# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Geisterfahrer in der Wirtschaftspolitik | |
> Deutschland hat von den Schulden anderer EU-Länder profitiert. Mit seiner | |
> Austeritätspolitik verschärft es die Euroland-Krise nur weiter. | |
Bild: Viele, viele Exportgüter im Containerterminal Hamburg. | |
Wenn das Reichwerden oder Reichbleiben davon abhinge, dass man versteht, | |
was Geld ist und wie es in unseren Zeiten funktioniert, müssten die meisten | |
Deutschen längst verarmt sein. In der Kommunikation über Wirtschaftsfragen | |
im Allgemeinen und über Geld im Besonderen äußert sich hierzulande fast nur | |
Unverstand. Besonders deutlich wird das, wenn Positionen zur | |
Staatsverschuldung, zur Eurokrise und zur Politik der Europäischen | |
Zentralbank (EZB) bezogen werden. Die Flutung der Euro-Finanzwelt mit | |
billigen Krediten, die Tatsache also, dass die EZB - beginnend bei den | |
oberen Klassen – Geld unter die Leute bringen will, sieht man in | |
Deutschland nicht als Verteidigung des Euros, sondern als Angriff auf | |
dessen Stabilität. Man wittert Inflation, selbst wenn gleichzeitig die | |
Preise sinken. | |
Eine gängige Erklärung für diese verzerrte Wahrnehmung lautet „German | |
Angst“. Wegen der Hyperinflation der frühen 1920er Jahre hätten die | |
Deutschen eine tief sitzende, über Generationen vererbte Angst vor der | |
Inflation. Deshalb hegten sie Misstrauen gegen alles, was die | |
zahlungsfähige Nachfrage durch Schuldenmachen stärkt. Aber da heutzutage | |
kaum noch Leute leben, die über die Hyperinflation berichten können, dürfte | |
der Schatten der Vergangenheit keine ausreichende Erklärung für die | |
Popularität der „schwarzen Null“ hergeben. | |
Einleuchtender ist eine aktuellere Erklärung: Die deutsche Wirtschaft ist | |
dank ihrer Exportstärke relativ glimpflich aus der großen Finanzkrise | |
herausgekommen, und ohne eine schwere Fiskalkrise wie in anderen Ländern. | |
Daraus entsteht die Haltung: Uns geht es gut, und würden die anderen alles | |
genauso machen wie wir, ginge es ihnen auch gut. | |
Diese Haltung ist, mit dem gegenwärtigen wirtschaftlichen Erfolg im Rücken, | |
verständlich. Aber sie verhindert die Frage, ob der deutsche Weg aus der | |
Krise verallgemeinerbar ist, ob er also auch dann ein Ausweg wäre, wenn | |
sich alle Länder die Deutschen zum Vorbild nähmen. Die Antwort ist mit | |
großer Sicherheit: Nein. Doch dazu später. | |
## Den Gürtel noch enger geschnallt | |
Wem es gut geht, der hat nicht viel Anlass, nachzudenken. Das deutsche | |
Steuervolk hat sich ohne großes Murren die Kosten einer sehr, sehr teuren | |
Bankensanierung aufladen lassen. Von den sich als Global Players | |
aufspielenden Banken blieben etliche – darunter per EU-Ukas privatisierte | |
Landesbanken - auf der Strecke; andere wurden wieder auf den Boden der | |
nationalen Ökonomie zurückgeholt, allen voran die Deutsche Bank. | |
Auch das Arbeitsvolk hat ohne Murren den Gürtel noch ein bisschen enger | |
geschnallt und damit für weitere Lohnstückkostenvorteile gegenüber | |
EU-Ländern und sonstigen Konkurrenten gesorgt. Das Konsumentenvolk hat | |
angesichts der Eurokrise, lächerlicher Zinserträge und medial angeheizter | |
Inflationsängste das Problem, was man mit dem bisschen zurückgelegten Geld | |
anstellen solle, durch mehr Konsum gelöst. Damit hat es sogar die Nachfrage | |
