# taz.de -- Genetiker über die PID-Debatte: "Eine sehr deutsche Furcht" | |
> Das designte Wunschbaby wird es auch in Zukunft nicht geben, aber die | |
> Kriterien für die Diagnostik werden sich verändern, glaubt zumindest der | |
> niederländische Genetiker Joep Geraedts. | |
Bild: "Alle genetischen Krankheiten, die man während der Schwangerschaft entde… | |
taz: Herr Geraedts, ist Deutschland jetzt auf europäischem Niveau | |
angekommen? | |
Joep Geraedts: Ich bin froh, dass die Deutschen sich entwickelt haben. Sie | |
sind noch nicht da angekommen, wo andere europäische Länder im Bereich der | |
Reproduktionsmedizin längst sind. Aber sie haben begriffen, dass es nicht | |
sein kann, dass man einerseits erlaubt, während der Schwangerschaft mehr | |
oder weniger alle - selektierenden - Untersuchungen am Kind im Mutterleib | |
zu erlauben, aber andererseits in der ersten Woche nach der Befruchtung | |
jede Diagnostik am Embryo verbietet. | |
Viele fürchten, auch vor dem Hintergrund der NS-Diktatur, die PID sei nur | |
der Anfang weiterer Selektion. | |
Das ist eine sehr deutsche Furcht. Sie spielen auf die Frage nach dem | |
Wunschbaby an. Das wird auch in Zukunft sehr schwierig sein. Aber natürlich | |
muss man damit rechnen, dass sich die Kriterien für die Diagnostik | |
verändern. Das ist Teil der Demokratie. | |
Ein Beispiel? | |
In den Niederlanden hatten wir 2008 eine Debatte, ob wir mit der PID auch | |
genetisch bedingte Krebserkrankungen wie Brustkrebs diagnostizieren dürfen. | |
85 Prozent der Bevölkerung haben sich dafür ausgesprochen. Seither machen | |
wir das, wenn die Paare es wünschen. | |
Was ließe sich noch diagnostizieren, vorausgesetzt, es wäre erlaubt? | |
Alle genetischen Krankheiten, die man während der Schwangerschaft entdecken | |
kann, kann man theoretisch auch bereits nach der Befruchtung entdecken. | |
Derzeit allerdings ist unser Problem: Wir haben nur eine Zelle, also sehr | |
wenig Material, und nur sehr wenig Zeit, maximal einige Tage. Wenn wir | |
künftig die Eizellen und die Embryonen einfrieren könnten, gewönnen wir | |
Zeit. Daneben wird versucht, das DNA-Material später zu untersuchen - und | |
dann von mehreren Zellen. | |
Geht es darum, die Diagnostik zu verbessern? Oder um ganz neue | |
Erkenntnisse? | |
Bei der präimplantationsgenetischen Diagnostik geht es um den Ausschluss | |
schwerer Gen- und Chromosomendefekte, die die Eltern nicht vererben | |
möchten. Darüber hinaus gibt es das präimplantationsgenetische Screening. | |
Hier untersuchen wir, ob alle Chromosomen zweifach anwesend, also normal | |
sind, unabhängig von dem fraglichen Gendefekt. Die große Frage, die | |
Wissenschaftler weltweit derzeit umtreibt, ist: Kann man die Diagnostik und | |
das Screening zusammen machen? | |
Was wäre denn der Nutzen einer solchen kombinierten Untersuchung? | |
Grundsätzlich hat jede Frau Eizellen mit der normalen Gesamtzahl von 46 | |
Chromosomen, aber auch solche mit einer abnormalen Gesamtzahl. Dies | |
wiederum führt dazu, dass eine Schwangerschaft erst gar nicht entsteht. | |
Oder dass es in einer sehr frühen Phase zu einem spontanen Abort kommt. | |
Über das Screening könnten wir Eizellen mit abnormalen Chromosomen bei | |
einer künstlichen Befruchtung erst gar nicht verwenden. Dadurch könnten wir | |
die Schwangerschaftsraten bei künstlicher Befruchtung - derzeit liegen sie | |
bei 15 bis 25 Prozent - verbessern. Und zugleich würden wir mit der PID | |
Gendefekte ausschließen. | |
Was passiert denn mit den Embryonen, die Sie nicht einpflanzen? | |
Wir bitten die Paare in den Niederlanden um Zustimmung, ob wir diese | |
Embryonen weiter untersuchen dürfen. Wir schauen, ob die eine Zelle, die | |
wir bereits untersucht haben, repräsentativ ist für den restlichen Embryo. | |
Darüber hinaus könnten wir diesen Embryo ein paar Tage weiter wachsen | |
lassen und sodann embryonale Stammzellen gewinnen. Anhand derer könnten wir | |
sonstige Krankheiten untersuchen. Technisch wäre das möglich. | |
Aber nicht erlaubt. | |
Wir würden wirklich ethische Probleme kriegen, wenn wir mehr Erbkrankheiten | |
untersuchen würden als diejenigen, die in der Familie bekannt sind. | |
Zumindest wenn es keine Therapie gibt. Stellen Sie sich vor, ich würde | |
feststellen, dass Ihr Embryo zwar nicht den fraglichen Gendefekt hat, aber | |
eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er als Erwachsener die erbliche Form der | |
Alzheimer-Krankheit entwickelt. Im Umkehrschluss hieße das: Sie oder Ihr | |
Partner kriegen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Alzheimer. Und man kann | |
nichts dagegen machen. So etwas darf man nicht untersuchen. | |
Wenn ich entgegnete, dass es in meiner Familie seit Generationen Alzheimer | |
bereits ab dem 40. Lebensjahr gibt, könnte dann nicht die Ethikkommission | |
den Test erlauben? | |
Möglicherweise ja. Die Ethikkommission darf das nicht pauschal beantworten. | |
Was eine ernsthafte Krankheit ist, hängt immer auch vom Empfinden der | |
Betroffenen ab. | |
7 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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