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# taz.de -- Kriegsverbrechen und Justiz: Deutschland klagt ab und zu mal an
> Nach dem Völkerstrafgesetzbuch kann die Bundesanwaltschaft
> Kriegsverbrechen weltweit verfolgen – von Rumsfeld bis zu den Taliban.
> Warum tut sie es so selten?
Bild: Ist die deutsche Justiz faul?
BERLIN taz | Ist die deutsche Justiz unwillig, faul, oder gibt es keine
geeigneten Fälle? Seit zehn Jahren existiert bereits das
Völkerstrafgesetzbuch (VStGB). Und die Anklage gegen die beiden
Milizenführer aus dem Kongo ist bislang das einzig zählbare Ergebnis
geblieben. Woran liegt das?
Am Gesetz wohl nicht, denn das VStGB ist weit gefasst: Völkermorde,
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit können in
Deutschland vor Gericht gebracht werden – auch wenn die Tat im Ausland
stattfand und keine Deutschen als Täter oder Opfer beteiligt waren. Als
Anklagebehörde ist die Bundesanwaltschaft für das VStGB zuständig. Sie
könnte also als „global Player“ deutsche Rechtsstaatlichkeit exportieren.
Doch lange Zeit wurden die VStGB-Verfahren quasi nebenbei erledigt. Erst
2009 wurde ein eigenes Referat für Völkerstraftaten eingerichtet. Zum Team
gehören jetzt acht Staatsanwälte, etwa die Hälfte von ihnen sind
wissenschaftliche Mitarbeiter, die von ihren Anklagebehörden auf Zeit an
die Bundesanwaltschaft abgeordnet wurden. Beim Bundeskriminalamt stehen
ihnen sieben Polizisten zur Seite. Im Verhältnis zu den Gräueln der Welt
ist das lächerlich wenig.
Doch die Bundesanwaltschaft konzentriert sich bei ihren VStGB-Aktivitäten
ohnehin auf Fälle, die einen Bezug zur Bundesrepublik haben. Sie kann sich
dabei auf den ebenfalls seit 2002 geltenden Paragraf 153f der
Strafprozessordnung (StPO) stützen. Danach muss sie Kriegsverbrechen und
Völkermorde nicht verfolgen, „wenn sich der Beschuldigte nicht im Inland
aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist“.
Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings auch eine Verpflichtung zu
ermitteln, wenn ein Beschuldigter sich in Deutschland aufhält oder hier
erwartet wird. Zwar ist im Staatsschutzrecht geregelt, dass auf
Ermittlungen verzichtet werden kann, wenn öffentliche Interessen überwiegen
(§ 153d StPO). Das gilt aber ausdrücklich nicht für Vergehen, die unter das
Völkerstrafrecht fallen. Die Bundesjustizministerin könnte also nicht per
Weisung verhindern, dass gegen Vertreter befreundeter Staaten ermittelt
wird. In der Praxis finden sich dann meist andere Gründe, warum nach
Strafanzeigen nicht ermittelt werden muss – selbst wenn sich der Angezeigte
in Deutschland aufhält.
## Zweierlei Maß
Ermittlungen gegen Ex-US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wurden 2005
abgelehnt, weil zunächst die US-amerikanische Justiz zuständig sei,
Vorwürfe wegen der Foltervorfälle im irakischen Gefängnis Abu Ghraib selbst
zu untersuchen. Die Bundesanwaltschaft berief sich dabei auf den Grundsatz
der Subsidiarität. Nachdem klar war, dass die US-Justiz nicht gegen
Rumsfeld ermitteln wird, wurde er erneut angezeigt. Wieder erfolglos.
Diesmal – 2007 – argumentierte die Bundesanwaltschaft, ein
Deutschlandbesuch Rumsfelds sei nicht konkret zu erwarten. Außerdem wären
Ermittlungen ohnehin nicht erfolgversprechend, weil sie auf kaum zu
realisierende Rechtshilfe von USA und Irak angewiesen wären.
