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# taz.de -- Neuer Erbguttest beim Embryo: Donnerschlag mit ethischen Problemen
> Die DNA vor der Geburt entziffert: Genomforscher haben einen Weg
> gefunden, die komplette DNA eines ungeborenen Kindes ohne Eingriff in den
> Mutterleib zu entschlüsseln.
Bild: Mit dem neuen Gentest für Embryonen wächst die Gefahr, dass vermehrt eu…
SEATTLE/WASHINGTON dpa | US-Forscher haben das Genom eines ungeborenen
Kindes allein mit DNA-Analysen mütterlichen Bluts und väterlichen Speichels
entziffert.
Sie werten dies als Schritt zu einem Test auf Tausende von Krankheiten, die
durch Veränderung eines einzelnen Gens verursacht werden – ohne das Kind
durch invasive Methoden wie eine Fruchtwasseruntersuchung im Mutterleib zu
gefährden. Das Team von der Universität Washington in Seattle präsentiert
die Ergebnisse im Fachjournal Science Translational Medicine.
„Das ist ein Donnerschlag und ändert die Perspektive auf vorgeburtliche
Untersuchungen fundamental“, sagte der Humangenetiker und Medizinethiker
Professor Wolfram Henn von der Universität des Saarlandes.
Nach Angaben des Fachartikels gibt es mehr als 3.000 Störungen, die auf der
Veränderung eines Gens beruhen. Einzeln genommen sind die monogenetischen
Erkrankungen selten, betreffen aber insgesamt etwa ein Prozent aller
Neugeborenen. Zu den gravierenden Krankheiten gehört zum Beispiel die
Mukoviszidose.
Es sei nun an der Politik, sich den ethischen Fragen dieser technischen
Möglichkeit zu widmen, sagte Henn. Die Veröffentlichung sei in der Fachwelt
erwartet worden. „Aus technologischer Sicht ist es der Heilige Gral der
Genomanalyse, aus ethischer Sicht aber ist es sehr problematisch, Eltern
das komplette Genom ihres Kindes schon vor der Geburt zu offenbaren.“
Die Wissenschaftler um Jay Shendure und Jacob Kitzman hatten einer
werdenden Mutter um die 18./19. Schwangerschaftswoche herum eine Blutprobe
und vom Vater eine Speichelprobe genommen. Sie fahndeten im mütterlichen
Blut nach freien DNA-Stücken des Kindes. Schon lange ist bekannt, dass
solche Erbgutschnipsel vor der Geburt im Körper der Mutter herumschwirren.
## Screening auf Trisomie 21
Auch andere Tests machen sich diese Tatsache zunutze, ein Screening auf
Trisomie 21 (Down-Syndrom) soll auch in Deutschland auf den Markt kommen.
Dabei wird überprüft, ob drei statt zwei Kopien des Chromosoms 21
vorliegen. Dies ist bislang mit einer Zellentnahme aus dem Fruchtwasser
durch die Bauchdecke der Schwangeren möglich – mit dem Risiko einer
Fehlgeburt. Der neue Test soll als Ergänzung der Pränataldiagnostik bei
Risikoschwangerschaften dienen.
Shendure und Kitzman zogen nun mit Hilfe statistischer Methoden
Rückschlüsse auf das gesamte Erbgut des Fötus und verglichen ihre
Ergebnisse später mit dem Genom im Nabelschnurblut des Neugeborenen. Das
Verfahren wiederholten sie bei einem weiteren Paar zu einem früheren
Zeitpunkt der Schwangerschaft.
Die Wissenschaftler analysierten zudem, welche genetischen Varianten von
den Eltern auf das Kind übertragen wurden, und welche sich durch spontane
Mutationen entwickelt haben mussten. Den Angaben zufolge entdeckten sie 39
von 44 neu entstandenen Mutationen, als das Kind noch ein Fötus war.
„Die Veröffentlichung ist der Beweis, dass es prinzipiell technisch möglich
ist, sämtliche genetische Informationen eines Menschen schon vor der Geburt
zu ermitteln, ohne das Kind anzutasten“, sagte Henn.
„Und zwar inklusive verdeckter Anlagen, die erst in der übernächsten
Generation zum potenziellen Auftreten von Erbkrankheiten führen können.“ Es
müsse noch überprüft werden, ob der Test „solide“ sei. Aber die Erfahrung
zeige, dass solche Verfahren immer schneller, zuverlässiger und billiger
würden. Die Autoren räumen selbst ein, dass die Methode noch verbessert
werden muss.
„Und dann stellt sich die Frage, die in die Politik hineinreichen wird: Wer
darf zu welchem Zeitpunkt welche genetischen Informationen erhalten – nicht
nur über Krankheitsanlagen, die schon in der Kindheit bedeutsam sind,
sondern auch über erst spät auftretende Krankheiten wie erblichen Darmkrebs
oder sogar Eigenschaften ohne Krankheitswert, zum Beispiel Sportlichkeit?
Auf diese Fragen haben wir noch keine ausreichenden Antworten“, erklärte
Henn.
Henn ist Mitglied der Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze
in der Medizin und ihren Grenzgebieten der Bundesärztekammer. Derzeit
erarbeitet der Deutsche Ethikrat im Auftrag der Bundesregierung eine
Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik.
7 Jun 2012
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Gendiagnostik
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