# taz.de -- Pendeln Deutschland - Russland: „Das wird vom Staat geduldet“ | |
> Stefan Semken betreibt im russischen Jekaterinburg eine Pension, | |
> engagiert sich für den Umweltschutz und holt Bremer MusikerInnen nach | |
> Russland – wenn er darf. | |
Bild: Hat in Jekaterinburg sein zweites Zuhause gefunden: Stefan Semken, hier m… | |
taz: Herr Semken, was verschlägt einen Bremer in den Ural? | |
Stefan Semken: Ich wollte 2003 nach Russland, um Extremurlaub zu machen und | |
stellte fest, dass man ein Visum und eine Einladung braucht. Ich habe dann | |
über das Internet einen Russen kennengelernt, der Einladungen verkauft hat. | |
Weil seine Internetseite nur auf Englisch und Französisch war, habe ich ihm | |
angeboten, sie ins Deutsche zu übersetzen. Ich wollte nicht nach Moskau | |
oder Sankt Petersburg, sondern nach Sibirien. Als ich ihm das erzählte, | |
sagte er, ich solle doch ihn besuchen. Er lebte in Jekaterinburg. | |
Und das ist ja fast in Sibirien. | |
Jekaterinburg liegt 40 Kilometer hinter der sogenannten europäischen | |
Grenze. Ich hab mich dort für ein paar Wochen eingemietet und vom ersten | |
Tag an mitten unter Russen gelebt, weit weg von Deutschland, weit weg von | |
Europa. Das ist bis heute das größte Abenteuer meines Lebens. | |
Was haben Sie vorher in Bremen gemacht? | |
Ich war Druckvorlagenhersteller und hatte zehn Jahre lang ein großes Büro | |
in der Bremer Langenstraße. Als ich vierzig war, ging es bei mir aber | |
gesundheitlich bergab. Ich habe Morbus Bechterew. Zudem war die Branche | |
ziemlich tot. Ich habe den Laden 2001 gerade noch rechtzeitig dichtgemacht. | |
Und dann sind Sie auf unbestimmte Zeit nach Russland gereist? | |
Ich wollte eigentlich nur drei Wochen bleiben, aber daraus wurden dann | |
sechs. Nach zehn Tagen habe ich meine jetzige Frau Olga kennengelernt. Ich | |
bin damals zurück nach Deutschland und habe Olga nachgeholt. Nach | |
anderthalb Jahren haben wir geheiratet. Dann haben wir überlegt, wo wir | |
unseren Lebensmittelpunkt aufbauen wollen. Ich hatte die Idee, ein halbes | |
Jahr in Russland und ein halbes Jahr in Deutschland zu leben. So konnten | |
wir beide unseren Freundeskreis behalten. Das haben wir letztlich auch | |
hingekriegt. Dann kam das zweite Problem: Ich musste ja auch was machen in | |
Russland, um mich nicht zu langweilen. 2007 haben wir ein Bauernhaus in | |
Bingi, 80 Kilometer vor Jekaterinburg, gekauft und angefangen, Touristen zu | |
beherbergen. Mittlerweile haben wir jedes Jahr rund hundert Gäste. | |
Aber Sie machen ja noch mehr … | |
Ja, ich habe noch ein paar andere Tätigkeiten entwickelt. Vor ein paar | |
Jahren habe ich zum Beispiel angefangen, mit einem Freund Spezialgase aus | |
Russland zu importieren, die wir im Ural kauften. Das Gas kommt allerdings | |
zu großen Teilen aus Donezk und Lugansk – das Geschäft ist jetzt kaputt. | |
Inzwischen biete ich den Russen Freundschaftsbänder an, wie sie in den USA | |
und Deutschland populär sind. Dort kennt das aber noch niemand. | |
Sie holen auch Künstler von Bremen nach Russland – verdienen Sie damit | |
Geld? | |
Nein, da zahl ich eher drauf. Das kam so zustande, dass der damalige | |
