Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ethikgremien für Gentest bei Embryonen: Hinter verschlossenen Tür…
> Ethikkommissionen sollen entscheiden, ob die Präimplantationsdiagnostik
> angewandt werden darf. Veröffentlicht werden die Entscheidungen nicht.
Bild: Präimplationsdiagnostik in der Universitätsklinik in Brüssel.
HAMBURG taz | Gentests an Embryonen, erzeugt durch künstliche Befruchtung
im Reagenzglas, können gemäß Ende 2011 reformiertem Embryonenschutzgesetz
(ESchG) in Ausnahmefällen zulässig sein. Verbindliche Voraussetzung einer
„Präimplantationsdiagnostik“ (PID) ist die „zustimmende Bewertung“ dur…
eine zuständige Ethikkommission – und die gibt es bisher nicht.
Das soll sich bald ändern: Am 1. Februar tritt eine Verordnung der
Bundesregierung in Kraft, die die Bundesländer verpflichtet, derartige
Prüfgremien einzurichten.
Laut politischen Schätzungen ist pro Jahr bundesweit mit 250 bis 300
PID-Fällen zu rechnen. Wie viele Ethikkommissionen zur Begutachtung von
PID-Anträgen in der Republik entstehen und wie viele
reproduktionsmedizinische Zentren zur Durchführung der PID zugelassen
werden, ist noch ungewiss. Klar ist aber: Sechs norddeutsche Bundesländer
planen eine gemeinsame Ethikkommission, deren Geschäfte nicht von einer
Behörde, sondern der Ärztekammer Hamburg geführt werden sollen.
Darauf haben sich die Regierungen von Brandenburg, Bremen, Hamburg,
Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein verständigt.
Sie empfehlen den Landtagen, ein entsprechendes Abkommen per Gesetz zügig
zu verabschieden – möglichst bis 1. Februar.
Gegen den Vertragsentwurf mobilisiert das [1][Gen-ethische Netzwerk (GeN)].
Unter den geltenden Voraussetzungen sei es zwar grundsätzlich richtig, eine
gemeinsame Kommission zu betreiben, meint das GeN, da „so noch am ehesten“
der Ausweitung des selektiven PID-Verfahrens begegnet werden und eine
einheitlichere Genehmigungspraxis in der Republik wahrscheinlicher werden
könne.
„Nicht hinnehmbar“ sei aber, dass die Ethikkommission „größtenteils im
Verborgenen“ agieren soll, heißt es in einem [2][GeN-Brief] an die
Fraktionsvorsitzenden der sechs Landtage. Die Parlamentarier werden
aufgefordert, entweder gegen das PID-Abkommen zu stimmen oder Änderungen
für mehr Transparenz zu beschließen.
Der entworfene Länder-Vertrag enthält zwar auch einen Paragrafen zu
„Berichtspflicht und Informationsaustausch“. Der sieht aber vor, dass die
Öffentlichkeit praktisch nichts erfahren darf. Geplant ist vielmehr, dass
die Ethikkommission den Gesundheitsministerien einmal im Jahr mitteilt, wie
viele PID-Anträge sie zustimmend und ablehnend beschieden hat; dieser
Bericht „hat auch Angaben darüber zu enthalten, welche Erbkrankheiten den
Anträgen zugrunde lagen“.
## Transparenz ist nicht vorgesehen
Zudem sollen sich Beamte der beteiligten Länder „mindestens einmal
jährlich“ treffen, „um sich über die Entwicklung der
Präimplantationsdiagnostik fachlich auszutauschen“. Information und
Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit sind im Abkommen der Länder
nicht vorgesehen.
Was in den Kommissionen und PID-Zentren passiert, soll offenbar nur alle
vier Jahre publik werden – wenn die Bundesregierung ihren „Bericht über die
Erfahrungen mit der Präimplantationsdiagnostik“ vorlegt, den sie gemäß
ESchG erstellen muss. Grundlage der Dokumentation und Auswertung werden
anonymisierte Daten aller PID-Zentren sein, die einmal im Jahr an das
[3][Paul-Ehrlich-Institut] geschickt und dort zehn Jahre aufbewahrt werden
müssen.
Die mangelnde Transparenz berge die Gefahr, dass die Anlässe für die
„gesellschaftlich umstrittene“ PID hinter verschlossenen Türen schleichend
ausgeweitet werden könnten, meint das GeN.
Ähnliche Befürchtungen hatte die [4][Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen] bereits vor
einem Jahr geäußert: „Eine Kontrolle bzw. eine einheitliche Beurteilung der
PID ist so nicht möglich.“
## Große Ermessensspielräume
Tatsächlich sind die gesetzlichen Vorgaben ziemlich vage, sie eröffnen den
Ethikkommissionen einige Ermessensspielräume. Gemäß reformiertem ESchG ist
die PID vor einer künstlichen Befruchtung dann erlaubt, wenn „auf Grund der
genetischen Disposition“ der Frau, von der die Eizelle stammt, oder des
Mannes, von dem die Samenzelle stammt, „das hohe Risiko einer
schwerwiegenden Erbkrankheit“ für deren Nachkommen besteht.
Wie interpretationsoffen diese Regelung ist, veranschaulichte der Berliner
Rechtswissenschaftler Christian Pestalozza in der Zeitschrift Medizinrecht:
Der Gesetzgeber verschweige, welche Erbkrankheit „schwer wiege“ und welche
nicht; „Regelbeispiele“ gebe er nicht. Zudem lasse das ESchG offen, unter
welchen Umständen das Erkrankungsrisiko für die Nachkommen hoch
einzuschätzen sei.