einigermaßen stabilisiert, obwohl Finanzminister Schäuble auf der Jagd nach | |
der schwarzen Null strikte Nachfragedämpfung betrieben hat. | |
Quer durch die Medien himmeln die „Wirtschaftsexperten“ nicht nur die | |
überaus leistungsfähigen Exportunternehmen an, sie sind sich auch darin | |
einig, dass ein dauernder Exportüberschuss ein Erfolgsausweis sei. Wer das | |
bezweifelt, will den Deutschen die Butter vom durch harte Arbeit verdienten | |
Brot nehmen. Kurz, die restlichen EU- und Eurozonenländer, und zumal die | |
von Arbeitslosigkeit und Leistungsbilanzdefiziten geplagten, sollen sich | |
ein Beispiel an Deutschland nehmen, sprich: ihre „internationale | |
Wettbewerbsfähigkeit“ durch „strukturelle Reformen“ stärken. Es gehört… | |
einfach nicht, dass sie von den Deutschen mehr Investitionen und höhere | |
Löhne fordern, statt sich selbst anzustrengen und ebenfalls mehr zu | |
exportieren. | |
Zwar trompetet kaum ein Politiker noch ungedämpft, dass am deutschen Wesen | |
die Welt genesen solle, aber die entsprechenden Reformempfehlungen, | |
inklusive Schuldenbremse, haben unausgesprochen genau diesen Sinn: | |
Deutschland macht alles richtig. | |
## Angst und Schrecken | |
Vorweg der „Kanzler der Bosse“, der seine Hausaufgaben erfüllte, indem er | |
die Sozialleistungen kräftig kürzte und einen Niedriglohnsektor einführte. | |
Im neoliberalen Neusprech nennt man das „strukturelle Reformen“ zur | |
Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. | |
Tatsächlich geht es eher darum, durch Angst und Schrecken vor | |
Arbeitsplatzverlust und Verarmung einen wirtschaftlichen Entwicklungsweg | |
durchzusetzen, der sich durch eine stetig sinkende Lohnquote und dürftige | |
Wachstumsraten auszeichnet. | |
Das sollen die Franzosen und Italiener jetzt endlich nachholen, und erst | |
recht die sonstigen Problemländer der Eurozone. Das [1][deutsche Prekariat | |
muss jedenfalls nicht allein bleiben]. Es kann sich inzwischen, ganz im | |
effektiven Sinne der europäischen Integration, damit trösten, dass es den | |
Griechen, Portugiesen, Spaniern, Iren und vielen anderen noch schlechter | |
geht. | |
Eine heroische Gleichgültigkeit gegenüber Erfahrungstatsachen ist ein | |
Grundmerkmal des deutschen Wirtschaftsdenkens. Die historische Erfahrung | |
zeigt, dass mit Deflation noch keine moderne kapitalistische Ökonomie eine | |
schwere Krise überwunden hat. Deshalb ist es kein Wunder, dass fast der | |
ganze Rest der Welt die Situation in der Eurozone anders als die deutsche | |
Öffentlichkeit sieht. | |
## Aufgeblähte Rettungsballons | |
In Deutschland gilt EZB-Präsident Mario Draghi als Geisterfahrer gegen den | |
allgemeinen Strom. Der Sachverhalt ist jedoch genau umgekehrt: Außer den | |
Niederländern, den Finnen, den Luxemburgern (und einigen Balten, die mit | |
der Funktionsweise des Kapitalismus noch nicht so vertraut sind) gehen alle | |
davon aus, dass die Geisterfahrer in der globalen Wirtschaftspolitik die | |
Deutschen sind. Deren Versuch, den überschuldeten Euroländern mit | |
Austeritätspolitik im Tausch für neue Kredite aus der Krise zu helfen, gilt | |
nicht nur als untauglich, sondern geradezu als Methode, die Eurolandkrise | |
zu verschärfen - bis hin zu einer erneuten globalen Depression. | |
Gegen die allgemeine Erfahrung hilft es wenig, die dürftigen Anzeichen | |
wirtschaftlicher Erholung in den Eurokrisenländern zu Rettungsballons | |
