# taz.de -- Gesetz zur Präimplantationstechnik: Freie Bahn für Embryonencheck | |
> Seit 2011 ist die PID in engen Grenzen straffrei. Die Durchführung wird | |
> nun erst geregelt – eine Ablehnung des Tests der Embryonen wird dadurch | |
> fast unmöglich. | |
Bild: Die Chromosomen im Zellkern einer Eizelle werden entfernt. | |
BERLIN taz | Schwerwiegend muss die zu erwartende Erbkrankheit sein, hoch | |
die Gefahr einer Fehl- oder Totgeburt: Die gesetzlichen Grenzen sind eng, | |
die der Bundestag im Sommer 2011 zog – und nach denen die | |
Präimplantationsdiagnostik (PID) an Embryonen in Ausnahmefällen straffrei | |
ist. Rechtssicher angewendet werden konnte die PID zur Enttäuschung | |
betroffener Paare indes bislang nicht. Der Grund: Es fehlte die | |
Rechtsverordnung, die die praktische Durchführung regelt – in welchen | |
Zentren etwa, mit Zustimmung welcher Ethikkommission. Diese Knackpunkte | |
hatte das Parlament offen gelassen. | |
Jetzt hat das FDP-geführte Bundesgesundheitsministerium geliefert: Am | |
Mittwoch mailte es den „Entwurf einer Rechtsverordnung“ an die obersten | |
Landesgesundheitsbehörden. Diese sollen bis zum 17. August Stellung nehmen | |
und im Herbst im Bundesrat zustimmen; anders kann die Verordnung Anfang | |
2013 nicht in Kraft treten. Bei der PID untersuchen Ärzte im Reagenzglas | |
erzeugte Embryonen vor ihrer Einpflanzung in den Mutterleib auf Gendefekte. | |
Das 30-seitige Papier, das der taz vorliegt, liest sich in Teilen wie | |
maßgeschneidert für große reproduktionsmedizinische Zentren. Nun sind | |
andere Zentren zwar auch gar nicht auf die Behandlung ausgerichtet – doch | |
dürfte schon dieser Duktus den PID-Kritikern ausreichend Angriffsfläche | |
bieten. | |
So sollen die Landesbehörden auf schriftlichen Antrag hin nur solche | |
Zentren für die PID zulassen, die neben den medizintechnischen | |
Voraussetzungen für die Gendiagnostik „insbesondere über Erfahrungen mit | |
In-vitro-Fertilisation, Spermieninjektion, mit Embryonentransfer und mit | |
Techniken zur Gewinnung von Zellen und deren Aufbereitung“ verfügen – dies | |
entspricht dem Profil großer Kinderwunschzentren. Der Entwurf sieht jedoch | |
explizit „keine zahlenmäßige Beschränkung der Zentren“ vor. | |
## „PID-spezifische Ethikkommission“ | |
Paare, die PID wünschen, müssen sich zunächst in dem von ihnen gewählten | |
Zentrum über medizinische, psychische und soziale Folgen aufklären und | |
beraten lassen. Sodann müssen sie ihren Antrag von einer „PID-spezifischen | |
Ethikkommission“ bewerten lassen. Diese muss bei dem jeweiligen Zentrum | |
angesiedelt sein, soll interdisziplinär und unabhängig arbeiten und aus | |
acht Personen bestehen – vier Medizinern, einem Ethiker, einem Juristen | |
sowie zwei Patientenvertretern. Berufen wird sie von den Ländern für vier | |
Jahre, eine Verlängerung ist möglich. Auch hier gibt es keine zahlenmäßigen | |
Beschränkungen. Die Frage nach der demokratischen Legitimation der | |
Mitglieder lässt der Entwurf offen, ebenso die Frage, wer in welcher Höhe | |
die „Gebühren“ aufbringen soll, aus denen die Kommissionen finanziert | |
werden sollen. | |
Die Ethikkommissionen müssen mit einfacher Stimmenmehrheit binnen drei | |
Monaten entscheiden. Dabei wird in dem Entwurf klargestellt, dass ihr | |
Entscheidungsspielraum extrem begrenzt ist, weil „den Antragsberechtigten | |
ein Anspruch auf zustimmende Bewertung […] zusteht“, soweit ihr Antrag | |
nicht dem Embryonenschutzgesetz widerspricht. Das aber, so hat es der | |
Bundesgerichtshof 2010 festgestellt, tut die PID nicht. Praktisch dürfte es | |
damit fast unmöglich werden, einem Paar die PID zu verwehren. Präzisierend | |
heißt es hierzu, die getroffenen Regelungen dürften „nicht dahingehend | |
interpretiert werden, dass den Ethikkommissionen darüber hinaus noch eine | |
weitergehende Bewertungskompetenz – zum Beispiel durch Einbeziehung der | |
psychischen und sozialen Folgen oder ethischer Aspekte – zusteht“. | |
Sämtliche Untersuchungsdaten müssen anonymisiert und unter Wahrung des | |
Datenschutzes dem Paul-Ehrlich-Institut als Bundesoberbehörde zur | |
Dokumentation, nicht aber zu Forschungszwecken übermittelt und dort zehn | |
Jahre lang aufbewahrt werden. Aus dem Material soll das | |
Bundesgesundheitsministerium jährlich einen vom Parlament eingeforderten | |
„Bericht über die Erfahrungen mit der PID“ erstellen. | |
12 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
PID-Gegner laufen wieder Sturm: Die Angst vor dem „Normalfall“ | |
Wer die Gendiagnostik an Embryonen auf welche Weise machen soll, sorgt für | |
neuen Streit. Befürchtet wird die unkontrollierte Vorsortierung | |
menschlichen Lebens. | |
Kommentar Präimplantationsdiagnostik: Es ist nicht Daniel Bahrs Schuld | |
Daniel Bahr für eine Rechtsverordnung anzugreifen, die bloß ein | |
beschlossenes Gesetz umsetzt, ist billig. Die Verordnung zeugt hingegen von | |
Respekt für die Eltern. | |
Neuer Erbguttest beim Embryo: Donnerschlag mit ethischen Problemen | |
Die DNA vor der Geburt entziffert: Genomforscher haben einen Weg gefunden, | |
die komplette DNA eines ungeborenen Kindes ohne Eingriff in den Mutterleib | |
zu entschlüsseln. | |
Europäisches Patentrecht: Patente auf Bullen-Sperma | |
Prinzipiell lässt sich Tiersperma patentieren, meint das Europäische | |
Patentamt. Im konkreten Fall aber hat es einen Antrag abgelehnt. Das Sperma | |
war nicht erfinderisch genug. | |
Embryonencheck im Reagenzglas: „Jetzt fehlen noch die Spielregeln“ | |
In Lübeck warten die Reproduktionsmediziner noch auf eine Verordnung, um | |
die PID durchführen zu können, sagt der Reproduktionsmediziner Professor | |
Klaus Diedrich. | |
Gendiagnostik: Bluttest auf Trisomie 21 | |
Bundesforschungsministerin Annette Schavan hat risikoarme Gentests für | |
Schwangere gefördert. Dafür wird sie nun von mehreren Seiten scharf | |
kritisiert. |