Honorarkonsul mich angesprochen hat und sagte: Wir sind sehr | |
kulturinteressiert, schaffen es aber nicht, das zu organisieren, kannst du | |
da nicht was machen? Du bekommst auch einen Zuschuss. Ich habe ein bisschen | |
nachgedacht, und dann fiel mir Friedel Muders ein, der in Bremen das Label | |
Fuego betreibt. Der hat mir den Musiker Dad Horse Ottn empfohlen. Der kam | |
rüber, und das hat so viel Spaß gemacht, dass ich weitergemacht habe. Im | |
nächsten Jahr kam Annalena Bludau, dieses Jahr waren Sunny Cold Day hier. | |
Wie geht es mit dieser Kulturbrücke weiter? | |
Beim letzten Mal gab es Ärger: Der neue Konsul wollte mir nicht glauben, | |
dass ich eine Zusage für die Förderung des Projekts hatte. Ich habe die | |
Zusammenarbeit mit dem Konsulat daraufhin eingestellt. Aber ich denke, das | |
geht irgendwann weiter. | |
Sie engagieren sich auch politisch? | |
Ich setze mich für den Umweltschutz ein. Bei uns im Dorf gibt es Goldminen, | |
und die sollen mit Cyanid erschlossen werden. Cyanid kontaminiert die Erde | |
auf ewig. Eine Dekontaminierung ist technisch derzeit nicht möglich. Ich | |
hab den Dorfjungs gezeigt, wie man Protest organisiert. | |
Ist das in Russland nicht ein mutiges Unterfangen? | |
Das wird vom Staat ohne Weiteres geduldet. Ich habe auch ein paar Artikel | |
darüber im Internet veröffentlicht, woraufhin uns die Minengesellschaft | |
wegen Beleidigung vor Gericht gebracht hat. Die Verhandlung haben wir | |
gewonnen. Ich habe das Gefühl, dass Russland viel mehr Rechtsstaat ist als | |
wir uns das in Deutschland vorstellen. Allerdings steckt bei den älteren | |
Leuten noch viel vom alten Sowjet-Denken in den Köpfen. Ich setze große | |
Hoffnungen auf die neue Generation. Die wollen einen anderen Takt. Die | |
Mehrheit jedenfalls. | |
Fühlen Sie sich als Deutscher in Russland gut aufgehoben? | |
Ich hatte anfangs große Bedenken. Wir haben schließlich zweimal einen Krieg | |
gegen Russland begonnen, und Lenin haben wir ihnen auch geschickt. Aber ich | |
musste feststellen, dass wir von den Russen geliebt werden und wirklich was | |
Besonderes sind. Sie lieben unsere Autos und uns deswegen auch. Dafür wird | |
man als Deutscher respektiert. | |
Als Volk von Ingenieuren? | |
Mit allen Vor- und Nachteilen. Ingenieure sind ein bisschen emotionslos. | |
Aber damit kann ich leben und ich versuche, die Menschen vom Besseren zu | |
überzeugen. Ich fühl mich da pudelwohl. | |
Was passiert, wenn sich die politische Lage verschärft? | |
Ich bin bislang nicht betroffen. Man hat mir unmissverständlich | |
signalisiert, dass man mich zur Kenntnis nimmt. Drüben gibt es noch eine | |
Reihe von Deutschlehrern im ausländischen Dienst, die vom | |
Inlandsgeheimdienst (FSB) vorgeladen wurden und gefragt wurden, ob sie | |
nicht eigentlich Spione sind. Die Stimmung ist schon ein bisschen gesunken. | |
Aber es ist nun mal eben so. Ich versuche, nicht gegen die Gesetze zu | |
verstoßen und die Auflagen zu erfüllen. Auch wenn das oft nervt. Das | |
russische Meldegesetz ist wahnsinnig kompliziert. | |
26 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Schnell | |
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