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# taz.de -- 155.-161. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Die Angeklagten bleibe…
> Ein Antrag der Verteidigung auf Einstellung des Verfahrens und
> Haftentlassung der FDLR-Führer wird abgelehnt. Aber einige der
> kongolesischen Opferzeuginnen werden kritisiert.
Bild: Keine Haftentlassung: Hochsicherheitstrakt in Stuttgart-Stammheim. Hier s…
BERLIN/STUTTGART taz | Das Verfahren gegen Ignace Murwanashyaka und Straton
Musoni, Präsident und 1. Vizepräsident der im Kongo kämpfenden ruandischen
Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), wird nicht
eingestellt, die Angeklagten werden nicht aus der Haft entlassen.
Diese am 24. Juni gefällte Entscheidung des 5. Strafsenats beim
Oberlandesgericht Stuttgart, wo die beiden seit 2011 wegen mutmaßlicher
Verantwortlichkeit für FDLR-Kriegsverbrechen im Kongo vor Gericht stehen,
prägte die Verhandlung in einem Zeitraum, bei der ansonsten fast
ausschließlich Opferzeugen unter Ausschluss der Öffentlichkeit befragt
wurden.
Die Verteidiger Murwanashyakas und Musonis hatten am 13. Mai die
Einstellung des Verfahrens und die Aufhebung der beiden Haftbefehle
beantragt. Die Bundesanwaltschaft nahm dazu am 10. Juni Stellung.
Am 24. Juni wies der Senat die beiden Anträge der Verteidigung als
„unbegründet“ zurück, folgte weitgehend der Argumentation der Anklage aber
stellte sich in einem wichtigen Punkt hinter die Verteidigung.
## Verteidigung sieht "Verfahrenshindernis"
Zentraler Punkt der Auseinandersetzung war die Haltung der Verteidigung,
wonach sich „aus den Besonderheiten des Verfahrens“ ein
„Verfahrenshindernis“ ergebe, aus dem ein Bestrafungsverbot folge, da es
sich um Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention handele.
Aufgeführt wurde unter anderem, dass die Verfahrensbeteiligten die Tatorte
weder kennen noch je sehen werden; dass die Lebensbedingungen der Zeugen
unbekannt und mögliche Einflussnahmen undurchsichtig sind.
Es bestehe keine „Aktenwahrheit“ und keine „Aktenklarheit“ und auch kei…
Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung: die Anklage habe vor
Ort ermittelt, die Verteidigung könne dies nicht; die Anklage habe Kontakte
zur UNO und anderen Organisationen und Zugang zu Beweismitteln des
Internationalen Strafgerichtshofs, die Verteidigung nicht.
„Den Verteidigungen sind die diesbezüglichen Erkenntnisquellen des
Generalbundesanwalts verschlossen“, hieß es.
„Nach welchen Regeln im Kongo befragt oder ermittelt wird, bleibt völlig im
Dunkeln“, so Anwältin Andrea Groß-Bölting vor Gericht. „Das Verfahren
stützt sich aber in wesentlichen Punkten auf die Angaben von Personen, die
im Kongo Befragungen durchgeführt haben“.
Und zwar Befragungen, die nicht nach den Regeln der deutschen
Strafprozessordnung durchgeführt wurden - beispielsweise durch UN-Experten
oder Menschenrechtsorganisationen. Die alle würden ihre Quellen nicht
preisgeben, daher seien ihre Angaben nicht zu überprüfen.
## Alle Zeugen "ungeeignet"
Gleiches gelte für die anonymisierten Opferzeugen, von denen ja nicht
einmal bekannt sei, wer sie sind, wo sie leben und wo die Taten verübt
wurden, die sie erlitten haben sollen. Es bestünden „massive
Manipulationsmöglichkeiten und Fehlerquellen“. Alle Zeugen - Opferzeugen,
ehemalige FDLR-Kämpfer sowie Experten der UNO und anderer Organisationen -
seien für eine Verurteilung „ungeeignet“.
Die Staatsanwaltschaft diktiere letztendlich das Verfahren auch gegenüber
dem Senat, der keine „eigenständige Wahrheitsermittlung“ durchführe. Dazu
komme eine „Fremdsteuerung durch die Exekutive“ und ein hoher
Erwartungsdruck seitens interessierter Medien.
Die Angeklagten säßen seit nunmehr dreieinhalb Jahren in Untersuchungshaft
„unter besonders gesicherten Haftbedingungen... der Senat hat bislang jeden
Antrag auf Lockerung abgelehnt“. Da ihnen zugleich wesentliche Rechte im
Verfahren „ausgehebelt“ würden, müsse die Konsequenz „die Einstellung d…
Verfahrens“ sein.
## Anklage: Wenn Beweise nicht reichen, dann Freispruch
Die Bundesanwaltschaft hielt dem in ihrer Stellungnahme vor allem
juristische Argumente entgegen. Ein „Verfahrenshindernis“ sei etwas anderes
als das, was die Verteidigung ausführe. Und selbst wenn es eines gebe, sei
die Konsequenz daraus nicht die Einstellung des Verfahrens - sondern die
Aufhebung des Urteils in der Revision.
Auch wenn sich die Zeugen als ungeeignet erwiesen oder die Taten nicht
hinreichend nachgewiesen werden könnten, sei die Konsequenz nicht die
Einstellung des Verfahrens - sondern eben ein Freispruch. Die Verteidiger
zeigten in ihrer Argument „keine strukturellen Defizite der
Strafprozessordnung auf, sondern beschreiben nur tatsächliche
Schwierigkeiten“.