Im Herbst 2005 weilte der usbekische Innenminister Zakirjon Almatow zu
einer ärztlichen Behandlung in Deutschland. Daraufhin wurde er wegen seiner
Verantwortung für ein Massaker in der usbekischen Staat Andischan
angezeigt. Doch bei Eingang der Anzeige in Karlsruhe war Almatow schon
wieder ausgereist.
Als im Herbst 2011 der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu
einem Staatsbesuch nach Deutschland kam, wurde er wegen mutmaßlicher
Kriegsverbrechen in Kurdistan angezeigt. Die Bundesanwaltschaft sah sich an
Ermittlungen gehindert, weil sich Tayyip Erdogan auf „amtliche Einladung“
in Deutschland aufhielt.
Menschenrechtler wie der Berliner Anwalt Wolfgang Kaleck sind enttäuscht.
Er spricht sogar von „doppelten Standards“. Verbrechen westlicher Staaten
und ihrer Bundesgenossen würden in der Regel ignoriert.
Doch was hätte die Bundesanwaltschaft tun können, wenn sie in diesen Fällen
tatsächlich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hätte? Hätte sie zum
Beispiel den usbekischen Innenminister festnehmen können? Wohl kaum. Auch
im Völkerstrafrecht gelten die üblichen Regeln zur Untersuchungshaft.
Erforderlich ist also nicht zuletzt ein „dringender Tatverdacht“. Hierfür
genügen mittelbare Zeugenaussagen in der Regel nicht, entschied der 3.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Mai 2009. Materialsammlungen von
Menschenrechtsorganisationen und Hinweise auf mögliche Zeugen können also
keinen sofortigen Haftbefehl begründen.
## Befragung, dann Ausreise
Allenfalls könnte die Bundesanwaltschaft einen eingereisten Verdächtigen
vernehmen. Da dieser jedoch als Beschuldigter keine Angaben machen muss,
wäre der Nutzen vermutlich gering. Er dürfte anschließend einfach
ausreisen. Die Ermittler können deshalb auch gleich auf eine Vernehmung
verzichten, um den Verdächtigen nicht vorschnell vor weiteren Besuchen in
der Bundesrepublik zu warnen.
Die Bundesanwaltschaft legt allerdings vorsorglich „Beobachtungsvorgänge“
zu allen Sachverhalten an, die Gegenstand eines Völkerstrafverfahrens
werden könnten. Anlass kann eine Strafanzeige sein, aber auch eine
Pressemeldung. Ein Beobachtungsvorgang kann mehrere Leitz-Ordner umfassen
oder nur eine schmale Mappe. Allein im Jahr 2011 wurden nach Angaben der
Bundesanwaltschaft „weit über hundert“ neue Beobachtungsvorgänge angelegt.
Dabei ermittelt die Behörde aber noch nicht, sondern sammelt nur
Informationen, auch um die Konflikte überhaupt verstehen und einschätzen zu
können.
Es ist deshalb kein Zufall, dass sich die VStGB-Aktivitäten der
Bundesanwaltschaft auf Beschuldigte konzentrieren, die in Deutschland
wohnen. Deutschland kann so jedenfalls kein dauerhafter und sicherer
Rückzugsort für Kriegsverbrecher und Völkermörder werden.
Der Hamburger Strafrechtler Florian Jeßberger, Experte für
Völkerstrafrecht, hat voriges Jahr bei einer Veranstaltung in Karlsruhe
vorgeschlagen, mehr symbolische Strafverfolgung gegen Täter im Ausland zu
betreiben. Ein förmliches Ermittlungsverfahren nach dem VStGB solle nicht
nur eingeleitet werden, wenn eine Verurteilung möglich scheine. Er
erinnerte an das spanische Ermittlungsverfahren gegen den chilenischen
Exdiktator Pinochet, das dazu beitrug, auch in Chile die Bereitschaft für
eine Aufarbeitung der Verbrechen der Diktatur zu wecken. Die
Bundesanwaltschaft hat in ihrem zweiten Rumsfeld-Beschluss 2007 eine rein
symbolische Strafverfolgung allerdings ausdrücklich abgelehnt.
