| # taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Geisterfahrer in der Wirtschaftspolitik | |
| > Deutschland hat von den Schulden anderer EU-Länder profitiert. Mit seiner | |
| > Austeritätspolitik verschärft es die Euroland-Krise nur weiter. | |
| Bild: Viele, viele Exportgüter im Containerterminal Hamburg. | |
| Wenn das Reichwerden oder Reichbleiben davon abhinge, dass man versteht, | |
| was Geld ist und wie es in unseren Zeiten funktioniert, müssten die meisten | |
| Deutschen längst verarmt sein. In der Kommunikation über Wirtschaftsfragen | |
| im Allgemeinen und über Geld im Besonderen äußert sich hierzulande fast nur | |
| Unverstand. Besonders deutlich wird das, wenn Positionen zur | |
| Staatsverschuldung, zur Eurokrise und zur Politik der Europäischen | |
| Zentralbank (EZB) bezogen werden. Die Flutung der Euro-Finanzwelt mit | |
| billigen Krediten, die Tatsache also, dass die EZB - beginnend bei den | |
| oberen Klassen – Geld unter die Leute bringen will, sieht man in | |
| Deutschland nicht als Verteidigung des Euros, sondern als Angriff auf | |
| dessen Stabilität. Man wittert Inflation, selbst wenn gleichzeitig die | |
| Preise sinken. | |
| Eine gängige Erklärung für diese verzerrte Wahrnehmung lautet „German | |
| Angst“. Wegen der Hyperinflation der frühen 1920er Jahre hätten die | |
| Deutschen eine tief sitzende, über Generationen vererbte Angst vor der | |
| Inflation. Deshalb hegten sie Misstrauen gegen alles, was die | |
| zahlungsfähige Nachfrage durch Schuldenmachen stärkt. Aber da heutzutage | |
| kaum noch Leute leben, die über die Hyperinflation berichten können, dürfte | |
| der Schatten der Vergangenheit keine ausreichende Erklärung für die | |
| Popularität der „schwarzen Null“ hergeben. | |
| Einleuchtender ist eine aktuellere Erklärung: Die deutsche Wirtschaft ist | |
| dank ihrer Exportstärke relativ glimpflich aus der großen Finanzkrise | |
| herausgekommen, und ohne eine schwere Fiskalkrise wie in anderen Ländern. | |
| Daraus entsteht die Haltung: Uns geht es gut, und würden die anderen alles | |
| genauso machen wie wir, ginge es ihnen auch gut. | |
| Diese Haltung ist, mit dem gegenwärtigen wirtschaftlichen Erfolg im Rücken, | |
| verständlich. Aber sie verhindert die Frage, ob der deutsche Weg aus der | |
| Krise verallgemeinerbar ist, ob er also auch dann ein Ausweg wäre, wenn | |
| sich alle Länder die Deutschen zum Vorbild nähmen. Die Antwort ist mit | |
| großer Sicherheit: Nein. Doch dazu später. | |
| ## Den Gürtel noch enger geschnallt | |
| Wem es gut geht, der hat nicht viel Anlass, nachzudenken. Das deutsche | |
| Steuervolk hat sich ohne großes Murren die Kosten einer sehr, sehr teuren | |
| Bankensanierung aufladen lassen. Von den sich als Global Players | |
| aufspielenden Banken blieben etliche – darunter per EU-Ukas privatisierte | |
| Landesbanken - auf der Strecke; andere wurden wieder auf den Boden der | |
| nationalen Ökonomie zurückgeholt, allen voran die Deutsche Bank. | |
| Auch das Arbeitsvolk hat ohne Murren den Gürtel noch ein bisschen enger | |
| geschnallt und damit für weitere Lohnstückkostenvorteile gegenüber | |
| EU-Ländern und sonstigen Konkurrenten gesorgt. Das Konsumentenvolk hat | |
| angesichts der Eurokrise, lächerlicher Zinserträge und medial angeheizter | |