Alles andere seien „haltlose Mutmaßungen“. Ein besonderes Interesse der
Öffentlichkeit und der Medien sei auch nicht zu erkennen, wie aus den meist
weitgehend leeren Zuschauerbänken hervorgehe.
## Senat: "Verfahrenshindernis liegt nicht vor"
Der Senat schloss sich in seinem Beschluss weitgehend der Argumentation der
Staatsanwaltschaft an. „Ein Verfahrenshindernis, das zur Einstellung des
Verfahrens zu führen hätte, liegt nicht vor“, so der Senat, „weder im
Hinblick auf die einzelnen Beanstandungen noch in der Gesamtschau“.
Den aufgeführten Problemen bei der Würdigung von Beweismitteln und der
Befragung von Zeugen werde im Verfahren Rechnung getragen. Und selbst wenn
gegen Beweiserhebungsvorschriften verstoßen werde - wobei die Verteidigung
eher das Fehlen solcher Vorschriften gerügt hatte - ergebe sich daraus kein
automatisches Verwertungsverbot, sondern es müsse „jeweils nach den
Umständen des Einzelfalls unter Abwägung der widerstreitenden Interessen“
entschieden werden.
Es gebe kein Fehlen von Waffengleichheit „in einer gegen das
Rechtsstaatsprinzip verstoßender Weise“, denn das Gebot der
Chancengleichheit beziehe sich auf das Verfahren im Gerichtssaal. Es gebe
keinen Verstoß der Bundesanwaltschaft gegen das Gebot der Aktenwahrheit und
Aktenklarheit und auch nicht „in erheblicher Weise“ gegen das
Neutralitätsgebot.
„Dass die Prozessbeteiligten einzelne Erkenntnisse unterschiedlich sehen,
entspricht der Natur der Sache“, so die Richter.
Die Behauptung, dass die Zeugen in diesem Verfahren als Beweismittel nicht
zu gebrauchen seien, „ist vom Ansatz her fehlerhaft“, so der Senat weiter.
Und dass der Senat bisher überwiegend die Beweismittel der Anklage
eingeführt habe, bedeute nicht, dass der Senat die Schlussfolgerungen der
Anklage teilt. Außerdem würden Beweisanträge der Verteidigung ebenfalls
noch Berücksichtigung finden.
## Aussagen der Opferzeugen reichen nicht aus
Interessanterweise übt der Senat in seinem Beschluss deutliche Kritik am
bisherigen Auftreten einiger der kongolesischen Opferzeugen, die per
Videolink unter Ausschluss der Öffentlichkeit befragt worden sind. Er sieht
durchaus eine „Beeinträchtigung des Konfrontationsrechts“, da zwei
Zeuginnen Fragen der Verteidigung nicht beantwortet und die Befragung
abgebrochen hätten.
Es sei daher davon auszugehen, dass „zum jetzigen Zeitpunkt“ ein
Tatnachweis bezüglich dreier der 16 in der Anklage aufgelisteten Taten
nicht zu führen sei, so der Senat.
Es geht hier um den Vorwurf, dass am 15. Februar 2009 eine Gruppe von
FDLR-Milizionären eine Gruppe kongolesischer Frauen überfallen und brutal
vergewaltigt habe; eine der Frauen sei verblutet, männliche Dorfbewohner
seien in ein Feuer getrieben und lebendig verbrannt worden. Eine der
bereits per Video befragten Opferzeuginnen ist eine Überlebende dieses
Vorfalls. Weitere Vorwürfe beziehen sich auf Überfälle der FDLR auf ein
Dorf in der Nähe von Malemo, bei denen eine Zeugin brutal vergewaltigt
wurde.
Die zu diesen Taten befragten Opferzeuginnen, offensichtlich schwer
traumatisiert, hatten die Befragungen durch die Verteidigung abgebrochen,
nachdem die Verteidigung erst grundsätzlich und dann bis in intimste
Details hinein ihre Erlebnisse angezweifelt hatte. Dies ist bereits in
öffentlichen Stellungnahmen zu den nichtöffentlichen Befragungen zur
Sprache gekommen.
## Probleme rechtfertigen keine Verfahrenseinstellung
Die Taten, um die es dabei geht, stellen jedoch nur „einen sehr kleinen
Teil der angeklagten Taten“ da, so der Senat, und seien auch nicht die
Grundlage für bisherige Beschlüsse zur Haftfortdauer der Angeklagten. So
rechtfertige die „Beeinträchtigung“ der Rechte der Verteidigung hierbei
keine Einstellung des Verfahrens und keine Freilassung der Angeklagten. Der
Senat geht allerdings nicht darauf ein, ob aus dem Gesichtspunkt des
Opferschutzes die Fragen der Verteidigung vielleicht zu weit gegangen sein
könnten.
„Da eine Verfahrenseinstellung ausscheidet, kommt auch eine Aufhebung der
Haftbefehle nicht in Betracht“, so abschließend der Senat. Die besonderen
Haftbedingungen seien dem Umstand geschduldet, dass es sich um „Taten der
Schwerkriminalität“ handelt. Es liege zudem Fluchtgefahr vor. Die Länge der
Untersuchungshaft sei „angesichts der Höhe der Straferwartung... nach wie
vor verhältnismäßig“.
## Als nächstes spricht Straton Musoni
Am Montag 5. August soll der Angeklagte Straton Musoni sich erstmals selbst
vor Gericht äußern - bisher haben sowohl er als auch Murwanashyaka von
ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Die taz wird darüber aktuell
berichten. Die Berichte über die zwischenzeitlich erfolgten Befragungen
dreier weiterer Zeugen in öffentlicher Verhandlung werden nachgereicht.
2 Aug 2013
## AUTOREN
Dominic Johnson
Bianca Schmolze
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Kongo
Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
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