Wohlstand zu verhelfen. | |
| Warum lässt sich die KP nicht demokratisch legitimieren? | |
| In den USA beteiligt sich auch gerade einmal die Hälfte der Bevölkerung an | |
| den Präsidentschaftswahlen. Und davon wiederum hat nur eine knappe Hälfte | |
| für Obama gestimmt. Er weiß gerade einmal ein Viertel der Bevölkerung | |
| hinter sich. Ist er damit legitimiert? | |
| Zumindest wurde er gewählt und wenn eine Mehrheit ihn nicht mehr will, wird | |
| er nach vier Jahren wieder abgewählt. Die KP hingegen setzt zum Machterhalt | |
| auf Einschüchterung. | |
| Auch der US-Präsident wird nicht direkt von den Menschen gewählt, sondern | |
| von Wahlmännern. Bei uns sind es die Parteidelegierten. Das politische | |
| System in den USA ähnelt dem der Chinesen sehr viel mehr, als so mancher | |
| denkt. Das kommt aber nicht von ungefähr. Beides sind große Länder. Es ist | |
| kein Zufall, dass nur kleine Länder wie die Schweiz regelmäßig direkte | |
| Volksabstimmungen abhalten. Für ein so großes Land wie China wäre das | |
| organisatorisch ein viel zu großer Aufwand. | |
| In Indien leben auch über eine Milliarde Menschen. Trotzdem gibt es freie | |
| Wahlen. | |
| Aber schauen Sie sich doch mal an, in welchem Zustand sich Indien befindet. | |
| Es gibt dort sehr viel mehr Armut als in China. Ich halte eine Abstimmung | |
| auch keineswegs per se für den besten Weg, um zu einer Entscheidung zu | |
| kommen. Nur wenn es keine Einigung gibt, sollte abgestimmt werden. Das ist | |
| aber der letzte Weg. | |
| Doch den lässt Chinas Führung gar nicht zu. | |
| Ich glaube nicht, dass China über freie Wahlen zu dem Präsidenten finden | |
| wird, der auch wirklich imstande ist, das Riesenreich angemessen zu führen. | |
| In China lebt rund die Hälfte der Bevölkerung in Städten und hat es in die | |
| Mittelschicht geschafft. Die andere Hälfte lebt aber nach wie vor auf dem | |
| Land und ist arm. Es trennt sie Welten. Selten findet sich jemand, der von | |
| beiden Seiten gleichermaßen geschätzt wird. Wie gespalten ein Land sein | |
| kann, zeigen doch die USA. Es sind häufig Zufälle, die entscheiden, welche | |
| Seite gewinnt. Ronald Reagan war eine Ausnahme. Er wurde von vielen | |
| geliebt. Aber er war auch ein Hollywood-Star. | |
| Herr Wang, wird China mit seinem jetzigen politischen System schon bald die | |
| gesamte Welt dominieren? | |
| Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wird immer wieder eine neue | |
| Weltordnung herbeigeredet. Dabei haben wir immer noch dieselbe Ordnung wie | |
| sie nach dem Zweiten Weltkrieg festgelegt wurde. Und die wird vom Westen | |
| bestimmt. | |
| Aber inzwischen spielt China in der Weltpolitik eine sehr viel | |
| einflussreichere Rolle als noch vor 20 oder 30 Jahren. | |
| Schauen Sie sich doch mal die Weltinstitutionen an: Der Internationale | |
| Währungsfonds, die Weltbank, die Vereinten Nationen – sie werden allesamt | |
| von denselben Mächten dominiert, die nach dem Zweiten Weltkrieg das Sagen | |
| hatten. China und die anderen Schwellenländer haben immer wieder gefordert, | |
| dass der Stimmschlüssel bei IWF und Weltbank verschoben werden müsste. Es | |
| ist aber nur wenig passiert. | |
| Dafür schafft China mit eigenen Entwicklungsbanken und Bündnissen | |
| konkurrierende Strukturen. | |
| Was bleibt uns anderes übrig? China ist bereits die weltgrößte | |
| Handelsmacht. Wir haben das gute Recht, dass unsere Belange auch | |
| entsprechend berücksichtigt werden. Die von uns angeschobenen | |
| Entwicklungsbanken sehen wir aber nicht in Konkurrenz zu bestehenden | |
| Einrichtungen, sondern als Ergänzung. Es sind die USA, die uns aus allem | |
| heraushalten wollen. | |
| Wie bewerten Sie derzeit Chinas Verhältnis zu den USA? | |
| Wir sind in vielen Bereichen zwar Rivalen. Im Prinzip aber brauchen wir uns | |
| gegenseitig. | |
| Die USA sind die größten Gläubiger der Volksrepublik. Auf fast vier | |
| Billionen Dollar werden Chinas Devisenreserven in den USA geschätzt, von | |
| denen ein Großteil in US-Staatsanleihen steckt. | |
| Das sind doch nur Zahlen. Tatsächlich liegt die Wirtschaftsleistung pro | |
| Kopf in China bei gerade einem Achtel von dem der USA. | |
| Inwiefern braucht China die USA politisch? | |
| Im Westen wird zwar gerne vor der neuen Supermacht China gewarnt. Doch die | |
| Wirklichkeit ist eine völlig andere. China ist ein großes Land mit immer | |
| noch vielen Problemen. Ein Teil von Chinas Erfolg besteht darin, dass wir | |
| uns viel stärker auf die Ergebnisse konzentrieren können. Wir müssen uns | |
| nicht ständig mit Wahlen beschäftigen. Aber ich gebe zu, es gibt viele | |
| Bereiche, in denen wir sehr ineffizient sind und wenig nachhaltig. Gerade | |
| was den Rechtsstaat betrifft, können wir noch sehr viel von den USA und | |
| Europa lernen. | |
| Technologisch hat China bereits mächtig aufgeholt. | |
| Ja, das stimmt. In einigen Bereichen erreichen wir Weltniveau, etwa beim | |
| Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Auch im Energiesektor machen wir große | |
| Fortschritte. Bei der regenerativen Energie sind wir führend, ebenso beim | |
| Ausbau der Atomkraft. Und anders als in den USA gehen wir beim Klimaschutz | |
| die Probleme pragmatischer und nicht so ideologiebeladen an. | |
| Manche sprechen schon von der Ökodiktatur China. | |
| Auch wir müssen uns fragen: Was ist wichtiger? Blauer Himmel oder dass die | |
| Menschen Jobs und ausreichend zu essen haben? Die Mehrheit hat bis vor | |
| Kurzem noch in Armut gelebt und brauchte Arbeit. Inzwischen haben es viele | |
| Menschen zu bescheidenen Wohlstand gebracht und sehnen sich nach einer | |
| sauberen Umwelt. Nun müssen wir umdenken. Das ist sicherlich nicht von | |
| einem Tag auf den anderen zu erreichen. Aber das Ziel ist klar definiert. | |
| Einige Länder nehmen Chinas Entwicklungsmodell bereits als Vorbild. Wird | |
| China vielleicht schon bald das Gegenmodell zu den USA? | |
| Nein, das glaube ich nicht. Chinas Erfolg beruht einzig darauf, dass wir | |
| unseren eigenen Weg gegangen sind. Das ist alles. Unser Modell lässt sich | |
| auch nicht auf andere Länder übertragen. Genau das unterscheidet China von | |
| den USA: Präsident Xi sagt, jeder muss seinen Weg gehen. Die USA hingegen | |
| wollen, dass alle Länder ihnen folgen. | |
| 1 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Felix Lee | |
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