| Inflationsängste das Problem, was man mit dem bisschen zurückgelegten Geld | |
| anstellen solle, durch mehr Konsum gelöst. Damit hat es sogar die Nachfrage | |
| einigermaßen stabilisiert, obwohl Finanzminister Schäuble auf der Jagd nach | |
| der schwarzen Null strikte Nachfragedämpfung betrieben hat. | |
| Quer durch die Medien himmeln die „Wirtschaftsexperten“ nicht nur die | |
| überaus leistungsfähigen Exportunternehmen an, sie sind sich auch darin | |
| einig, dass ein dauernder Exportüberschuss ein Erfolgsausweis sei. Wer das | |
| bezweifelt, will den Deutschen die Butter vom durch harte Arbeit verdienten | |
| Brot nehmen. Kurz, die restlichen EU- und Eurozonenländer, und zumal die | |
| von Arbeitslosigkeit und Leistungsbilanzdefiziten geplagten, sollen sich | |
| ein Beispiel an Deutschland nehmen, sprich: ihre „internationale | |
| Wettbewerbsfähigkeit“ durch „strukturelle Reformen“ stärken. Es gehört… | |
| einfach nicht, dass sie von den Deutschen mehr Investitionen und höhere | |
| Löhne fordern, statt sich selbst anzustrengen und ebenfalls mehr zu | |
| exportieren. | |
| Zwar trompetet kaum ein Politiker noch ungedämpft, dass am deutschen Wesen | |
| die Welt genesen solle, aber die entsprechenden Reformempfehlungen, | |
| inklusive Schuldenbremse, haben unausgesprochen genau diesen Sinn: | |
| Deutschland macht alles richtig. | |
| ## Angst und Schrecken | |
| Vorweg der „Kanzler der Bosse“, der seine Hausaufgaben erfüllte, indem er | |
| die Sozialleistungen kräftig kürzte und einen Niedriglohnsektor einführte. | |
| Im neoliberalen Neusprech nennt man das „strukturelle Reformen“ zur | |
| Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. | |
| Tatsächlich geht es eher darum, durch Angst und Schrecken vor | |
| Arbeitsplatzverlust und Verarmung einen wirtschaftlichen Entwicklungsweg | |
| durchzusetzen, der sich durch eine stetig sinkende Lohnquote und dürftige | |
| Wachstumsraten auszeichnet. | |
| Das sollen die Franzosen und Italiener jetzt endlich nachholen, und erst | |
| recht die sonstigen Problemländer der Eurozone. Das [1][deutsche Prekariat | |
| muss jedenfalls nicht allein bleiben]. Es kann sich inzwischen, ganz im | |
| effektiven Sinne der europäischen Integration, damit trösten, dass es den | |
| Griechen, Portugiesen, Spaniern, Iren und vielen anderen noch schlechter | |
| geht. | |
| Eine heroische Gleichgültigkeit gegenüber Erfahrungstatsachen ist ein | |
| Grundmerkmal des deutschen Wirtschaftsdenkens. Die historische Erfahrung | |
| zeigt, dass mit Deflation noch keine moderne kapitalistische Ökonomie eine | |
| schwere Krise überwunden hat. Deshalb ist es kein Wunder, dass fast der | |
| ganze Rest der Welt die Situation in der Eurozone anders als die deutsche | |
| Öffentlichkeit sieht. | |
| ## Aufgeblähte Rettungsballons | |
| In Deutschland gilt EZB-Präsident Mario Draghi als Geisterfahrer gegen den | |
| allgemeinen Strom. Der Sachverhalt ist jedoch genau umgekehrt: Außer den | |
| Niederländern, den Finnen, den Luxemburgern (und einigen Balten, die mit | |
| der Funktionsweise des Kapitalismus noch nicht so vertraut sind) gehen alle | |
| davon aus, dass die Geisterfahrer in der globalen Wirtschaftspolitik die | |
