| # taz.de -- Debatte Spekulationsgeschäfte: Deutsche Trottel | |
| > Die echten Spekulanten waren raffinierter als im Film „Big Short“. Die | |
| > Kunst war nicht, den Crash zu erahnen – sondern auf ihn zu wetten. | |
| Bild: In der Fiktion werden die Außenseiter als Hellseher inszeniert. Szene au… | |
| Schräge Helden sind beliebt im Kino. Auch im neuen Film „Big Short“ sind | |
| ein paar Außenseiter die Schlausten: Ein einäuiger Arzt, ein Choleriker, | |
| ein smarter Banker, ein Aussteiger und zwei Provinzler sehen früh die | |
| Finanzkrise kommen und setzen auf den Crash. Sie wetten gegen die | |
| Großbanken der Wall Street – und kassieren Milliarden. | |
| Der Film beruht auf wahren Ereignissen und echten Personen, aber den | |
| eigentlichen Clou kann er nicht erzählen, denn die realen | |
| Spekulationsgeschäfte waren so kompliziert, dass sie eine Komödie sprengen. | |
| Also beginnt „Big Short“ mit einer Fiktion: Entgegen den Tatsachen wird | |
| behauptet, dass damals fast niemand bemerkt hätte, dass sich in den USA | |
| eine Immobilienblase aufgepumpt hatte. Die Außenseiter werden als Hellseher | |
| inszeniert. | |
| In Wahrheit war es andersherum: An der Wall Street wussten viele Banker, | |
| dass es eine Immobilienblase gab. Selbst Laien wurde mulmig. Zwischen | |
| Januar 2004 und Sommer 2005 verzehnfachten sich bei Google die Suchanfragen | |
| zu „Immobilienblase“. Auch die US-Medien entdeckten das Phänomen früh und | |
| erwähnten es bereits 2005 genau 3.447-mal. | |
| Die Zahlen sprachen für sich: 2001 lag das Volumen aller Hypotheken in den | |
| USA bei 5,3 Billionen Dollar; 2007 waren es gigantische 10,5 Billionen. | |
| Noch nie hatte es eine derartige Kreditexplosion gegeben. „In nur sechs | |
| Jahren stiegen die Hypothekenschulden der amerikanischen Haushalte fast so | |
| stark wie im Laufe der mehr als 200-jährigen Geschichte unseres Landes“, | |
| stellte die Untersuchungskommission des US-Repräsentantenhauses später | |
| fest. | |
| ## Aus Derivate Wertpapiere basteln | |
| Die Kunst war also nicht, einen Crash vorherzusehen. Die Kunst war, auf | |
| diesen Crash zu wetten. Denn eine Wette ist kein einseitiges Geschäft. Man | |
| benötigt immer ein Gegenüber, das die eigene Wette annimmt. Aber wer würde | |
| gegen einen Crash wetten, wenn selbst Google-Nutzer beunruhigt waren? Es | |
| wurden Trottel gesucht – oder Zyniker. | |
| Diesen Zweck erfüllte ein perfides Produkt namens „synthetischer CDO“. Auch | |
| im Film schwirrt dieser Begriff herum, aber dort bleibt nebulös, was dieses | |
| Konstrukt ausmachte: Aus Derivaten wurden Wertpapiere gebastelt. Das hatte | |
| es noch nie gegeben. Erst diese synthetischen CDOs machten es möglich, | |
| Trottel und Zyniker so zu vereinen, dass am Ende ein einäugiger Arzt und | |
| ein Choleriker Milliarden abkassieren konnten. | |
| Von vorn: Ab 2001 bekam in den USA jeder einen Kredit, der einen Kredit | |
| haben wollte. Selbst Arbeitslose konnten eine Hypothek aufnehmen. Dass die | |
| Ärmsten diese Kredite niemals zurückzahlen würden, war kein Geheimnis, | |
| sondern Allgemeingut, denn diese Hypotheken hießen „subprime“, also | |
| „minderwertig“. | |
| ## Mehr als 200.000 Hypothekenmakler | |
| Diese Suprime-Kredite trieben die Investmentbanken nicht selbst ein, sie | |
| überließen dies gern selbstständigen Hypothekenmaklern. Der boomende | |
| Berufszweig zog auch Kriminelle an, wie die Untersuchungskommission später | |
