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# taz.de -- Entscheidung zur PID: "Einstein im Rollstuhl? Joblos!"
> Die ehemalige Behindertenbeauftragte Karin Evers-Meyer (SPD) über ihr
> Votum für die PID, die Doppelmoral der Kirchen und die tägliche
> Diskriminierung Behinderter.
Bild: Karin Evers-Meyer, ehemalige Behindertenbeauftragte, beklagt die Diskrimi…
taz: Frau Evers-Meyer, Kirchen und Behindertenverbände kritisieren die
Zulassung der Präimplantationsdiagnostik durch den Bundestag als
Diskrimierung behinderter Menschen. Sie waren bis 2009
Behindertenbeauftragte und haben für die PID gestimmt. Wie geht das
zusammen?
Karin Evers-Meyer: Das Missverständnis ist die Annahme, die PID garantiere
ein gesundes Kind. Das tut sie nicht. Sie schließt nur eine bestimmte
Erbkrankheit aus. Es wird trotz PID Menschen mit Behinderungen geben. Und
ich finde, dass man Vertrauen und Respekt haben muss vor den Eltern. Wenn
diese aufgrund persönlicher Schicksale die PID möchten, dann darf man sie
in diesen Dingen, die in ihr tiefstes privates Leben eingreifen, nicht per
Gesetz bevormunden. Zumal der moralische Anspruch, der jetzt von Kirchen
und Verbänden formuliert wird, sich in unserer Willkommenskultur für
Behinderte im Alltag nicht widerspiegelt.
Inwiefern?
Die Trennung findet nach der Geburt statt. In Baden-Württemberg
beispielsweise, einem der reichsten Bundesländer, bekommen Sie für Ihr
behindertes Kind keinen Platz in einer Regelschule. Auch katholische
Schulen nehmen häufig keine behinderten Kinder. Zur Begründung gibt es oft
Ausreden: Der Physikraum im dritten Stock sei leider nur mit einer Treppe
zu erreichen.
Was kann Politik dagegen tun?
Wenn Sie darüber im Parlament debattieren wollen, so engagiert wie über PID
oder Spätabbrüche, dann ist der Saal leer. Mich macht diese Doppelmoral
nachdenklich: Kein vergleichbares Land sortiert Kinder nach
Behinderungsarten. Für jeden Fall haben wir eine gesonderte Schule. Aber
danach gibt es nicht etwa einen Job, sondern eine Werkstatt für Behinderte
- weiter getrennt vom Rest der Welt. Ein Einstein im Rollstuhl kriegte in
Deutschland keine Arbeit.
Das alles widerspricht der UN-Behindertenkonvention.
Deutschland ist verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu schaffen.
Das bedeutet: Die Förderung muss den Kindern folgen, nicht die Kinder der
Förderung. Das passiert aber nicht.
Sie sprechen aus Erfahrung. Sie hatten einen Sohn, der mit einer
Behinderung geboren wurde und später starb.
Ja, durch einen Geburtsschaden hatte einer meiner Zwillinge eine
Körperbehinderung. Ich habe mitgemacht, was viele Eltern durchmachen: Das
Bittstellen bei Ämtern, bei der Krankenkasse, das Offenlegen der
Gehaltsabrechnungen, weil Sie stets verdächtigt werden, zu viel Hilfe in
Anspruch zu nehmen. Und dann die Kosten, über die niemand spricht: Wenn Sie
ein Rollstuhlkind haben, brauchen Sie ein größeres Auto. Familien mit
Kindern mit Behinderung haben in Deutschland ein doppelt so hohes
Armutsrisiko wie Familien mit Kindern ohne Behinderung.
Was fordern Sie?
Dass wir aufhören, diese Kinder auszugrenzen. Ein Beispiel: Ich hatte dafür
gekämpft, dass meine Söhne dieselbe Grundschule besuchen können. Ab der
weiterführenden Schule sollte das aus Betreuungsgründen nicht mehr möglich
sein. Mein behinderter Sohn musste in ein 100 Kilometer entferntes
Internat. Freundschaften sind kaputt gegangen, für unsere Familie war es
furchtbar. Mein Sohn hat uns das nie verziehen. Weil wir Behinderte in
unserem Alltag immer weniger sehen, entfremdet sich die Gesellschaft von
ihnen. Wir brauchen aber Wertschätzung - zuerst im richtigen Leben und
nicht zuerst in der Petrischale.
8 Jul 2011
## AUTOREN
Heike Haarhoff
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