aufzublasen. Whenever you are down enough, the only way is up. Statt sich | |
auf eine sachliche Auseinandersetzung über Sinn oder Unsinn von | |
Austeritätspolitik einzulassen, maulen die Deutschen, die überschuldeten | |
Euro-Partnerländer würden sich nur um die nötigen schmerzhaften Reformen | |
drücken und obendrein verlangen, dass „wir“ für ihre wachsenden Schulden | |
mithaften. | |
Das Leben auf Pump soll also noch belohnt werden! Das Argument ist zwar | |
populär und bringt gute Haltungsnoten für Kanzlerin und Finanzminister, | |
aber es ist so falsch wie riskant. | |
Die Logik dieser deutschen Sichtweise liefe nämlich darauf hinaus, dass es | |
am besten wäre, „wir“ kehrten zur guten, alten, harten D-Mark zurück. Aber | |
an diesem Punkt kommt das Politik- und Verbände-Räderwerk der offiziellen | |
Verlautbarungen ins Stottern. So toll wollen wir es als gute Europäer dann | |
doch nicht treiben! AfD, Gauweiler, Henkel, Sinn und Konsorten gehen zu | |
weit. Fährt Deutschland bei allem medial verstärkten Gejammer über den Euro | |
und die unsoliden Schuldnerländer womöglich doch nicht so schlecht mit der | |
Währungsunion? Und wer wären die Hauptverlierer, wenn sie platzt? | |
## Hauptnutznießer Deutschland | |
Dass die deutsche Wirtschaft ein Hauptnutznießer der gemeinsamen Währung | |
Euro war und ist, belegt ein Blick auf die deutsche Leistungsbilanz und | |
ihre Entwicklung seit Einführung des Euros. Die zeigt, mit kurzer | |
Unterbrechung in den Nachkrisenjahren 2008 und 2009, einen kontinuierlichen | |
Anstieg der Handels- und damit auch der Leistungsbilanzüberschüsse. | |
Die Währungsunion ist eine wesentliche Bedingung für diese | |
Exportüberschüsse. Sie beseitigte den unmittelbaren Aufwertungsdruck, dem | |
die D-Mark stets ausgesetzt war, wenn die Exportüberschüsse anwuchsen. Weil | |
heute auch Länder mit negativen Leistungsbilanzsaldos den Euro nutzen, | |
erzeugt die - meist ebenfalls positive, aber relativ kleine - | |
Gesamtaußenbilanz der Eurozone nicht den gleichen Aufwertungsdruck wie zu | |
D-Mark-Zeiten. | |
Die Folge: Deutsche Unternehmen können dank des (relativ zur früheren | |
D-Mark) schwachen Euro munter weiterexportieren, obwohl die deutschen | |
Überschüsse laufend ansteigen. Dies zeigt zum einen, dass die deutschen | |
Unternehmen vom Euro profitieren, zum anderen, dass der „deutsche Weg“ zum | |
wirtschaftlichen Erfolg in der Tat nicht verallgemeinerungsfähig ist. Und | |
zwar schlicht deshalb, weil nicht alle Länder gleichzeitig Export- und | |
Leistungsbilanzüberschüsse erzielen können. | |
Überschuss bedeutet: Man exportiert mehr, als man importiert, oder man | |
nimmt mehr Geld ein, als man ausgibt. Nach dem ABC des Wirtschaftslebens, | |
das in der deutschen Diskussion zu diesem Thema fast nie ausbuchstabiert | |
wird, muss es spiegelbildlich auch den umgekehrten Sachverhalt geben: Wenn | |
einer mehr verkauft, als er kauft, muss ein anderer mehr kaufen, als er | |
verkauft, oder mehr Geld ausgeben, als er einnimmt. Das nennt man | |
Schuldenmachen. | |
## Besser Arbeitszeit verschnarchen | |
Schulden sind die Kehrseite von Export- oder Leistungsbilanzüberschüssen. | |
Wer einen Überschuss erzielt, wird zum Gläubiger. In der Höhe der | |
Überschüsse entstehen Forderungen deutscher Unternehmen, inklusive | |
Finanzinstituten, an ausländische Schuldner. Aber dann kommt die spannende | |
Frage: Wann und wie werden diese Schulden bedient? Lohnt sich unterm Strich | |
