| # taz.de -- 97.-98. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Musoni will Rechtsgespr�… | |
| > Der zweite Angeklagte im FDLR-Prozess hofft auf Haftverschonung. Bei | |
| > erneuter Befragung eines UN-Zeugen werden Mängel der | |
| > BKA-Übersetzungsarbeit deutlich. | |
| Bild: Straton Musoni im Stuttgarter Oberlandesgericht. | |
| STUTTGART taz | Die Verteidigung von Straton Musoni, 1. Vizepräsident der | |
| im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur | |
| Befreiung Ruandas) und einer der beiden Angeklagten im laufenden | |
| FDLR-Kriegsverbrecherprozess vor dem OLG Stuttgart, will Haftverschonung | |
| für ihren Mandanten. Zur Wiederaufnahme der Hauptverhandlung nach der | |
| Sommerpause am 10. und 12. September bestätigten die Anwälte Andrea | |
| Groß-Bölting und Jan Bockemühl, sie hätten beim 5. Strafsenat um ein | |
| „Rechtsgespräch“ ersucht. | |
| Dies erregte einiges Aufsehen unter Prozessbeteiligten und | |
| Prozessbeobachtern am 10. September. Ein „Rechtsgespräch“ dient nämlich | |
| üblicherweise dazu, eine „Verständigung“ nach §257c der Strafprozessordn… | |
| herbeizuführen, also einen Deal, bei der ein Geständnis des Angeklagten | |
| Folgen für das Urteil hat. | |
| Nachdem der Vorsitzende Richter Hettich ankündigt, die Bitte um ein | |
| Rechtsgespräch bei der weiteren Planung der Hauptverhandlung zu | |
| berücksichtigen, sieht sich Verteidiger Bockemühl am Ende des 97. | |
| Verhandlungstages (10. September) zu einer Klarstellung genötigt: Es geht | |
| nicht um „ein Rechtsgespräch im Sinne des §257c“, sondern nur um die | |
| „Haftfrage“, sagt er. „Ein Deal kommt erstens nicht in Betracht und wird | |
| zweitens nicht gesucht“. | |
| Das wiederum geht aber seiner Kollegin Groß-Bölting zu weit, die Bockemühls | |
| Äußerungen am Ende des 98. Verhandlungstages (12. September) relativiert. | |
| „Wir möchten gerne darüber sprechen, wie aus unserer Sicht ein | |
| Zwischenergebnis festzuhalten ist, um bestimmte Sachverhalte ausklammern zu | |
| können“, sagt sie. Daraus erhoffe man sich eine Auswirkung auf die | |
| Haftfortdauer. | |
| Sprich: Die Verteidiger wollen den Senat überzeugen, dass einzelne Punkte | |
| der Anklage nicht auf Musoni zutreffen. Dies könnte dann zu Haftverschonung | |
| führen. | |
| Der Senat hat nun die Bundesanwaltschaft gebeten, zu überlegen, „ob es Sinn | |
| macht“, ein solches Rechtsgespräch zu führen. Dies werde dann in drei | |
| Etappen erfolgen, mit Stellungnahmen erst der Verteidigung, dann der | |
| Anklage und schließlich des Senats, der zu überlegen hat, „ob etwas möglich | |
| ist“. | |
| FDLR-Präsident Murwanashyaka, das sagte seine Verteidigerin Ricarda Lang, | |
| schließt sich dem Musoni-Vorstoß nicht an. In jüngster Zeit machte Musoni | |
| vor Gericht des öfteren einen deutlich gelösteren Eindruck als sein | |
| einstiger Vorgesetzter, dessen Rolle als Führer der FDLR sehr viel | |
| eindeutiger erscheint als die des 1. Vizepräsidenten. | |
| ## Sisyphosarbeit der UNO | |
| Das alles aber beschäftigt den Senat an den beiden ersten Verhandlungstagen | |
| nach der Sommerpause nur am Rande. Eigentlich ist Matthew Brubacher, 2009 | |
| bis 2012 hochrangiger Mitarbeiter des für die Repatriierung von | |
| FDLR-Kämpfern aus dem Kongo nach Ruanda zuständigen | |
| UN-Demobilisierungsprogramms DDRRR im kongolesischen Goma, erneut geladen, | |
| um von der Verteidigung befragt werden zu können. | |
| Die nutzt ihre Zeit hauptsächlich, um gegen den Anklagevorwurf des | |
| Einsatzes von Kindersoldaten vorzugehen. Vorliegende DDRRR-Listen über | |
| repatriierte ruandische und demobilisierte kongolesische | |