## Unklare Vorgaben
„Die Bestimmung all dieses Unbestimmten“, schreibt Pestalozza, überantworte
das Gesetz der Ethikkommission. Zudem gebe der Gesetzgeber keinen Hinweis,
wann von einer „hohen“ Wahrscheinlichkeit einer Tot- oder Fehlgeburt die
Rede sein kann, deren Annahme ebenfalls rechtfertigender Grund für eine PID
sein kann.
Bemerkenswert, aber noch nicht öffentlich problematisiert ist das geplante
Berufungsverfahren für diejenigen acht Persönlichkeiten plus
Stellvertreter, die so viel Definitionsmacht übertragen bekommen. Über
PID-Anträge beraten und entscheiden in der Ethikkommission vier Mediziner,
ein Jurist, ein Ethiker sowie zwei Personen, welche die Interessen von
Patienten und Menschen mit Behinderungen repräsentieren sollen.
Die Hamburger Ärztekammer wird gemäß Länderabkommen ermächtigt, im
„Einvernehmen“ mit den beteiligten Ländern die Kommissionsmitglieder zu
berufen – Öffentlichkeit ist auch hier nicht vorgesehen. Dabei ist die
Auswahl der Experten eine sensible Aufgabe, insbesondere im Bereich der
Behindertenverbände, die der PID ja größtenteils kritisch bis ablehnend
gegenüberstehen.
## Selektion bedeutet auch Diskriminierung
Die BAG Selbsthilfe, in der mehr als eine Million Menschen organisiert
sind, hatte noch im November 2010 ein generelles Verbot der PID gefordert.
Würden Embryonen mit bestimmten Gendefekten in Folge der PID aussortiert,
bedeute dies auch eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, die
mit diesen Genmerkmalen leben, sagte BAG-Geschäftsführer Martin Danner zur
Begründung.
Das entworfene Ethikabkommen norddeutscher Länder könnte bald Nachahmer
finden. Die baden-württembergische Regierung hat jedenfalls angekündigt,
sie plane einen Staatsvertrag mit den Ländern Hessen, Rheinland-Pfalz,
Sachsen, Saarland und Thüringen, um eine gemeinsame PID-Kommission
einzurichten, angesiedelt in Stuttgart bei der Landesärztekammer.
Dagegen strebt Nordrhein-Westfalen eine eigene PID-Ethikkommission an, der
entsprechende Gesetzentwurf wird „voraussichtlich im Frühjahr“ an den
Landtag weitergeleitet.
10 Jan 2014
## LINKS
[1] http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/
[2] http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gen/2013/forderung-gen-an-landtagsabge…
[3] http://www.pei.de
[4] http://www.bag-selbsthilfe.de/
## AUTOREN
Klaus-Peter Görlitzer
## TAGS
Gentest
Embryonen
Ethikkommission
künstliche Befruchtung
künstliche Befruchtung
künstliche Befruchtung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Urteil künstliche Befruchtung: Verstaubtes Familienbild
Das Urteil zur künstlichen Befruchtung bei unverheirateten Paaren ist ein
falsches Signal. Die Ehe ist keine Garantie fürs lebenslange Zusammensein.
Künstliche Befruchtung vor Gericht: Eine Frage der Ehe
Eine Krankenkasse will Versicherten die künstliche Befruchtung bezahlen –
egal ob verheiratet oder nicht. Ein Gericht entscheidet nun über die
Kostenfrage.
Gentests bei künstlichen Befruchtungen: Neues aus der Babyfabrik
Britische Wissenschafler wollen die Erfolgschancen von künstlichen
Befruchtungen verbessern. Dafür nehmen sie das gesamte Erbgut von Embryonen
unter die Lupe.
Embryonencheck im Reagenzglas: „Jetzt fehlen noch die Spielregeln“
In Lübeck warten die Reproduktionsmediziner noch auf eine Verordnung, um
die PID durchführen zu können, sagt der Reproduktionsmediziner Professor
Klaus Diedrich.
FDP will neues Fortpflanzungsgesetz: Die Freiheit der Entscheidung
Die FDP-Abgeordnete Ulrike Flach möchte ein "Fortpflanzungsmedizingesetz"
auf den Weg bringen. Darin soll unter anderem die Eizellspende erlaubt
werden.
Kommentar zur Präimplantationsdiagnostik: Bioethische Zäsur
Sollte es zur Zulassung der PID kommen, wäre dies eine bioethische Zäsur.
Bisher unterlagen künstlich gezeugte Embryonen in Deutschland einem
besonderen Schutz.
Gesetz zur Präimplantationsdiagnostik: Streiten über "Designer-Kinder"
Am heutigen Donnerstag berät der Bundestag darüber, ob Gentests an
künstlich erzeugten Embryonen vor Einpflanzung in den Mutterleib strikt
verboten werden sollen - oder nicht.
Kommentar Präimplantationsdiagnostik: Embryonenselektion in der Petrischale
Der Deutsche Ethikrat ist nicht das Ruhekissen der Nation. Wir alle sind
gefragt, ob wir eine Gesellschaft wollen, in der die Embryonenauswahl zur
Routine gehört.
Wissenschaftsakademien für PID: Embryonenselektion in der Petrischale
Die Wissenschaftsakademien setzen sich für die Zulassung von PID ein. Sie
fordern: Frauen sollen auswählen dürfen, welche Embryonen sie austragen
wollen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.