# taz.de -- Kommentar Politik und Ukraine-Konflikt: Merkel ab nach Moskau | |
> Der Krieg im Donbass geht weiter. Die Diplomatie scheint gescheitert. | |
> Aber das täuscht. Jetzt muss der Westen Wladimir Putin mehr anbieten. | |
Bild: Tiefer Blick in die Augen: Merkel (l.) und Putin am Rande des D-Day-Geden… | |
Die Separatisten im Donbass und die Regierung in Kiew werden Gefangene | |
austauschen: der größte Erfolg des Krisenmanagements der letzten Wochen. | |
Dies zeigt schlaglichtartig, wie starr die Fronten sind. Die Ziele des | |
Minsker Abkommens, Waffenstillstand und Autonomie für die Ostukraine, | |
liegen noch in weiter Ferne. | |
Die westliche Diplomatie hat nur millimeterweise Fortschritte erreicht. Und | |
schon das ist eher Vermutung als klarer Fakt. Denn ob sich Kiew und Moskau | |
in Zeitlupentempo Richtung Befriedung bewegen oder ob wir es mit einem auf | |
Dauer gestellten Krieg zu tun haben, ist offen. Auf der Habenseite der | |
Unterhändler, vor allem des besonnenen Frank-Walter Steinmeier, steht Ende | |
2014 mit Gewissheit nur: Das Schlimmste, ein direkter Krieg zwischen | |
russischem und ukrainischem Militär, wurde verhindert. | |
Der Westen scheint zunehmend ratlos zu sein. Irgendwie hat die EU selbst, | |
ohne es zu merken, die Krise durch die Assoziierungsabkommen mit Kiew | |
beschleunigt. Nun schwankt der Westen zwischen Eindämmung und Entspannung. | |
Aber sowohl aggressives Containment als auch Entspannungspolitik stammen | |
aus dem falschen Schnittmuster. | |
Denn dieser Konflikt hat weniger mit dem Kalten Krieg gemein als mit einem | |
geopolitischen Konflikt des 19. Jahrhunderts. Deshalb ist es so verquer, | |
Putin mit antitotalitärem Furor als Erbe Stalins bekämpfen zu wollen – oder | |
umgekehrt voller Friedenswillen in Moskau das Opfer der Nato zu vermuten. | |
Putin steht vielmehr in der Tradition völkischen, großrussischen Denkens. | |
Deshalb ist die westeuropäische Rechte Russland so zugeneigt. | |
Dieser Konflikt erscheint wie ein Mobile, in dem sich die Fäden verwirren. | |
Kiew zeigt zunehmend Irrationalität aus Schwäche. Dass die Ukraine aus den | |
Reihen der Blockfreien ausgetreten ist, provoziert Moskau, ohne dass sich | |
dies für Kiew rentiert. Laut Nato-Statut kann kein Staat mit | |
Grenzstreitigkeiten Mitglied im Bündnis werden. | |
Dass Kiew das Donbass wirtschaftlich boykottiert, ist auch kein Zeichen von | |
Stärke, im Gegenteil. Damit treibt Kiew den Osten aus dem Staatenverbund. | |
Die Ukraine wird in diesem von Putin entfachten Krieg dem Zerrbild ähnlich, | |
das die russische Propaganda von Kiew malt: herrisch und scharfmacherisch. | |
In Russland hingegen wird Putin von den nationalistischen Gespenstern | |
gejagt, die er selbst rief. | |
Besonders erschreckend ist das wirtschaftliche Desaster, das von Lemberg | |
bis Nowosibirsk droht. Die Ukraine ist bankrott. In Russland zerfällt der | |
Rubel, was eher ein Effekt von Kapitalflucht und sinkendem Ölpreis als von | |
Sanktionen ist. Wenn die Hoffnung auf ein erträgliches Dasein verfliegt, | |
wachsen Panik und die Neigung, den Feind für eigenes Unglück verantwortlich | |
zu machen. Auf allen Seiten. | |
Hat die Diplomatie also versagt? Nein. Nötig ist nicht weniger, sondern | |
mehr. Steinmeier hat kürzlich den klugen Vorschlag gemacht, dass EU und die | |
Eurasische Wirtschaftsunion kooperieren sollen. Mehr davon! Die EU sollte | |