| FDLR-Kindersoldaten werden unter die Lupe genommen, die Verlässlichkeit der | |
| Angaben hinterfragt und der Umgang mit Demobilisierten durchleuchtet. | |
| Die Arbeit der Demobilisierungsabteilung und der Kinderschutzabteilung bei | |
| der UN-Mission wird erklärt, die Schwierigkeiten der Identifizierung von | |
| Kindern als Ruander oder Kongolesen und die Problematik der Überprüfung | |
| solcher Angaben. | |
| Anders als bei manchen früheren Verhandlungstagen ist der Ton zivil, Fragen | |
| und Antworten werden gleichermaßen ernsthaft und penibel gestellt und die | |
| Stoßrichtung der Verteidigung ist zumeist eindeutig. Das Gericht lernt | |
| sogar dazu. | |
| So geht aus der Befragung hervor, dass zahlreiche kongolesische | |
| Kindersoldaten – die Rede ist von bis zu einem Viertel - nach ihrer | |
| Demobilisierung und Reintegration in ihre Gemeinschaft erneut rekrutiert | |
| werden und dann möglicherweise erneut im Demobilisierungsprogramm | |
| auftauchen. | |
| ## Zurück zu Miliz | |
| Wie das kommt, will Anwalt Bockemühl wissen. „Manchmal werden sie in ihr | |
| Dorf zurückgeschickt und der Konflikt dauert noch an, also nehmen ihre | |
| früheren Kommandanten sie zurück“, erläutert Brubacher. | |
| „Manchmal haben sie Schwierigkeiten, sich in die Gemeinschaft zu | |
| reintegrieren, weil sie als Kämpfer bekannt sind, also gehen sie zur Miliz | |
| zurück. Manchmal ist zuviel Unsicherheit... Es gibt sehr wenig Sicherheit | |
| in Kivu.“ | |
| „Das ist der UN bekannt?“ fragt Anwalt Bockemühl ungläubig. „Sicher“, | |
| antwortet Brubacher. | |
| „Und wird da interveniert?“ fragt der Anwalt. „Wir intervenieren, indem w… | |
| ihnen eine zweite, dritte, vierte Chance geben“, antwortet der | |
| UN-Mitarbeiter. „Es ist wie das Gefängnissystem. Wenn ein Häftling | |
| entlassen wird, begeht er manchmal eine neue Straftat.“ Selten ist die | |
| Problematik von Demobilisierungsprogrammen in Bürgerkriegsgebieten so klar | |
| auf den Punkt gebracht worden. | |
| ## Kongos Armee und FDLR verwechselt | |
| Verteidiger Bockemühl kann es sich aber nicht verkneifen, es schließlich | |
| doch noch mit den Fakten nicht so genau zu nehmen. Im Bemühen, dem Zeugen | |
| Unwahrheit nachzuweisen, bringt er zwei verschiedene Statistiken | |
| durcheinander: Die Kindersoldaten, die die UN-Abteilung DDRRR aus der FDLR | |
| herausholt, demobilisiert und repatriiert – und die Zahlen der | |
| Kindersoldaten, die die UN-Kinderschutzabteilung aus Kongos Armee FARDC | |
| herausholte, nachdem diese Armee 2009 zahlreiche kongolesische Milizen in | |
| ihre Reihen aufnahm. | |
| Bockemühl verweist auf die zweite Zahlenreihe, in der von 911 | |
| Kindersoldaten nur 12 zur FDLR gehören. Dabei habe der Zeuge gesagt, die | |
| FDLR sei ein Hauptrekrutierer von Kindersoldaten! | |
| ## Missverständisse? | |
| Brubacher versucht, zu erklären: die 911 beziehen sich auf Kinder, die aus | |
| den Reihen der kongolesischen Armee entfernt wurden, nachdem diese 2009 | |
| diverse Milizen integriert hatte und dabei 10.000 bis 16.000 neue Kämpfer | |
| aufnahm – ein Prozess, an dem die FDLR nicht teilnahm. „Die FDLR | |
| integrierte sich nicht in Kongo Armee, deswegen sind ihre Zahlen niedrig“. | |
| „Also hat FDLR keine Kindersoldaten rekrutiert, als sie von Kongos Armee | |
| angegriffen wurde?“ fragt Bockemühl daraufhin, als ob er es nicht versteht. | |
| Es sind solche Momente, in denen man an dieser Verhandlung verzweifeln | |
| könnte. | |
| Die Antwort auf seine Frage gibt die Verteidigung unwillkürlich selbst am | |
| nächsten Verhandlungstag. Da hält Murwanashyakas Anwalt Sauer dem UN-Zeugen | |
