# taz.de -- Pränataltest für Trisomie 21: Unternehmensfreundliche Regelung | |
> Die Debatte über die Folgen der neuen Tests steht noch aus. Der | |
> Gemeinsame Bundesausschuss lässt schon Informationen für Schwangere | |
> erstellen. | |
Bild: Trotz Inklusionsdebatte – Eltern mit behinderten Kindern haben es doppe… | |
Der umstrittene nichtinvasive molekulargenetische Pränataltest (NIPT) soll | |
Kassenleistung werden, für Risikoschwangere. Danach sieht das | |
Beratungsverfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) – des obersten | |
Gremiums der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, | |
Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen – aus. | |
Bisher wird der Test an Selbstzahlerinnen in gynäkologischen Praxen | |
verkauft. Er ist seit 2012 auf dem deutschen Markt und wird von | |
verschiedenen Herstellerfirmen vertrieben. Obwohl der G-BA „Qualität und | |
Wirtschaftlichkeit“ noch prüft, [1][hat das Gremium am 16. Februar vorab | |
entschieden], eine Versicherteninformation über den NIPT in Auftrag zu | |
geben, um Schwangere in einer „selbstbestimmten Entscheidung“ zu | |
„unterstützen“. Die Frage ist jedoch, worüber sie entscheiden sollen und | |
wer ein Interesse daran hat, dass sie bei dieser Entscheidung unterstützt | |
werden. | |
Mit dem NIPT kann anhand des Bluts der Frau bereits ab der neunten | |
Schwangerschaftswoche getestet werden, ob das werdende Kind eine Trisomie | |
wie das Downsyndrom hat. Der NIPT eröffnet keinerlei Therapiemöglichkeiten. | |
Auf der Basis des Testergebnisses kann und muss die Frau entscheiden, ob | |
sie die Schwangerschaft abbricht oder fortsetzt. Es geht also nicht darum, | |
ob eine Frau überhaupt ein Kind will, sondern darum, ob es dieses Kind | |
sein soll. | |
So geht es nicht um das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper, | |
das in den 1970ern von der Frauenbewegung gegen Staat und Kirche erkämpft | |
wurde. Kommt der NIPT ins Spiel, ist die Schwangerschaft grundsätzlich | |
gewollt. Es handelt sich vielmehr um einen Qualitätstest: Frauen | |
entscheiden sich für oder gegen einen Abbruch, weil ihnen das Testergebnis | |
sagt, dass das werdende Kind möglicherweise behindert ist. | |
Diese Entscheidung wird vor dem Hintergrund gefällt, dass Eltern mit | |
behinderten Kindern nur mangelhaft unterstützt werden und Menschen mit | |
Behinderung nicht gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben | |
können; Inklusion ist noch immer mehr Wunsch als Wirklichkeit. | |
Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Geburtshilfe und Gynäkologie | |
(DGPFG) kritisierte in einer [2][Pressemitteilung 2013 (pdf-Datei)] | |
deshalb, dass „ein gesellschaftliches Problem, nämlich der Umgang mit | |
Menschen, die behindert sind oder mit weniger leistungsbezogenen | |
Lebensperspektiven leben, in unsere Arztpraxis verlagert wird“, und stellt | |
fest: „Eine breite Diskussion über Pränataldiagnostik und deren Bedeutung | |
für das Leben in unserer Gesellschaft ist unbedingt nötig und politisch | |
förderungswürdig!“ | |
Mit dieser Forderung ist sie nicht allein. Der [3][Bundesverband der | |
Frauengesundheitszentren], der [4][Bundesverband für körper- und | |
mehrfachbehinderte Menschen], die [5][Deutsche Gesellschaft für | |
Hebammenwissenschaft (DGHWi)], auch der [6][Berufsverband der | |
Humangenetiker (BVDH)], diverse NGOs wie das [7][Gen-ethische Netzwerk | |
(GeN)], [8][Bioskop], das [9][Netzwerk gegen Selektion durch | |
Pränataldiagnostik] oder das [10][Bundesnetzwerk von FrauenLesben und | |
Mädchen mit Beeinträchtigung], gefolgt von einzelnen | |
Frauengleichberechtigungsstellen, Landesbehindertenbeauftragten und | |
Ethikforen, psychosozialen Beraterinnen zu Schwangerschaft und | |