eine diplomatische Offensive ins Auge fassen. Gescheit wäre es, Moskau | |
verbindlich zuzusichern, dass Kiew nicht Nato-Mitglied wird – falls | |
Russland aufhört, in der Ostukraine zu zündeln. | |
Es ist falsch, wie Matthias Platzeck meinte, die Annektion der Krim einfach | |
anzuerkennen. Aber die Krim wird Teil eines Deals sein. Denkbar sind eine | |
Abstimmung auf der Krim unter OSZE-Kontrolle und verbindliche | |
Minderheitenrechten. Dass die Krim wieder ukrainisch wird, ist | |
Traumtänzerei. Face the facts. | |
Angela Merkel und Barack Obama sollten mit ein paar Angeboten nach Moskau | |
fahren. Um Russland Anerkennung zu zollen, Ängste zu nehmen und dessen | |
Aggression in die Schranken zu weisen. Der Westen hat Druckmittel – zu | |
einem Angebot, das Moskau nicht ablehnen kann, gehört auch Zuckerbrot. Ob | |
das funktioniert, ist ungewiss. Es nicht zu versuchen ist mehr als | |
fahrlässig. | |
27 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Ukraine | |
Russland | |
Wladimir Putin | |
Krim | |
Donbass | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Russland | |
Russland | |
Hackerangriff | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Ukraine | |
Russland | |
Russland | |
Russland | |
Wladimir Putin | |
Wladimir Putin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Entspannungspolitik mit Russland: Signal ohne Echo | |
Angela Merkel versucht Putin mit einer Friedensdividende zu locken – doch | |
der reagiert nicht. | |
Kommentar gescheiterter Ukraine-Gipfel: Krieg als Ablenkung | |
Die Gründe für die Absage der Friedensgespräche werden wir wohl kaum | |
erfahren. Es gibt starke Kräfte, die an einem Frieden nicht interessiert | |
sind. | |
Digitale Sicherheit der Bundesregierung: Virtuell abgeschaltet | |
Ein Angriff hat die Internetseiten von Angela Merkel und dem Bundestag | |
stundenlang lahmgelegt. Eine prorussische Hackergruppe bekannte sich zu der | |
Aktion. | |
Sanktionen gegen Russland: Hollande ist für Aufhebung | |
Frankreichs Präsident will Sanktionen beenden, sollte es Fortschritte zur | |
Beilegung der Ukraine-Krise geben. Das geplante Treffen Mitte Januar ist | |
derzeit noch unsicher. | |
Essay Atompolitik der Ukraine: Der Traum vom Nuklearen | |
Das Land ist heute noch vom Erbe der Sowjetunion geprägt. Die Begeisterung | |
für Atomkraft hat die politischen Umbrüche bruchlos überdauert. | |
Politologe über Russland und China: „Moskau nutzt seine einzige Chance“ | |
Der Politologe Sebastian Heilmann erklärt die Hinwendung Russlands zu China | |
– und was das für den Rest der Welt bedeutet. | |
Sanktionen gegen Russland: Sozis setzen auf Entspannung | |
SPD-Politiker wollen den Druck auf Russland nicht weiter erhöhen. Deutschen | |
Unternehmen käme das auch ganz gelegen. | |
Der Fall des Rubel: Russen im Kaufrausch | |
Die Krise treibt die Leute in die Geschäfte. Die Preise für Luxusgüter und | |
Lebensmittel steigen. Für die Jungen ist das eine ganz neue Erfahrung. | |
Kommentar Putins Jahres-PK: Von Feinden umzingelt | |
Der russische Präsident gesteht in seiner Jahres-PK die schwere | |
Wirtschaftskrise des Landes. Seine Ukraine-Politik wird er deshalb nicht | |
ändern. | |
Putins Jahrespressekonferenz: „Wir haben hier keine Paläste“ | |
Der russische Präsident schaut gelassen in die Zukunft. In spätestens zwei | |
Jahren werde das Land die Krise überwunden haben, sagt Putin. |