# taz.de -- Streitgespräch Präimplantationsdiagnostik: "Da bin ich gerne radi… | |
> Katrin Göring-Eckardt (Grüne) lehnt die Präimplantationsdiagnostik strikt | |
> ab. Karl Lauterbach (SPD) will die PID in Ausnahmefällen erlauben. Ein | |
> Streitgespräch. | |
Bild: Entscheidung steht an: Kommende Woche findet im Bundestag die Abstimmung … | |
taz: Frau Göring-Eckardt, Herr Lauterbach, Sie haben beide das große Glück, | |
Kinder zu haben. Können Sie sich hineinversetzen in Paare, die Fehl- und | |
Totgeburten erlitten haben aufgrund schwerer genetischer Defekte? Ein Leid, | |
das möglicherweise vermieden werden könnte mit der | |
Präimplantationsdiagnostik? | |
Karl Lauterbach: Ich glaube, dass es für die ethische Bewertung unerheblich | |
ist, ob man Kinder hat oder nicht. | |
Katrin Göring-Eckardt: Man muss in der Politik häufig über Sachen | |
entscheiden, von denen man selbst nicht betroffen ist. Ich kann insofern | |
ermessen, was in diesen Paaren vorgeht, als ich einige Eltern mit Kindern | |
mit Behinderung begleiten konnte. Bei dem PID-Gesetz geht es aber nicht | |
allein um eine kleine Gruppe von Menschen, also um 200 oder 400 Geburten im | |
Jahr. Wir machen das Gesetz ja für unsere Gesellschaft. Und da muss man | |
auch reden über die Frage: Wie lebt es sich mit Behinderungen heute? | |
Die Diskussion über PID erweckt schnell den Eindruck, dass das Leben mit | |
Behinderung immer mit Leid verbunden sei. Menschen mit Behinderung sagen | |
aber etwas anderes. Sie sagen: Ja, unser Leben ist nicht immer einfach, | |
aber für uns ist es wertvoll, denn es ist das einzige, das wir haben. Eine | |
Gesellschaft, die Leben mit Behinderung aussortiert, das ist nicht die | |
Gesellschaft, in der ich leben will. Deswegen möchte ich, dass die PID | |
verboten ist. | |
Was sagen Sie denn Eltern, die sagen, wir haben schon ein Kind verloren, | |
wir halten das kein weiteres Mal aus, Frau Göring-Eckardt? | |
Göring-Eckardt: Zuerst müssen wir klar sagen, die PID ist nicht die Lösung. | |
Nur 15 Prozent der Frauen werden nach der belastenden Prozedur der PID | |
überhaupt schwanger. Danach kommen weitere Untersuchungen. Niemand kann | |
garantieren, dass das dank PID gezeugte Kind gesund sein wird. Der | |
Eindruck, die PID wäre eine heilbringende Lösung, ist falsch. | |
Lauterbach: Um die Frage "Lebenswert oder nicht?" geht es überhaupt nicht. | |
Es geht auch nicht um das allgemeine Problem von Menschen mit | |
Behinderungen. Wir reden hier zum Beispiel über Eltern, die erlebt haben, | |
dass ein Kind mit einem Gendefekt, den sie vererbt haben, schwerstkrank ein | |
paar Jahre gelebt hat und dann qualvoll vor ihren Augen gestorben ist. | |
Diese Eltern wollen dann ein Kind, das diesen Defekt nicht hat. Deswegen | |
gehen sie den Weg der künstlichen Befruchtung und der PID: Von den | |
Embryonen, die dabei entstehen, wird der Embryo eingesetzt, der den | |
Gendefekt nicht hat. | |
Göring-Eckardt: Diese Formulierung regt mich auf. Es geht um ein Kind! Und | |
Sie sagen: Es ist ein Mensch mit Defekt. Unvollständig, nicht intakt. Nein, | |
es geht um das Kind und um die Frage, was wir der Gesellschaft | |
signalisieren, wenn wir denen, die heute mit einer Behinderung leben, zu | |