| Deutschen sind. Deren Versuch, den überschuldeten Euroländern mit | |
| Austeritätspolitik im Tausch für neue Kredite aus der Krise zu helfen, gilt | |
| nicht nur als untauglich, sondern geradezu als Methode, die Eurolandkrise | |
| zu verschärfen - bis hin zu einer erneuten globalen Depression. | |
| Gegen die allgemeine Erfahrung hilft es wenig, die dürftigen Anzeichen | |
| wirtschaftlicher Erholung in den Eurokrisenländern zu Rettungsballons | |
| aufzublasen. Whenever you are down enough, the only way is up. Statt sich | |
| auf eine sachliche Auseinandersetzung über Sinn oder Unsinn von | |
| Austeritätspolitik einzulassen, maulen die Deutschen, die überschuldeten | |
| Euro-Partnerländer würden sich nur um die nötigen schmerzhaften Reformen | |
| drücken und obendrein verlangen, dass „wir“ für ihre wachsenden Schulden | |
| mithaften. | |
| Das Leben auf Pump soll also noch belohnt werden! Das Argument ist zwar | |
| populär und bringt gute Haltungsnoten für Kanzlerin und Finanzminister, | |
| aber es ist so falsch wie riskant. | |
| Die Logik dieser deutschen Sichtweise liefe nämlich darauf hinaus, dass es | |
| am besten wäre, „wir“ kehrten zur guten, alten, harten D-Mark zurück. Aber | |
| an diesem Punkt kommt das Politik- und Verbände-Räderwerk der offiziellen | |
| Verlautbarungen ins Stottern. So toll wollen wir es als gute Europäer dann | |
| doch nicht treiben! AfD, Gauweiler, Henkel, Sinn und Konsorten gehen zu | |
| weit. Fährt Deutschland bei allem medial verstärkten Gejammer über den Euro | |
| und die unsoliden Schuldnerländer womöglich doch nicht so schlecht mit der | |
| Währungsunion? Und wer wären die Hauptverlierer, wenn sie platzt? | |
| ## Hauptnutznießer Deutschland | |
| Dass die deutsche Wirtschaft ein Hauptnutznießer der gemeinsamen Währung | |
| Euro war und ist, belegt ein Blick auf die deutsche Leistungsbilanz und | |
| ihre Entwicklung seit Einführung des Euros. Die zeigt, mit kurzer | |
| Unterbrechung in den Nachkrisenjahren 2008 und 2009, einen kontinuierlichen | |
| Anstieg der Handels- und damit auch der Leistungsbilanzüberschüsse. | |
| Die Währungsunion ist eine wesentliche Bedingung für diese | |
| Exportüberschüsse. Sie beseitigte den unmittelbaren Aufwertungsdruck, dem | |
| die D-Mark stets ausgesetzt war, wenn die Exportüberschüsse anwuchsen. Weil | |
| heute auch Länder mit negativen Leistungsbilanzsaldos den Euro nutzen, | |
| erzeugt die - meist ebenfalls positive, aber relativ kleine - | |
| Gesamtaußenbilanz der Eurozone nicht den gleichen Aufwertungsdruck wie zu | |
| D-Mark-Zeiten. | |
| Die Folge: Deutsche Unternehmen können dank des (relativ zur früheren | |
| D-Mark) schwachen Euro munter weiterexportieren, obwohl die deutschen | |
| Überschüsse laufend ansteigen. Dies zeigt zum einen, dass die deutschen | |
| Unternehmen vom Euro profitieren, zum anderen, dass der „deutsche Weg“ zum | |
| wirtschaftlichen Erfolg in der Tat nicht verallgemeinerungsfähig ist. Und | |
| zwar schlicht deshalb, weil nicht alle Länder gleichzeitig Export- und | |
| Leistungsbilanzüberschüsse erzielen können. | |
| Überschuss bedeutet: Man exportiert mehr, als man importiert, oder man | |
| nimmt mehr Geld ein, als man ausgibt. Nach dem ABC des Wirtschaftslebens, | |
