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# taz.de -- Kommentar Präimplantationsdiagnostik: Selbstbestimmung geht vor
> In einer Gesellschaft mündiger Menschen ist es falsch, den Bürgern
> vorhandenes Wissen und medizinische Diagnostik vorzuenthalten. Den
> Parlamentariern gebührt Respekt.
Seit einem Jahr weht durch die deutsche Humangenetik und
Reproduktionsmedizin so etwas wie ein Hauch europäischer Normalität: Am 6.
Juli 2010 hatte der Bundesgerichtshof die umstrittene
Präimplantationsdiagnostik (PID) für vereinbar mit dem
Embryonenschutzgesetz erklärt - und damit ist sie wie in England, Belgien
oder Frankreich auch hierzulande zulässig. Am Donnerstag nun hat der
Bundestag die Gentests an künstlich erzeugten Embryonen gesetzlich erlaubt
- in sehr engen Grenzen und unter der Bedingung, dass eine Ethikkommission
zustimmt. Endlich!
Erstaunlich ist dabei, wie groß die Mehrheit der Parlamentarier ist, die
sich schlussendlich für die PID ausgesprochen haben und damit für die
Anerkennung der Lebenswirklichkeit von Eltern, die eben keine gewissenlosen
Exzentriker sind, sondern es schlicht kein weiteres Mal aushalten würden,
das eigene Kind sterben zu sehen.
Nach der hochemotionalen Debatte des vergangenen Jahres, die mitunter wie
ein Religionskrieg geführt wurde, war dieses Votum in seiner Eindeutigkeit
nicht zu erwarten. Umso mehr Respekt gebührt den Parlamentariern, die sich
ernsthaft mit der hochkomplexen, medizintechnischen Materie
auseinandergesetzt haben. Und sodann zu dem Schluss gekommen sind, den nur
ziehen kann, wer die Grundsätze der Aufklärung akzeptiert: In einer
Gesellschaft mündiger Menschen ist es falsch, den Bürgern vorhandenes
Wissen und medizinische Diagnostik vorzuenthalten.
Natürlich ist es Aufgabe des Rechtsstaats, ungeborenes Leben zu schützen.
Nur: In der Praxis findet die Selektion längst statt. Wenn bei der
Pränataldiagnostik im Mutterleib gravierende Behinderungen festgestellt
werden, dann sind Spätabtreibungen die Regel - und zwar bis kurz vor der
Geburt. Die PID zu verbieten hieße, einen Embryo stärker zu schützen als
einen Fötus im achten Monat. Ein Wertewiderspruch.
Angesichts der im Gesetz verankerten Restriktionen und auch wegen der
physisch wie psychisch brutalen Prozedur, die künstliche Befruchtung
gefolgt von PID für Frauen bedeutet, ist übrigens nicht zu befürchten, dass
die PID künftig in Deutschland zur Regel wird.
Stattdessen könnte eine Forderung Praxis werden, die derzeit eher als
Lippenbekenntnis missbraucht wird: Behinderte und Kranke genießen die volle
gesellschaftliche Akzeptanz und Unterstützung, Behinderungen und
Krankheiten nicht. Das wäre der wirkliche Durchbruch.
7 Jul 2011
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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