verstehen geben: Euch hätten wir normalerweise schon in der Petrischale | |
aussortiert. | |
Herr Lauterbach, Sie sind Arzt. Ist es die Aufgabe Ihres Berufsstands, | |
Kinder mit Defekt auszusortieren? | |
Lauterbach: Das tut erstens kein Arzt und hat zweitens mit der Debatte | |
nichts zu tun. Bei der PID geht es nicht um die Selektion von Kindern. | |
Sondern es geht um die Selektion von Embryonen. | |
Göring-Eckardt: Die Frage ist, wann Leben anfängt. | |
Lauterbach: Glaubt denn hier wirklich jemand, dass ein Embryo bereits ein | |
Kind oder ein Mensch ist? | |
Göring-Eckardt: Ja. Das ist Leben, in dem alles angelegt ist, was es zum | |
Menschen machen wird. | |
Lauterbach: Wenn ich diese Position vertreten würde, dann müsste ich die | |
Spirale verbieten, dann müsste ich davon ausgehen, dass jede Form der | |
Verhütung, die dazu führt, dass der Embryo abstirbt, eine Form von | |
Kindstötung ist. Das halte ich für eine radikale Position. | |
Göring-Eckardt: Natürlich bin ich nicht gegen Verhütung, aber ich bin gerne | |
radikal. Sie wollen den Embryo aussortieren … | |
Lauterbach: … nicht einpflanzen! | |
Göring-Eckardt: Sie wollen diesen Embryo zur Einpflanzung aussortieren, | |
weil Sie sagen, dass er als Kind eine Behinderung haben wird. Wir wissen | |
aber nicht, wie schwer sie sein wird und ob sie überhaupt eintritt. | |
Lauterbach: Zum Beispiel handelt es sich um schwere genetisch verursachte | |
Muskelerkrankungen, die zu einer Bewegungslähmung führen und zur | |
Atemlähmung, also zur Erstickung. Für diese Krankheiten gilt: Hat das Kind | |
das Gen, ist es fast immer schwerstkrank oder stirbt. Hat es das Gen nicht, | |
dann hat es zu 99 Prozent die Krankheit nicht. | |
Göring-Eckardt: In Ihrem Gesetzentwurf, Herr Lauterbach, ist nur die Rede | |
von schwerwiegenden Krankheiten und Behinderungen. Es gibt keine | |
Einschränkungen. Das wird dazu führen, dass es eine Liste geben wird, nach | |
der Kinder mit Krankheiten aussortiert werden. Dazu könnten dann auch | |
Krebserkrankungen gehören, die möglicherweise gar nicht oder erst nach 40 | |
Jahren auftreten und bis dahin längst behandelbar sein könnten. | |
Lauterbach: Es wird weder eine Krankheitsliste geben, noch geht es um | |
unheilbare Krankheiten. Es geht um schwerste unheilbare Gendefekte. | |
Göring-Eckardt: Das ist so in Ihrem Gesetzentwurf aber nicht | |
festgeschrieben. | |
Darf man mündigen Menschen Wissen und medizinische Diagnostik vorenthalten, | |
Frau Göring-Eckardt? | |
Göring-Eckardt: Die Frage ist: Was geschieht mit den ganzen | |
Nebeninformationen dieser Diagnostik? Schon aus haftungsrechtlichen Gründen | |
wird der Arzt oder die Ärztin den Eltern sagen müssen: Übrigens hat Ihr | |
Kind zwar nicht den fraglichen Gendefekt, aber es hat ein Down-Syndrom, | |
oder es hat einen Klumpfuß. Das alles sind ja - wie Herr Lauterbach sagen | |
würde - Defekte, die man als Arzt erkennt und über die man dann auch die | |
Eltern informiert. | |
Lauterbach: Die PID funktioniert nicht so, Frau Göring-Eckardt, dass man | |
nach einer schwerwiegenden Erkrankung sucht und dann beiläufig noch | |
Informationen über alle anderen Krankheiten kriegt. Das ist | |
Science-Fiction. Und gehörte dann verboten. | |
Göring-Eckardt: Ich habe nur Ihren Gesetzentwurf gelesen. Das ist nicht | |