| das in der deutschen Diskussion zu diesem Thema fast nie ausbuchstabiert | |
| wird, muss es spiegelbildlich auch den umgekehrten Sachverhalt geben: Wenn | |
| einer mehr verkauft, als er kauft, muss ein anderer mehr kaufen, als er | |
| verkauft, oder mehr Geld ausgeben, als er einnimmt. Das nennt man | |
| Schuldenmachen. | |
| ## Besser Arbeitszeit verschnarchen | |
| Schulden sind die Kehrseite von Export- oder Leistungsbilanzüberschüssen. | |
| Wer einen Überschuss erzielt, wird zum Gläubiger. In der Höhe der | |
| Überschüsse entstehen Forderungen deutscher Unternehmen, inklusive | |
| Finanzinstituten, an ausländische Schuldner. Aber dann kommt die spannende | |
| Frage: Wann und wie werden diese Schulden bedient? Lohnt sich unterm Strich | |
| der Verkauf von Waren auf Kredit? Wenn nicht, können sich die | |
| Exportüberschüsse als Scheinerfolge entpuppen. | |
| Die in Aussicht gestellte Belohnung für deutsche Tüchtigkeit und | |
| Lohnzurückhaltung kann also einfach wegschrumpfen. Tatsächlich sieht die | |
| deutsche Bilanz der letzten Jahre in dieser Hinsicht keineswegs glänzend | |
| aus. Wenn man die Leistungsbilanzüberschüsse aufaddiert und mit der | |
| aktuellen Summe der finanziellen Forderungen an das Ausland vergleicht, | |
| zeigt sich: Ein erheblicher Teil des durch die Überschüsse gewonnenen | |
| Geldes wurde schlecht „angelegt“. Unterschiedliche Schätzungen kommen auf | |
| Verluste zwischen 10 und 22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Genauso gut | |
| hätten die deutschen Erwerbstätigen ein Zehntel bis ein knappes Viertel | |
| ihrer Arbeitszeit verschnarchen können. | |
| Wie ist das zu erklären? Viele deutsche Unternehmen, die Exportüberschüsse | |
| erzielen, investieren diese lieber im Ausland, als sie zu „repatriieren“. | |
| Sie akkumulieren also Forderungen gegenüber fremden Ländern und zum Teil - | |
| jenseits der Eurozone - in fremden Währungen. Die Überschüsse aus den | |
| deutschen Exporten verwandelten sich somit in Wertpapiere und | |
| Vermögensobjekte im Ausland - und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die | |
| deutsche Binnennachfrage infolge des Zurückbleibens der Lohnsteigerungen | |
| hinter den Produktivitätszuwächsen schwach blieb. | |
| Dass die entstandenen Forderungen an ausländische Schuldner nur zum Teil | |
| bedient wurden, läuft auf eine „Entwertung“ des exportierten Kapitals | |
| hinaus. Das kann man natürlich auf die von den USA verursachte Finanzkrise | |
| schieben, aber so schlicht lässt sich nur argumentieren, wenn man die Frage | |
| übergeht, ob die Krise nicht auch durch die gewaltigen globalen | |
| Ungleichgewichte in den Handels- und Finanzbeziehungen verursacht wurde. | |
| ## Diverse Formen der Verrücktheit | |
| Dabei waren und sind die USA das Hauptschuldnerland, aber China, die | |
| Opec-Länder und Deutschland spielen die komplementäre Rolle der Gläubiger. | |
| Nach dem gleichen Muster funktioniert, in verkleinertem Maßstab, die | |
| Eurozone: Die Schuldner sind hier die Länder der „Peripherie“, die | |
| Gläubiger die Überschussländer, allen voran Deutschland. Auf globaler wie | |
| auf EU-Ebene macht man es sich zu einfach, wenn man das Zusammenbrechen | |
| solcher Kreditbeziehungen allein den Schuldnern anlastet. Ohne Gläubiger | |