| festhielt: „Mehr als 200.000 neue Hypothekenmakler nahmen ihre Tätigkeit | |
| auf … Allein in Florida waren darunter mindestens 10.500 Personen, die eine | |
| Vorstrafe aufwiesen. Davon waren 4.065 wegen solcher Delikte wie Betrug, | |
| Bankraub, organisiertem Verbrechen und Erpressung verurteilt worden.“ | |
| Diese seltsamen Geschäfte ihrer Mittelsmänner ließen die Investmentbanken | |
| kalt, denn sie betrieben eine Art Wurstmaschine für Kredite: Riskante | |
| Einzelkredite wurden so lange zu Anleihen gebündelt und wieder gestückelt, | |
| bis das Risiko scheinbar verschwunden war. Diese Schachtelpapiere hießen | |
| „Collateralized Debt Obligation“ (CDO), zu Deutsch „besicherte | |
| Schuldverschreibung“. Wichtig: Diese CDOs waren immer noch echte | |
| Wertpapiere, denn sie verbrieften echte Darlehen. Einige dieser Kredite | |
| waren zwar extrem riskant, aber immerhin existierten sie real. | |
| An dieser Stelle kamen nun die Spekulanten ins Spiel, die „Big Short“ zu | |
| Helden macht: Sie wollten darauf wetten, dass die normalen CDOs rasant an | |
| Wert verlieren würden, sobald die Ärmsten ihre Subprime-Kredite nicht mehr | |
| bedienen konnten. Für diese Wette gab es auch ein optimales Instrument – | |
| Kreditausfallversicherungen namens „Credit Default Swap“ (CDS). | |
| Der Charme dieser Derivate: Sie eigneten sich bestens zur Spekulation, denn | |
| sie ließen sich auch dann kaufen, wenn man die CDOs gar nicht besaß, die | |
| mit diesen CDS angeblich versichert werden sollten. Später wurde der | |
| Vergleich berühmt, dass die CDS so funktionierten, als würde man eine | |
| Feuerversicherung auf das Haus des Nachbarn abschließen. | |
| ## Getäuschte Käufer | |
| Die „Big Short“-Vorbilder wussten also, was sie brauchten: gaaaaaanz viele | |
| Credit Default Swaps. Aber wer sollte ihnen diese Derivate verkaufen? Die | |
| Investmentbanker an der Wall Street wussten genau, dass sie viele | |
| Schrottkredite in den CDOs versteckt hatten. Sie konnten kein Interesse | |
| haben, ihren eigenen Murks zu versichern. | |
| Die Lösung war der „synthetische CDO“. Aus den Kreditausfallversicherungen | |
| CDS, also aus reinen Derivaten, wurde ein Papier gebastelt, das wie ein | |
| echtes Wertpapier aussah. Der Trick: Man imitierte die Zahlungsströme, die | |
| für normale Anleihen typisch sind. Dort gibt es Zinsen – also tat man so, | |
| als wären die Prämien für die Versicherungsderivate das Gleiche wie Zinsen. | |
| Der Käufer, so das Kalkül, würde gar nicht merken, dass er kein echtes | |
| Wertpapier erworben hatte, sondern ein Bündel von Derivaten, das ihn | |
| zwingen würde, bei einem Crash wertlose Kredite zum Nennwert aufzukaufen. | |
| Die Zyniker waren also gefunden: Die Wall-Street-Banker waren bereit, gegen | |
| einen Crash zu wetten, obwohl sie den Crash kommen sahen. Denn dank der | |
| synthetischen CDOs konnten sie das Risiko weiterreichen und gewaltige Boni | |
| kassieren, die ihre „Leistung“ honorierten, ein Wertpapier zu basteln, das | |
| kein Wertpapier war. | |
| Bleibt die Frage, wer die Trottel waren, die die synthetischen CDOs | |
| kauften, später Milliardenverluste aufhäuften und die „Big Short“-Helden | |
| reich gemacht haben. Der Film gibt keine Antwort. Leider. Denn es waren die | |
| deutschen Landesbanken. „Stupid Germans“ hießen sie in New York. | |
| 22 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
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