Science-Fiction. | |
Lauterbach: Niemand kann und will allgemein Behinderungen ausschließen oder | |
Krankheiten. Die PID sucht gezielt nach Einzelgendefekten, die die Eltern | |
genau kennen, weil sie in der Regel schon Fehl- oder Totgeburten hatten. Es | |
ist ja auch heute in der Regel so, dass diese Kinder nicht geboren, sondern | |
spät abgetrieben werden. In der Mehrzahl der Fälle, in denen es um einen | |
bekannten Einzelgendefekt geht, wird die Pränataldiagnostik im Mutterleib | |
gemacht, und bei entsprechendem Befund wird dann spät abgetrieben. Zu einem | |
Zeitpunkt der Schwangerschaft also, wo man tatsächlich von einem Kind | |
sprechen kann. Diese Kinder werden abgetrieben aus dem einzigen Grund, dass | |
sie den Gendefekt haben. | |
Göring-Eckardt: Das wäre gesetzeswidrig. | |
Lauterbach: Das ist die gängige Praxis. | |
Göring-Eckardt: Eingeführt wurde die Pränataldiagnostik, damit Krankheiten | |
im Mutterleib oder direkt nach der Geburt behandelt werden können. Wenn es | |
zu Spätabbrüchen kommt, dann in solchen Fällen, in denen abgewogen wird | |
zwischen der Situation der Mutter und der Situation des Kindes. Das ist die | |
Gesetzeslage, auf der man auch bestehen muss, wenn man sich als Gesetzgeber | |
ein bisschen ernst nimmt. Das Aussortieren wegen Behinderung haben wir doch | |
1995 bewusst aus der Gesetzgebung herausgenommen. | |
Lauterbach: Für uns als Gesetzgeber ist es auch wichtig, dass wir uns mit | |
der Welt beschäftigen, die es tatsächlich gibt. Und ich persönlich bin auch | |
aus ethischer Sicht der Meinung, dass es in einer solchen Situation besser | |
ist, einen Embryo nicht einzusetzen, als denselben Embryo später als Kind | |
abzutreiben. Das halte ich für unchristlich und verlogen. | |
Göring-Eckardt: Wir verhindern mit der PID nicht die Spätabbrüche. Denn die | |
Pränataldiagnostik wird anschließend trotzdem auch noch durchgeführt. Wenn | |
man sich die internationalen Zahlen anschaut, dann kann man weder sagen, es | |
gibt weniger Früh- oder Totgeburten in den Ländern, in denen die PID | |
eingesetzt wird, noch kann man sagen, es gibt real weniger Spätabbrüche. | |
Woher rührt eigentlich Ihr geringes Zutrauen zur Verantwortung der Ärzte | |
und der Eltern? | |
Göring-Eckardt: Darum geht es nicht. Wir haben die Pränataldiagnostik | |
erlaubt mit der Intention, dass es um wenige Einzelfälle geht. Heute sagen | |
Sie, Herr Lauterbach, dass alle Kinder, bei denen bei der | |
Pränataldiagnostik eine Behinderung festgestellt wird, in der Regel | |
abgetrieben werden. Warum sollte es bei der PID bei Einzelfällen bleiben, | |
wie Sie beteuern? Warum sollte die PID nicht auch zur Regeluntersuchung | |
werden? | |
Lauterbach: Allein deswegen nicht, weil die PID nur bei der | |
In-Vitro-Fertilisation möglich ist. Im Vergleich zur natürlichen | |
Befruchtung gibt es da enormes Leid, enorme Kosten und eine | |
Wahrscheinlichkeit von 15 Prozent, überhaupt schwanger zu werden. Wer würde | |
sich das antun? | |
Göring-Eckardt: Vielleicht auch die Frauen, die spüren, dass sie in einer | |
Gesellschaft leben, in der Kinder mit Behinderungen nicht mehr erwünscht | |
sind. | |
2 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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