| gibt es keine Schuldner. | |
| Vor der Finanzkrise gab es in den USA diese wunderbaren Derivate zu kaufen, | |
| die hohe Renditen versprachen. Und aus der Peripherie der Eurozone gab es | |
| reichlich Nachfrage nach Krediten, die nicht zuletzt genutzt wurden, um | |
| deutsche Waren zu kaufen. Dummerweise kam dann die Krise. Mit der Folge, | |
| dass ein gewaltiger Anteil der deutschen Forderungen nicht nur in den USA, | |
| sondern im Zuge der Eurokrise auch in Europa entwertet wurde. | |
| Diese Krise kam allerdings nicht wie der Blitz aus heiterem Himmel. Und ihr | |
| Ausmaß reflektiert weitgehend diese - immer noch andauernden - | |
| Ungleichgewichte im internationalen Waren- und Finanzverkehr. | |
| Aus Perspektive der USA sieht die deutsche Rolle in der Finanzkrise so aus: | |
| „Deutschland liefert BMW- und Mercedes-Benz-Autos und bekommt dafür | |
| Papierdollar-Schuldscheine.“ Oder auch: „Im Augenblick der Versuchung wurde | |
| Deutschland zu einer Art Spiegelbild Islands und Irlands und Griechenlands | |
| - und der USA. Andere Länder benutzten fremdes Geld als Treibstoff für | |
| diverse Formen von Verrücktheit. Die Deutschen benutzten mit Hilfe ihrer | |
| Banker ihr eigenes Geld, um Ausländern verrücktes Verhalten zu | |
| ermöglichen.“ | |
| ## Gläubiger sind kein Thema | |
| Die Lehre: Exportüberschüsse werden per Kredit an die Käufer finanziert. | |
| Welchen Gegenwert man letztlich bekommt, ob und wie diese Kredite jemals | |
| bedient werden, steht in den Sternen. Wer Kredite vergibt ohne hinreichend | |
| auf die Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers zu achten, wirkt auf genauso | |
| unverantwortliche Weise am Aufpumpen einer Blase mit wie der Kreditnehmer. | |
| Wie zu jedem Schuldner ein Gläubiger gehört, so gehören zu unsoliden | |
| Schuldnern auch unsolide Gläubiger. | |
| Im Fall der Eurokrise ist allerdings die Rolle der Gläubiger kein Thema. | |
| Aus gutem Grund. Die Banken, allen voran die französischen und deutschen, | |
| haben den Boom und die Immobilienblasen durch Kredite in die | |
| Peripherie-Länder finanziert. An diesen Krediten haben sie gut verdient. | |
| Sie bekamen ihre Zinsen und Provisionen. Erst das Platzen der Blase | |
| offenbarte schlagartig das Risiko: Schuldner können bankrottgehen, dann | |
| müssen die Forderungen an sie abgeschrieben werden. | |
| Den Banken aus dem Kern der Eurozone gelang es jedoch, sich rechtzeitig aus | |
| ihren riskanten Engagements zu lösen - aber nur mit Hilfe der Staaten. Die | |
| Schuldnerländer wurden durch noch mehr, aber diesmal öffentliche Kredite | |
| "gerettet". Damit konnten sie die dringendsten Forderungen ihrer | |
| Gläubigerbanken bedienen, bevor diese durch die anstehenden Verluste in | |
| ihrer Existenz bedroht wurden. | |
| Wirklich gerettet wurden also die Banken. Ihnen wurde die Gläubigerrolle | |
| durch die Eurostaaten abgenommen. Damit aber nicht gleich offenbar wird, | |
| dass wieder einmal die Steuerzahler auslöffeln müssen, was die Banken | |
| angerichtet haben, bemühen sich die Finanzpolitiker, den Leuten | |
| weiszumachen, die Schuldnerländer seien an allem schuld. Die müsse man | |
| deshalb durch politische Gängelung auf den Pfad der fiskalischen Tugend | |
