# taz.de -- Embryonencheck im Reagenzglas: „Jetzt fehlen noch die Spielregeln… | |
> In Lübeck warten die Reproduktionsmediziner noch auf eine Verordnung, um | |
> die PID durchführen zu können, sagt der Reproduktionsmediziner Professor | |
> Klaus Diedrich. | |
Bild: Die von einer Frau entnommenen Eizellen werden für die künstliche Befru… | |
taz: Herr Professor Diedrich, in Lübeck wurde im Januar das erste PID-Baby | |
geboren, ein Mädchen. Wissen Sie, wie es ihm mittlerweile geht? | |
Klaus Diedrich: Ich stehe in enger Verbindung mit der Familie, die Eltern | |
sind glücklich und dem Kind geht es gut. | |
Das Kind wurde nicht auf natürlichem Wege gezeugt und gezielt im | |
Reagenzglas ausgewählt. Können Sie kurz beschreiben, wie das passiert? | |
Es handelte sich um ein Paar mit Kinderwunsch. Während der ersten | |
Schwangerschaft stellte man im Rahmen einer Ultraschalluntersuchung eine | |
Hydrops, eine Wasseransammlung, fest. Die Schwangerschaft wurde nach | |
medizinischer Indikation abgebrochen. Eine Chromosomenanalyse fand nicht | |
statt. Bei der zweiten Schwangerschaft ereignete sich dasselbe wieder, und | |
die Schwangerschaft wurde – obwohl die Chromosomenanalyse keine | |
Auffälligkeiten aufwies – in der 15. Woche abgebrochen. Die Frau wurde zum | |
dritten Mal schwanger, mit denselben Auffälligkeiten in der 18. Woche. Die | |
Schwangerschaft wurde abgebrochen, weil davon ausgegangen wurde, dass das | |
Kind nicht überleben würde. Der Fötus wurde nach Marburg zu Frau Professor | |
Rehder zur Untersuchung geschickt, die das Desbuquois-Syndrom | |
diagnostizierte. | |
Das ist eine monogenetische Erkrankung … | |
Ja, wenn die Anlagen beider Eltern aufeinandertreffen, führt dies zu | |
Fehlbildungen im Bereich des Thorax, des Herzens und der Extremitäten. Bei | |
dieser spezifischen Ausformung der Krankheit überleben die Kinder nur | |
einige wenige Tage, falls überhaupt. Eltern mit dieser Anlage müssen mit | |
einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent mit dem Auftreten bei ihrem Kind | |
rechnen. Wirklich nachgewiesen wurde das in diesem Fall nur einmal, nämlich | |
in der dritten Schwangerschaft. | |
Warum kam das Paar überhaupt zu Ihnen in die Klinik? | |
Es folgte eine genetische Beratung in Hannover. Es gibt zwei Möglichkeiten: | |
Pränataldiagnostik (PND) mit anschließendem Schwangerschaftsabbruch oder | |
eben die Präimplantationsdiagnostik (PID), also die Untersuchung der | |
Embryonen im Reagenzglas. Das Paar kam zu uns, weil wir dafür bekannt sind, | |
die Polkörperdiagnostik zu machen, das heißt, wir können vorab untersuchen, | |
ob die Eizelle mit dieser Mutation belastet ist. Von den Eigenschaften der | |
Samenzelle wissen wir natürlich nichts. Wir haben dann noch einmal eine | |
Chromosomen- und Genuntersuchung durchgeführt und festgestellt, dass der | |
Defekt bei beiden Eltern auf dem Chromosom 17 sitzt. Das Paar entschied | |
sich für die PID. Dies dauerte von Oktober 2010 bis März 2011. | |
Wie viele Embryonen waren für die PID nötig und in welchem Zellstadium | |
befanden sich die untersuchten Embryonen? | |
Wir haben insgesamt zehn Eizellen benötigt, sieben davon wurden befruchtet | |
und sechs haben das Vorkernstadium erreicht. Sie wurden kultiviert und am | |
14. Tag untersucht, das heißt im 16-Zell-Stadium, wenn sie nicht mehr | |
totipotent sind, also nicht mehr das Potenzial haben, sich zu einem | |