der Verkauf von Waren auf Kredit? Wenn nicht, können sich die | |
Exportüberschüsse als Scheinerfolge entpuppen. | |
Die in Aussicht gestellte Belohnung für deutsche Tüchtigkeit und | |
Lohnzurückhaltung kann also einfach wegschrumpfen. Tatsächlich sieht die | |
deutsche Bilanz der letzten Jahre in dieser Hinsicht keineswegs glänzend | |
aus. Wenn man die Leistungsbilanzüberschüsse aufaddiert und mit der | |
aktuellen Summe der finanziellen Forderungen an das Ausland vergleicht, | |
zeigt sich: Ein erheblicher Teil des durch die Überschüsse gewonnenen | |
Geldes wurde schlecht „angelegt“. Unterschiedliche Schätzungen kommen auf | |
Verluste zwischen 10 und 22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Genauso gut | |
hätten die deutschen Erwerbstätigen ein Zehntel bis ein knappes Viertel | |
ihrer Arbeitszeit verschnarchen können. | |
Wie ist das zu erklären? Viele deutsche Unternehmen, die Exportüberschüsse | |
erzielen, investieren diese lieber im Ausland, als sie zu „repatriieren“. | |
Sie akkumulieren also Forderungen gegenüber fremden Ländern und zum Teil - | |
jenseits der Eurozone - in fremden Währungen. Die Überschüsse aus den | |
deutschen Exporten verwandelten sich somit in Wertpapiere und | |
Vermögensobjekte im Ausland - und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die | |
deutsche Binnennachfrage infolge des Zurückbleibens der Lohnsteigerungen | |
hinter den Produktivitätszuwächsen schwach blieb. | |
Dass die entstandenen Forderungen an ausländische Schuldner nur zum Teil | |
bedient wurden, läuft auf eine „Entwertung“ des exportierten Kapitals | |
hinaus. Das kann man natürlich auf die von den USA verursachte Finanzkrise | |
schieben, aber so schlicht lässt sich nur argumentieren, wenn man die Frage | |
übergeht, ob die Krise nicht auch durch die gewaltigen globalen | |
Ungleichgewichte in den Handels- und Finanzbeziehungen verursacht wurde. | |
## Diverse Formen der Verrücktheit | |
Dabei waren und sind die USA das Hauptschuldnerland, aber China, die | |
Opec-Länder und Deutschland spielen die komplementäre Rolle der Gläubiger. | |
Nach dem gleichen Muster funktioniert, in verkleinertem Maßstab, die | |
Eurozone: Die Schuldner sind hier die Länder der „Peripherie“, die | |
Gläubiger die Überschussländer, allen voran Deutschland. Auf globaler wie | |
auf EU-Ebene macht man es sich zu einfach, wenn man das Zusammenbrechen | |
solcher Kreditbeziehungen allein den Schuldnern anlastet. Ohne Gläubiger | |
gibt es keine Schuldner. | |
Vor der Finanzkrise gab es in den USA diese wunderbaren Derivate zu kaufen, | |
die hohe Renditen versprachen. Und aus der Peripherie der Eurozone gab es | |
reichlich Nachfrage nach Krediten, die nicht zuletzt genutzt wurden, um | |
deutsche Waren zu kaufen. Dummerweise kam dann die Krise. Mit der Folge, | |
dass ein gewaltiger Anteil der deutschen Forderungen nicht nur in den USA, | |
sondern im Zuge der Eurokrise auch in Europa entwertet wurde. | |
Diese Krise kam allerdings nicht wie der Blitz aus heiterem Himmel. Und ihr | |
Ausmaß reflektiert weitgehend diese - immer noch andauernden - | |
Ungleichgewichte im internationalen Waren- und Finanzverkehr. | |
Aus Perspektive der USA sieht die deutsche Rolle in der Finanzkrise so aus: | |
„Deutschland liefert BMW- und Mercedes-Benz-Autos und bekommt dafür | |
Papierdollar-Schuldscheine.“ Oder auch: „Im Augenblick der Versuchung wurde | |