| zurückzwingen und so in die Lage versetzen, das an sie verliehene Geld | |
| irgendwann zurückzuzahlen. | |
| ## Der unwissende Hausvater | |
| Nach der Finanz- und erneut nach der Eurokrise konnten die Banken also ihre | |
| faulen Kredite in der einen oder anderen Form an die öffentlichen Hände | |
| weiterreichen. Dafür wurden den Problemländern noch mehr Schulden und | |
| Austeritätsprogramme verordnet. | |
| Kommen wir von den Exportüberschüssen zurück zur schwarzen Null. | |
| Exportüberschüsse werden von ihren Befürwortern, unter Absehung der | |
| aufgelaufenen Vermögensverluste, gern als vorsorgliche Anhäufung von | |
| Forderungen an das Ausland interpretiert. Die kann man dann in schlechten | |
| Zeiten einlösen - ein probates Rezept für sogenannte alternde | |
| Gesellschaften. Wenn es so einfach wäre, hätten wir es hier mit dem | |
| sprichwörtlichen fürsorglichen Hausvater zu tun, der Zeit seines Lebens auf | |
| die schwarze Null achtet. Die Krisen, und sie können sich jederzeit | |
| wiederholen, zeigen jedoch: Wenn die Schuldner zahlungsunfähig sind, | |
| verlieren auch die Gläubiger, selbst wenn sie sich eben noch stark fühlen. | |
| Irgendwann wird Bilanz gezogen, und dann gilt: Wer exportiert hat, ohne | |
| einen Gegenwert zu bekommen, hätte vielleicht besser gleich Luftgitarre | |
| spielen sollen. | |
| Die schwarze Null ist in Deutschland so populär, weil sie als Ausweis | |
| soliden Wirtschaftens gilt. Der bedachtsame Hausvater macht keine Schulden, | |
| und der Übervater Staat sollte es ebenso halten. Dabei wird übersehen, dass | |
| die Erfolgsgeschichte des Kapitalismus zu einem großen Teil darauf beruht, | |
| dass Kredite es ermöglichen, ohne vorherige Anhäufung von Eigenmitteln | |
| sowohl Unternehmen zu gründen oder auszuweiten als auch zu konsumieren. | |
| Schumpeters dynamische Unternehmer, die aus der Geschichte des Kapitalismus | |
| eine sich immer wiederholende Geschichte der „kreativen Zerstörung“ machen, | |
| kämen ohne Kredite nie zum Zug. Ein paralleles, plausibles Modell - das | |
| sogar zum Hausvater passt - ist der Erwerb eines Eigenheims durch eine | |
| junge Familie. Wenn die Familie warten müsste, bis sie aus ihrem laufenden | |
| Einkommen genug Mittel gespart hat, um das Eigenheim ohne Kredit zu | |
| bezahlen, wären die Kinder aus dem Haus und das Haus zu nichts nutze. | |
| ## Fiskalischer Sadismus | |
| Wenn es also auch „gute“ Schulden gibt, wozu dann die Schuldenbremse und | |
| der Fiskalpakt? Statt vernünftiger Entscheidungen über die Aufnahme von | |
| Krediten, etwa um dem Gemeinwohl dienende Investitionen zu ermöglichen? | |
| Können die politischen Entscheidungsträger, samt den Spitzen der | |
| Bundesbank, nicht zwischen guten und schlechten Schulden unterscheiden? | |
| Das ist kaum zu glauben, weil die Unterscheidung ziemlich einfach ist. | |
| Bedenklich ist die Aufnahme von Krediten dann, wenn die Zinsbelastungen | |
| höher sind als die - erwarteten - Einkommenszuwächse. Und das gilt für | |
| Staaten ebenso wie für Privatpersonen. | |
| Gegenwärtig liegen die Zinssätze bei null, die erwartete Wachstumsrate des | |
| BIPs ist zwar schwach, aber positiv, und es herrscht kein Mangel an | |
| staatlichen Aufgaben, die öffentliche Investitionen erfordern, vor allem in | |