Gegen Jeßbergers Vorschlag spricht, dass sich gerade auch eine symbolische
Strafverfolgung nicht gegen die Interessen von wichtigen Staaten wie USA,
China oder Russland wenden wird. Wenn der Affront zum Selbstzweck wird,
kann sich niemand mehr hinter rechtsstaatlichen Notwendigkeiten verstecken,
weshalb politische Überlegungen überwiegen werden und die Anwendung von
zweierlei Maß eher noch zunehmen dürfte.
## Prozess erst nach viel Lobbyarbeit
Leonie von Braun, bei Amnesty International Sprecherin der
Koordinationsgruppe gegen Straflosigkeit, ist schon froh, dass es das
Stuttgarter Verfahren gegen die beiden FDLR-Führer gibt. Es habe viel
Lobbyarbeit erfordert, dass das Gesetz jetzt endlich angewandt wird.
Tätig wird die Bundesanwaltschaft auch, wenn sie Beweise für andere
Gerichte sichern kann. Als zum Beispiel der deutsche
Exbundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer bei einem Besuch in Libyen von
Truppen des damaligen Gaddafi-Regimes beschossen und sein Gastgeber getötet
wurde, eröffnete die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen
Gaddafi und vernahm Todenhöfer. Die Beweise sollten für den Internationalen
Strafgerichtshof in Den Haag gesichert werden, wo schon Ermittlungen gegen
Gaddafi liefen.
Derzeit führt die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen
unbekannte syrische Täter. Sie vernimmt syrische Zeugen, die in Deutschland
leben, um Beweise zu sichern. Ob es sich um mutmaßliche Verbrechen des
Regimes oder der Rebellen handelt, will die Behörde noch nicht offen legen.
Zuständig ist die Bundesanwaltschaft auch für Straftaten von
Bundeswehrsoldaten im Rahmen von kriegerischen Auseinandersetzungen.
Bekannt ist der Fall von Oberst Klein, der 2009 in Afghanistan das
Bombardement von zwei entführten Tanklastern befahl und so den Tod von
dutzenden Zivilisten verursachte. Die Bundesanwaltschaft lehnte
Ermittlungen ab, weil Klein nicht dachte, dass Zivilisten getroffen werden
könnten und deshalb keinen Vorsatz für ein Kriegsverbrechen hatte.
## Ermittlungen gegen Bundeswehrsoldaten
Wenn Bundeswehrsoldaten in Afghanistan Zivilisten töten, die sich an
Kontrollstellen falsch verhalten, dann leitet die Bundesanwaltschaft in der
Regel Ermittlungen ein. Diese haben aber noch nie zu einer Anklage
geführten, da sich die Soldaten nach Auffassung der Ankläger stets an das
humanitäre Kriegsvölkerrecht gehalten haben.
Ein neues Ermittlungsverfahren eröffnete die Bundesanwaltschaft im Juli.
Erstmals geht es um einen Drohnenangriff auf einen deutschen Staatsbürger.
Im Oktober 2001 starb der in Wuppertal aufgewachsene Islamist Bünyamin E.
in Pakistan durch eine ferngesteuerte Drohne. Nach 21-monatiger Prüfung
haben die Ankläger herausgefunden, dass in Pakistan ein bewaffneter
Konflikt ausgetragen wird und sie daher für die Untersuchung des Todesfalls
verantwortlich sind.
Vermutlich ist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vor allem
erforderlich geworden, um Zeugen des Vorfalls vernehmen zu können – etwa
Bünyamins Bruder Emrah, der inzwischen in deutscher Untersuchungshaft
sitzt. Die Bundesanwaltschaft ist wohl auch hier nicht an einem Konflikt
mit den USA interessiert – zumal Präsident Barack Obama angeblich alle
gezielten Tötungen persönlich absegnet und damit auch Ziel deutscher
Strafverfolgung wäre. Wie das Verfahren ausgeht, ist also durchaus
abzusehen.
20 Aug 2012
## AUTOREN
Christian Rath
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