Pränataldiagnostik und Wohlfahrtsverbänden, fordern seit der | |
Markteinführung immer wieder eine breite Debatte über die | |
gesellschaftspolitischen Konsequenzen des NIPT. | |
Aktuell erreichte den G-BA eine [11][Stellungnahme von 20 Verbänden und | |
Organisationen (pdf-Datei)]. Rund 160 Bundestagsabgeordnete verschiedener | |
Fraktionen teilten diese Forderung schon 2015 in einer Kleinen Anfrage an | |
die Bundesregierung. Sogar der G-BA sieht „Fundamentalimplikationen“, und | |
dass mit dem NIPT unsere „Werteordnung“ in Frage gestellt wird. | |
Bereits letzten August appellierte er an den Gesetzgeber, zu handeln, und | |
forderte am 16. Februar den „Souverän“ erneut dazu auf. Aber jenseits der | |
Kleinen Anfrage herrscht im Parlament Stillstand. Der G-BA folgt nun seinen | |
vom Gesetzgeber vorgegebenen Verfahrensregeln und will sich darum nicht | |
als „Letztlegitimierer“ verstanden wissen: Wenn genügend Studien vorliegen, | |
die Testgüte und Wirtschaftlichkeit belegen, dürfte das Gremium den NIPT | |
als Kassenleistung letztlich nicht verweigern. | |
Und so bereitet der G-BA die Versicherteniformation vor. Bevor die | |
Gesellschaft bewerten und entscheiden konnte, ob sie solche Tests will oder | |
nicht, wurde und wird die Entscheidung schon verschoben: Sie wird zu einer | |
individuellen Entscheidung der schwangeren Frau – ob als Konsumentin oder | |
als Versicherte. | |
So wird eine gesellschaftliche Frage als rein individuelle Frage deklariert | |
und die durchaus noch mögliche Diskussion in diese Richtung verengt. Die | |
Gründe dafür liegen in der Geschichte des NIPT. Sie zeigt, dass die | |
Herstellerfirmen bis heute die Etablierung der Tests bestimmen. Die | |
Voraussetzungen hierfür wurden allerdings von der Politik geschaffen. | |
Bevor der NIPT auf den deutschen Markt kam, hatten sowohl die Deutsche | |
Forschungsgemeinschaft als auch die EU-Kommission die entsprechende | |
Forschung mit über 12 Millionen Euro bezuschusst. Die Bundesregierung | |
stellte in Förderprogrammen der Bioökonomie und -technologie rund 1,5 | |
Millionen Euro bereit. In Deutschland wurde auch die Testentwicklung mit | |
öffentlichen Geldern gefördert. Allein die Herstellerfirma LifeCodexx | |
erhielt ab 2009 rund 300.000 Euro. | |
## Finanzielle Förderung | |
Die Mittel kamen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung aus einem | |
Förderprogramm für kleinere und mittlere Unternehmen und vom | |
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. So wurde aus dem Zentralen | |
Innovationsprogramm Mittelstand die „Entwicklung einer nichtinvasiven | |
pränatalen Diagnostik zum Nachweis oder Ausschluss einer Trisomie 21“ | |
finanziert. | |
Die Bundesregierung förderte somit die Forschung und Entwicklung eines | |
Verfahrens, das keinen therapeutischen Nutzen hat. Dieser sehr | |
entscheidende Schritt in der Entwicklung der neuen Technologie war nicht | |
Thema einer gesellschaftlichen Debatte. Er konnte es zum damaligen | |
Zeitpunkt auch nicht sein, denn Zweck und Umfang der Förderung waren nicht | |
transparent. Dass wir heute davon wissen, ist den zähen Nachfragen und | |
Recherchen kritischer Journalist_innen, Abgeordneter und NGOs zu verdanken. | |
Kurz: Ob diese Art Test auf den Markt kommen sollte, konnte nicht | |
Gegenstand einer breiten gesellschaftlichen Debatte werden. So wurden mit | |
Produktentwicklung und Markteinführung bereits Fakten geschaffen, ohne dass | |
es zuvor eine gesellschaftliche Reflexion darüber gegeben hätte, ob die | |
Gesellschaft den damit eingeschlagenen Weg wirklich gehen will. | |
Auch in der wichtigen Frage der Kostenübernahme durch die gesetzlichen | |
Krankenkassen ging der Anstoß von den Herstellerfirmen aus. Dass der G-BA | |