Menschen auszubilden. Dabei kam heraus, dass zwei Embryonen keine | |
Mutationsträger waren, drei trugen eine Mutation, die Embryonen waren also | |
genauso gesund wie die Eltern, und einer hatte beide Mutationen | |
Was ist mit den überzähligen Embryonen passiert? | |
Wir haben die beiden Embryonen, die keine Mutation trugen, transferiert, | |
die beiden, die mit nur einer Mutation belastet waren, wurden in | |
Einvernehmen mit den Eltern eingefroren, den belasteten Embryo haben wir | |
nicht weiterkultiviert. Er ist abgestorben, was weniger belastend ist für | |
das Paar als ein Schwangerschaftsabbruch. | |
Ist es nicht mit einem Risiko verbunden, wenn den Embryonen eine Zelle zur | |
Untersuchung entnommen wird? | |
Wir haben aus dem Ausland hinreichend Informationen – der letzte Bericht | |
des [1][PGD-Konsortiums] aus dem Jahre 2006 verzeichnet rund 2.000 aufgrund | |
einer genetischen Erkrankung untersuchte Embryonen. Bei einer Geburtenrate | |
von 26 Prozent pro Zyklus war die Fehlbildungsrate nicht erhöht. Die | |
Erfolgsrate entspricht der Erfolgsrate nach IVF. Es gibt außerdem das | |
Aneuploidie-Screening, das systematische Testen von | |
Chromosomenabweichungen. Davon halte ich nichts. Ursprünglich dachte man, | |
die Chance für ältere Frauen, ein genetisch gesundes Kind zu bekommen, | |
würde damit steigen, das heißt also auch das Fehlgeburtsrisiko sinken. | |
Studien haben aber gezeigt, dass das Abortrisiko bei gleichaltrigen Frauen, | |
unabhängig ob sie die PID durchführen lassen oder nicht, vergleichbar hoch | |
ist. Woraus sich schließen lässt, dass das Aneuploidie-Screening nicht | |
gehalten hat, was wir uns davon versprochen haben, es erhöht die Chance, zu | |
einer Schwangerschaft und einem genetisch gesunden Kind zu kommen, nicht. | |
Die internationalen Fachgesellschaften haben deshalb die Empfehlung | |
gegeben, das Screening nicht mehr durchzuführen. | |
Sie hatten davon gesprochen, dass das Desbuquois-Syndrom im besprochenen | |
Fall mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent auftritt. Ist mit 25 | |
Prozent die vom PID-Gesetz vorgeschriebene „hohe Wahrscheinlichkeit“ | |
gegeben? | |
Wir gehen bei einer 40-jährigen Schwangeren während einer Amnioszentese zum | |
Ausschluss eines Down-Syndroms von einem Risiko von zwei Prozent aus, das | |
heißt, es wird eine invasive Diagnostik bei sehr niedrigem Risiko gemacht. | |
Letztlich müssen die betroffenen Paare entscheiden, ob das Risiko von 25 | |
Prozent für sie hoch ist oder nicht. Wenn Föten bereits wegen einer | |
Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte abgetrieben werden, dann ist das Risiko von 25 | |
Prozent bei einer so schwerwiegenden Indikation wie dem Desbuquois-Syndrom | |
doch hoch genug, um nach ausführlicher Information des Paares die PID | |
durchzuführen. | |
Aber finden Sie nicht, dass es zwischen der Pränataldiagnostik, bei der ein | |
einziger existierender Fötus untersucht wird, und der | |
Präimplantationsdiagnostik, bei der man gezielt mehrere Embryonen herstellt | |
und einige davon am Ende absterben lässt, ein Unterschied besteht? | |
Wir dürfen uns da nicht falsch verstehen: Es gibt auf der einen Seite die | |
Chromosomenanalyse nach Pränataldiagnostik und auf der anderen Seite die | |
Frage, wie die Eltern damit umgehen. Sie können sich ja nach einer Diagnose | |
wie zum Beispiel Trisomie 21 für das Kind entscheiden. Ob dabei die | |