Deutschland zu einer Art Spiegelbild Islands und Irlands und Griechenlands | |
- und der USA. Andere Länder benutzten fremdes Geld als Treibstoff für | |
diverse Formen von Verrücktheit. Die Deutschen benutzten mit Hilfe ihrer | |
Banker ihr eigenes Geld, um Ausländern verrücktes Verhalten zu | |
ermöglichen.“ | |
## Gläubiger sind kein Thema | |
Die Lehre: Exportüberschüsse werden per Kredit an die Käufer finanziert. | |
Welchen Gegenwert man letztlich bekommt, ob und wie diese Kredite jemals | |
bedient werden, steht in den Sternen. Wer Kredite vergibt ohne hinreichend | |
auf die Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers zu achten, wirkt auf genauso | |
unverantwortliche Weise am Aufpumpen einer Blase mit wie der Kreditnehmer. | |
Wie zu jedem Schuldner ein Gläubiger gehört, so gehören zu unsoliden | |
Schuldnern auch unsolide Gläubiger. | |
Im Fall der Eurokrise ist allerdings die Rolle der Gläubiger kein Thema. | |
Aus gutem Grund. Die Banken, allen voran die französischen und deutschen, | |
haben den Boom und die Immobilienblasen durch Kredite in die | |
Peripherie-Länder finanziert. An diesen Krediten haben sie gut verdient. | |
Sie bekamen ihre Zinsen und Provisionen. Erst das Platzen der Blase | |
offenbarte schlagartig das Risiko: Schuldner können bankrottgehen, dann | |
müssen die Forderungen an sie abgeschrieben werden. | |
Den Banken aus dem Kern der Eurozone gelang es jedoch, sich rechtzeitig aus | |
ihren riskanten Engagements zu lösen - aber nur mit Hilfe der Staaten. Die | |
Schuldnerländer wurden durch noch mehr, aber diesmal öffentliche Kredite | |
"gerettet". Damit konnten sie die dringendsten Forderungen ihrer | |
Gläubigerbanken bedienen, bevor diese durch die anstehenden Verluste in | |
ihrer Existenz bedroht wurden. | |
Wirklich gerettet wurden also die Banken. Ihnen wurde die Gläubigerrolle | |
durch die Eurostaaten abgenommen. Damit aber nicht gleich offenbar wird, | |
dass wieder einmal die Steuerzahler auslöffeln müssen, was die Banken | |
angerichtet haben, bemühen sich die Finanzpolitiker, den Leuten | |
weiszumachen, die Schuldnerländer seien an allem schuld. Die müsse man | |
deshalb durch politische Gängelung auf den Pfad der fiskalischen Tugend | |
zurückzwingen und so in die Lage versetzen, das an sie verliehene Geld | |
irgendwann zurückzuzahlen. | |
## Der unwissende Hausvater | |
Nach der Finanz- und erneut nach der Eurokrise konnten die Banken also ihre | |
faulen Kredite in der einen oder anderen Form an die öffentlichen Hände | |
weiterreichen. Dafür wurden den Problemländern noch mehr Schulden und | |
Austeritätsprogramme verordnet. | |
Kommen wir von den Exportüberschüssen zurück zur schwarzen Null. | |
Exportüberschüsse werden von ihren Befürwortern, unter Absehung der | |
aufgelaufenen Vermögensverluste, gern als vorsorgliche Anhäufung von | |
Forderungen an das Ausland interpretiert. Die kann man dann in schlechten | |
Zeiten einlösen - ein probates Rezept für sogenannte alternde | |
Gesellschaften. Wenn es so einfach wäre, hätten wir es hier mit dem | |
sprichwörtlichen fürsorglichen Hausvater zu tun, der Zeit seines Lebens auf | |
die schwarze Null achtet. Die Krisen, und sie können sich jederzeit | |
wiederholen, zeigen jedoch: Wenn die Schuldner zahlungsunfähig sind, | |
verlieren auch die Gläubiger, selbst wenn sie sich eben noch stark fühlen. | |