darüber berät, ob die Kosten für den NIPT von den Kassen getragen werden, | |
geht maßgeblich auf die Initiative der Firma LifeCodexx zurück. Sie hatte | |
beantragt, den NIPT in das sogenannte Erprobungsverfahren aufzunehmen. | |
## Innovationen schneller etablieren | |
Diesen Antrag hatte die Firma bereits 2013, also ein Jahr nach | |
Markteinführung des Tests, gestellt. Er wurde 2014 bewilligt. Die | |
Voraussetzung hierfür hat der Gesetzgeber geschaffen. Er hat mit dem | |
Versorgungsstrukturgesetz den Weg geebnet, dass Hersteller von | |
Medizinprodukten überhaupt solch ein Verfahren anstoßen können. Wie es in | |
der Ärztezeitung 2013 prägnant heißt: Die „unternehmensfreundliche | |
Regelung“ ist eine Möglichkeit, „Innovationen schneller in der | |
Regelversorgung zu etablieren“. | |
Die Versicherteninformation ist nur ein weiterer Schritt in der Etablierung | |
des NIPT, die von der Marktdynamik bestimmt wird. Die Voraussetzungen | |
dafür, dass Herstellerfirmen diesen Einfluss haben können, wurden von der | |
Politik geschaffen. Durch die Förderung von Forschung und Entwicklung, das | |
Versorgungsstrukturgesetz und die damit verbundene mögliche Kostenübernahme | |
durch die Krankenkassen wurden Fakten geschaffen. Fakten, die eine offene | |
gesellschaftliche Bewertung des NIPT erschweren, wenn nicht gar | |
verunmöglichen. | |
Notwendig wäre ein Moratorium, eine Auszeit sowohl für die Vermarktung der | |
Tests, für die Beratung darüber, ob sie Kassenleistung werden sollen, als | |
auch für die Ausarbeitung einer Versicherteninformation, um zuerst über die | |
gesellschaftlichen Konsequenzen zu diskutieren: Es geht um Solidarität, | |
unser Verständnis von Menschsein, Elternschaft, Schwangerschaft, | |
Selbstbestimmung und ärztlichem Ethos. | |
## Absatzsteigerung | |
Die „selbstbestimmte Entscheidung“, die schwangere Frauen mittels einer | |
Versicherteninformation treffen sollen, ist das Ergebnis einer Politik, die | |
ihre Prioritäten in der Mittelstandsförderung setzt. Die Interessen liegen | |
auf der Hand: Wird der Test Kassenleistung und steht kostenlos zur | |
Verfügung, steigt der Absatz und maximiert sich der Gewinn. Der Rahmen, in | |
dem schwangere Frauen „selbstbestimmt“ entscheiden, den NIPT anzuwenden, | |
richtet sich nach ökonomischen Interessen von Politik und Herstellern. | |
Diese Selbstbestimmung hat nichts mehr mit dem Selbstbestimmungsbegriff | |
der 1970er zu tun. Wollten Frauen heute diese Selbstbestimmung zurückhaben, | |
müssten sie sich wohl gegen die Mittelstandsförderung von Biotechfirmen | |
wehren und für Inklusion eintreten. Denn eine selbstbestimmte Entscheidung | |
setzt eine ernsthafte Politik der Inklusion von Menschen mit Behinderung | |
und die soziale Unterstützung von Frauen und Eltern voraus. | |
Schön wäre es, so eine psychosoziale Beraterin, wenn „Frauen, die Kinder | |
mit Behinderung haben, größtmögliche Unterstützung bekommen würden, so dass | |
. . . man dadurch eine andere Entscheidungsgrundlage hätte.“ | |
26 Feb 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.g-ba.de/informationen/beschluesse/2857/ | |
[2] http://www.dgpfg.de/fileadmin/Archiv/Dokumente/Information_und_Presse/PM_NI… | |
[3] http://www.frauengesundheitszentren.de/ | |
[4] http://bvkm.de/ | |
[5] http://www.dghwi.de/ | |
[6] http://www.bvdh.de/index.php | |
[7] http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/ | |
[8] http://www.bioskop-forum.de/ | |
[9] http://www.netzwerk-praenataldiagnostik.de | |
[10] http://www.weibernetz.de/index.html | |
[11] http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/files/Stellungnahme-GBA-2017_02_14.pdf | |
## AUTOREN | |
Sabine Könninger | |
Kathrin Braun | |
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zu entschlüsseln. |