Pränataldiagnostik oder die Präimplantationsdiagnostik zur Anwendung kommt, | |
ist für mein ethisches Verständnis kein großer Unterschied. | |
Es ist kein Unterschied für Sie, im Rahmen der PID sechs Embryonen zu | |
erzeugen, von denen sicher nur eines, höchstens zwei ein Mensch werden | |
wird? | |
Wir könnten die PID natürlich auch mit einer einzigen Eizelle durchführen, | |
nur würden wir die Belastung der Frau, die sich einer künstlichen | |
Befruchtung unterziehen muss, als viel zu hoch empfinden. | |
Nach dem Embryonenschutzgesetz dürfen doch eigentlich ohnehin nur drei | |
Embryonen erzeugt werden? | |
Wir stützen uns da auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH), das zu | |
diesem Zweck auch Ausnahmen zulässt. | |
Das neue Gesetz sieht vor, dass eine Ethikkommission darüber entscheiden | |
muss, ob eine entsprechende Indikation so schwerwiegend ist, dass die PID | |
angewendet werden darf. Das ist in Lübeck geschehen. Wie setzt sich diese | |
Kommission zusammen? | |
Sie ist interdisziplinär besetzt und wird von den verschiedenen | |
medizinischen Fachrichtungen vertreten, es gehören aber auch Juristen, | |
Pflegekräfte und Vertreter der Krankenhausseelsorge dazu. | |
Aber Vertreter beispielsweise von Behindertenverbänden sind nicht | |
vertreten? | |
Da es sich um eine klinische Ethikkommission handelt, ist das nicht der | |
Fall. | |
Genau genommen bleibt die PID im nun veränderten Embryonenschutzgesetz | |
grundsätzlich verboten, und nur in Absatz 2 werden Ausnahmen formuliert, | |
für die es noch keine Rechtsverordnung gibt. Bewegt sich das Klinikum da | |
nicht im rechtsfreien Raum? | |
Wir müssen zwei Phasen unterscheiden, die erste nach dem BGH-Urteil, das in | |
bestimmten Fällen einer schweren genetischen Erkrankung die PID zulässt, | |
die zweite Phase beginnt mit dem Gesetz, das am 8. Dezember 2011 | |
rechtskräftig geworden ist. Seither warten wir auf die Rechtsverordnung, | |
die von der zuständigen Staatssekretärin Ulrike Flach für das Frühjahr | |
angekündigt worden ist. Die von uns durchgeführte PID fällt in die erste | |
Phase und wird durch das BGH-Urteil abgedeckt. | |
Das heißt, im Moment führt das Universitäre Kinderwunschzentrum Lübeck | |
(UKL) keine PID mehr durch? | |
Wir beraten derzeit Patienten und führen Voruntersuchungen durch, das | |
dauert ja seine Zeit. Dann stellt sich für uns die Frage, machen wir es | |
oder nicht? Es gibt ein Gutachter der Rechtswissenschaftlerin Monika | |
Frommel, das besagt, die PID könne auch ohne vorliegende Rechtsverordnung | |
durchgeführt werden. | |
Mir liegt eine Stellungnahme von Annette Widmann-Mauz vor, der | |
Parlamentarischen Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, die das | |
anders sieht und meint, dass „etwaige Verstöße von den zuständigen | |
Strafverfolgungsbehörden zu ahnden“ seien. | |
Wir haben 20 Jahre auf dieses Gesetz gewartet, jetzt fehlen nur noch die | |
Spielregeln. Dennoch scheinen wir wieder in die Zeit vor dem Gesetz | |
zurückzufallen. Man könnte dem Gutachten von Frau Frommel folgen und | |
einfach das BGH-Urteil zur Grundlage nehmen. Aber wir werden das in unserer | |
Klinik derzeit nicht machen. | |
13 Apr 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.eshre.eu/ESHRE/English/Specialty-Groups/SIG/Reproductive-Genetic… | |
## AUTOREN | |
Ulrike Baureithel | |
## TAGS | |
Pränataldiagnostik | |
Gentest | |
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