Irgendwann wird Bilanz gezogen, und dann gilt: Wer exportiert hat, ohne | |
einen Gegenwert zu bekommen, hätte vielleicht besser gleich Luftgitarre | |
spielen sollen. | |
Die schwarze Null ist in Deutschland so populär, weil sie als Ausweis | |
soliden Wirtschaftens gilt. Der bedachtsame Hausvater macht keine Schulden, | |
und der Übervater Staat sollte es ebenso halten. Dabei wird übersehen, dass | |
die Erfolgsgeschichte des Kapitalismus zu einem großen Teil darauf beruht, | |
dass Kredite es ermöglichen, ohne vorherige Anhäufung von Eigenmitteln | |
sowohl Unternehmen zu gründen oder auszuweiten als auch zu konsumieren. | |
Schumpeters dynamische Unternehmer, die aus der Geschichte des Kapitalismus | |
eine sich immer wiederholende Geschichte der „kreativen Zerstörung“ machen, | |
kämen ohne Kredite nie zum Zug. Ein paralleles, plausibles Modell - das | |
sogar zum Hausvater passt - ist der Erwerb eines Eigenheims durch eine | |
junge Familie. Wenn die Familie warten müsste, bis sie aus ihrem laufenden | |
Einkommen genug Mittel gespart hat, um das Eigenheim ohne Kredit zu | |
bezahlen, wären die Kinder aus dem Haus und das Haus zu nichts nutze. | |
## Fiskalischer Sadismus | |
Wenn es also auch „gute“ Schulden gibt, wozu dann die Schuldenbremse und | |
der Fiskalpakt? Statt vernünftiger Entscheidungen über die Aufnahme von | |
Krediten, etwa um dem Gemeinwohl dienende Investitionen zu ermöglichen? | |
Können die politischen Entscheidungsträger, samt den Spitzen der | |
Bundesbank, nicht zwischen guten und schlechten Schulden unterscheiden? | |
Das ist kaum zu glauben, weil die Unterscheidung ziemlich einfach ist. | |
Bedenklich ist die Aufnahme von Krediten dann, wenn die Zinsbelastungen | |
höher sind als die - erwarteten - Einkommenszuwächse. Und das gilt für | |
Staaten ebenso wie für Privatpersonen. | |
Gegenwärtig liegen die Zinssätze bei null, die erwartete Wachstumsrate des | |
BIPs ist zwar schwach, aber positiv, und es herrscht kein Mangel an | |
staatlichen Aufgaben, die öffentliche Investitionen erfordern, vor allem in | |
Infrastruktur, Innovationen und Bildung. Unter diesen Umständen ist die | |
Verweigerung von defizitfinanzierten Investitionen und das Streben nach der | |
schwarzen Null nichts als fiskalischer Sadismus. Der umso merkwürdiger ist | |
angesichts der Kredite, die Leistungsbilanzüberschüsse ermöglichen, und | |
angesichts der Politik gegenüber den „Problemländern“, die auf „Rettung… | |
mittels immer neuer Kredite setzt. | |
Wundert man sich da noch, dass Mario Draghi und der EZB kaum etwas anderes | |
übrig bleibt als das problematische „Quantitative Easing“? Die Zentralbank | |
will die Kreditflüsse wieder in Gang bringen, indem sie Staatsanleihen und | |
ähnlich bewertete Papiere in großer Menge kauft und damit viel zusätzliches | |
Geld in Umlauf bringt. Dagegen trägt der deutsche Staat zu der in Europa | |
notwendigen Nachfragebelebung noch nicht mal durch öffentliche | |
Investitionen bei und beharrt vielmehr auf der Bedienung nicht bezahlbarer | |
Schulden. Deshalb wird das „Quantitative Easing“ gegen die Gefahr der | |
Deflation und Stagnation in der Eurozone kaum ausreichen. Aber die EZB tut | |
wenigstens was. Und das ist allemal besser als die Politik der schwarzen | |
Null. | |
22 Mar 2015 | |
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## AUTOREN | |
Heiner Ganßmann | |
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