| Infrastruktur, Innovationen und Bildung. Unter diesen Umständen ist die | |
| Verweigerung von defizitfinanzierten Investitionen und das Streben nach der | |
| schwarzen Null nichts als fiskalischer Sadismus. Der umso merkwürdiger ist | |
| angesichts der Kredite, die Leistungsbilanzüberschüsse ermöglichen, und | |
| angesichts der Politik gegenüber den „Problemländern“, die auf „Rettung… | |
| mittels immer neuer Kredite setzt. | |
| Wundert man sich da noch, dass Mario Draghi und der EZB kaum etwas anderes | |
| übrig bleibt als das problematische „Quantitative Easing“? Die Zentralbank | |
| will die Kreditflüsse wieder in Gang bringen, indem sie Staatsanleihen und | |
| ähnlich bewertete Papiere in großer Menge kauft und damit viel zusätzliches | |
| Geld in Umlauf bringt. Dagegen trägt der deutsche Staat zu der in Europa | |
| notwendigen Nachfragebelebung noch nicht mal durch öffentliche | |
| Investitionen bei und beharrt vielmehr auf der Bedienung nicht bezahlbarer | |
| Schulden. Deshalb wird das „Quantitative Easing“ gegen die Gefahr der | |
| Deflation und Stagnation in der Eurozone kaum ausreichen. Aber die EZB tut | |
| wenigstens was. Und das ist allemal besser als die Politik der schwarzen | |
| Null. | |
| 22 Mar 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.boeckler.de/41907_43254.htm | |
| ## AUTOREN | |
| Heiner Ganßmann | |
| ## TAGS | |
| Euro-Krise | |
| Europa | |
| Deutschland | |
| Austeritätspolitik | |
| Börse | |
| Schwerpunkt Finanzkrise | |
| Marshallplan | |
| Rechtspopulisten | |
| Austeritätspolitik | |
| EU | |
| Schwerpunkt AfD | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Debatte Spekulationsgeschäfte: Deutsche Trottel | |
| Die echten Spekulanten waren raffinierter als im Film „Big Short“. Die | |
| Kunst war nicht, den Crash zu erahnen – sondern auf ihn zu wetten. | |
| Ökonom Pedro Páez über Finanzkrisen: „Europa kann von Südamerika lernen“ | |
| Sparpolitik, Währungskrise: Die Länder Lateinamerikas haben durchgemacht, | |
| was Europa mit seinem Euro-Debakel möglicherweise noch droht. | |
| Ökonom über Bruttoinlandsprodukt: „Eine erfundene Realität“ | |
| Philipp Lepenies erklärt die Widersprüche des BIP, seine Bedeutung im | |
| Kalten Krieg und die Blindheit des Messinstruments gegenüber | |
| Einkommensungleichheit. | |
| Kommentar Peter Gauweiler: Lafontaine der Rechten | |
| Die CSU muss jetzt aufpassen, dass Peter Gauweiler nicht komplett mit der | |
| Partei bricht und sich rechts davon eine neue Heimat sucht. | |
| Vor dem deutsch-griechischen Gipfel: Griechische Gastgeschenke | |
| Steuererhöhung, Rente mit 67, Privatisierungen: Vor dem Treffen von | |
| Griechenlands Ministerpräsidenten Tsipras mit Merkel werden Details zur | |
| Reformliste bekannt. | |
| Kommentar deutsch-griechischer Gipfel: Gegen die Logik des Feindbilds | |
| Die Kommunikation zwischen den beiden Ländern war oft desaströs. Jetzt | |
| kommt Tsipras nach Berlin. Empathie ist nun als Grundlage europäischen | |
| Denkens gefragt. | |
| Richtungsstreit bei AfD: „Keine Bedenken“ mehr | |
| Der AfD-Politiker Gauland tritt bei der „Staats- und Wirtschaftspolitischen | |
| Gesellschaft“ in Hamburg auf. Bislang wurde der rechte Verein gemieden. |