| eine Reihe von SMS-Botschaften vor, die der im Kongo lebende 2. | |
| FDLR-Vizepräsident Rumuli seinem Chef Murwanashyaka in Deutschland schrieb. | |
| ## „Über der Struktur“ | |
| Rumuli, das hat der Zeuge Brubacher zuvor erläutert, führte 2009 die | |
| FDLR-Reservebrigade, eine wichtige Kampfeinheit, unter anderem für das | |
| Massaker von Busurungi verantwortlich. Er steht „über der Struktur“, | |
| antwortete Brubacher auf eine Frage, warum Rumuli nicht im Organigramm des | |
| FDLR-Militärflügels FOCA auftaucht: die politische Führung der Miliz steht | |
| über der militärischen – ein zentraler Punkt der Anklage in Stuttgart. | |
| Diesen Punkt zu entkräften, stellt ein zentrales Bemühen der Verteidigung | |
| dar. Deswegen hält Rechtsanwalt Sauer jetzt Brubacher eine SMS vor, die | |
| Rumuli am 21. April 2009 an Murwanashyaka schrieb. „Wir befinden uns noch | |
| auf kongolesischem Gebiet, das ist der Grund, warum ich dem FOCA-Kommandeur | |
| eine Botschaft geschickt habe, in der ich ihn auffordere, zur Rekrutierung | |
| und Ausbildung von Jugendlichen zu schreiten“, steht da auf französisch, | |
| auf eine Leinwand im Gerichtssaal gebeamt. | |
| Der Gesamttext lautet im Original: „Nous sommes encore sur territoire | |
| congolais, raison pour laquelle j'ai envoyé au cdt FOCA un message lui | |
| demandant de proceder au recrutement et formation de jeunes en age accompli | |
| afin d'alimenter et d'augmenter capacité ops des unités en difficulté sans | |
| subir un retard, jeunesse est très disposée à cette option.“ | |
| ## Fehlerhafte Übersetzung | |
| Die deutsche Übersetzung, gefertigt vom BKA, steht darunter und weicht vom | |
| Original ab. Da steht jetzt, dass Rumuli „FOCA-Kommandante bittet, mit | |
| Rekrutierung junger Menschen zu beschäftigen“. Aus einer auf französisch | |
| eindeutigen Anweisung wird damit eine bloße Bitte. | |
| Daraus strickt die Verteidigung jetzt, dass die politische Führung den | |
| Militärs keine Anweisungen gegeben habe. Ob das Brubachers Einschätzung zum | |
| Verhältnis der politischen und militärischen Flügel der FDLR verändere, | |
| will Anwalt Sauer wissen. | |
| Brubacher versteht die Frage nicht, sondern nur das französische Original | |
| der Textnachricht. „Der 2. Vizepräsident sagt Murwanashyaka, dass er dem | |
| FDLR-Kommandanten gesagt hat, er soll Rekrutierung vornehmen“, gibt er sein | |
| Verständnis der SMS wieder. | |
| ## „Wir haben von der FDLR Kinder bekommen“ | |
| Am 29. April schreibt Rumuli eine weitere SMS an Murwanashyaka: | |
| Rekrutierung der Jugendlichen „c'est positif“, steht da auf Französisch. | |
| Die offizielle deutsche Übersetzung macht daraus: „erlaubt“. Rechtsanwalt | |
| Sauer sagt: „Daraus entnehme ich, dass eine Erlaubnis gegeben wurde. Der | |
| zweite Vizepräsident informiert den Präsidenten, dass Mudacumura | |
| Rekrutierung erlaubt hat.“ | |
| Brubacher sieht das anders: „Es scheint mir, dass er einfach berichtet, | |
| dass es stattfindet“, sagt er. Außerdem gehe es nur um Erwachsene. | |
| Die Bundesanwaltschaft sieht in diesem Dialog einen unzulässigen Versuch, | |
| einen Zeugen zu einer „Beweiswürdigung“ zu bringen. Man solle den Zeugen | |
| nur nach Tatsachen fragen, stellt der Vorsitzende Richter daraufhin klar. | |
| „Das einzige, was ich weiß, ist, dass wir von der FDLR Kinder bekommen | |
| haben“, resümiert Brubacher daraufhin. „Ich weiß von niemandem in der FDL… | |
| der für die Rekrutierung von Kindern bestraft wurde.“ Es könnte ein | |
| Schlüsselsatz des Verfahrens werden. | |
| 18 Sep 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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