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# taz.de -- 96. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: „Kinder, die Kinder töten…
> Ein vertraulicher UN-Bericht über das FDLR-Massaker im Busurungi enthüllt
> erschreckende Details. FDLR-Führer, rätselten wieso ihre Webseite
> abgeschaltet worden ist.
Bild: Ehemalige Kindersoldaten in Kongo.
STUTTGART taz | Bisher unveröffentlichte Berichte von
UN-Untersuchnungsmissionen über Ablauf und Vorgeschichte des schlimmsten
Massakers, das die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur
Befreiung Ruandas) im Kongo verübt haben soll, wurden am 10. August im OLG
Stuttgart verlesen, am letzten Verhandlungstag im Kriegsverbrecherprozess
gegen FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und seinen Vize Straton Musoni
vor der Sommerpause 2012.
Beim Überfall der FDLR auf das Dorf Busurungi in der Nacht zum 10. Mai 2009
kamen laut Anklage [1][96 Menschen ums Leben.] Ein UN-Team besuchte
Busurungi und den nahen Ort Hombo, wohin sich Überlebende des Massakers
geflüchtet hatten, vom 12. bis 15. Mai 2009 und erstellte seinen Bericht am
30. Mai, der aber bis heute unter Verschluss blieb.
Busurungi stand seit 1996 unter Kontrolle der ruandischen Hutu-Kämpfer,
schreibt das UN-Team. Sie „konnten alle Personen außer Hutu töten,
vergewaltigen und ausplündern, unter völliger Straffreiheit“.
Nach Beginn der gemeinsamen kongolesisch-ruandischen Armeeoperation „Umoja
Wetu“ gegen die FDLR im Ostkongo im Januar 2009 floh die FDLR aus Busurungi
in den Busch, am 30. Januar rückten kongolesische Soldaten in Busurungi
ein.
Die Soldaten der kongolesischen Armee FARDC griffen von Busurungi aus
FDLR-Einheiten auf dem Hügel Shario an. Mehrfach gab es Gegenangriffe der
FDLR auf Busurungi und andere Orte unter Armeekontrolle.
## Mit Macheten und Stöcken
Der Großangriff der FDLR auf Busurungi in der Nacht zum 10. Mai war
systematisch und brutal. Erst wurden die Positionen der Armee angegriffen,
danach die Bevölkerung. Die FDLR-Kämpfer gingen mit Macheten und Stöcken
von Haus zu Haus, schreibt der UN-Bericht; manche Einwohner wurden dabei
getötet, andere in ihren Häusern verbrannt. 60 Zivilisten und 35 Militärs
seien umgekommen, so das UN-Team. Angegriffen worden seien auch die Dörfer
Unyamwasa I und II, Kayendo und andere.
Ganze FDLR-Familien seien am Angriff beteiligt gewesen, „auch Kinder, die
Kinder getötet haben“. Sie sprachen Kinyarwanda und Swahili und warfen der
Bevölkerung vor, die kongolesische Armee gewähren zu lassen: „Ihr habt
etwas angefangen, was euch nicht gelingt. Heute haben wir Busurungi
angegriffen. Wir werden euch bis Tingi-Tingi jagen“.
Tingi-Tingi ist der Ort, wo 1997 Tausende ruandische Hutu-Flüchtlinge zu
Tode kamen, als sie vor der vorrückenden ruandischen Armee flohen und am
Ufer des Kongo-Flusses tief im Regenwald strandeten.
## „FDLR wird euch folgen“
Mehrere Überlebende von Busurungi berichteten dem UN-Team, wie ihre Frauen
und Kinder von der FDLR in Häusern eingeschlossen und dann lebendig
verbrannt wurden. Einer sagte, sein Vater sei mit der Machete aufgeschlitzt
und die Leiche auf die Straße geworfen worden.
„Die FDLR hat nach den Angriffen gefeiert und gesungen: Wohin ihr auch
geht, FDLR wird euch folgen“, auch bis nach Hombo und Otoboro, so der
UN-Bericht weiter.
## Die Soldaten waren nicht da
Kongos Armee FARDC spielte demnach eine unrühmliche Rolle. Die meisten
ihrer eigentlich stationierten Soldaten waren gar nicht da, denn sie waren
zu privaten Besuchen oder zum Einsammeln von Sold in Hombo. Nur 100
FARDC-Soldaten standen einer FDLR-Brigade gegenüber.
Sie hätten die Bevölkerung erst ermutigt, nicht aus Busurungi zu fliehen,
da sie die Lage im Griff habe. Dann hätten sie gesagt, man solle fliehen,
weil die Munition ausgegangen sei.
Die Überlebenden und Fliehenden fühlten sich laut UN-Bericht auch in Hombo
und anderen Orten, wo sie Zuflucht gefunden hatten, nicht sicher. Sie
trauten eher ihrer lokalen Miliz „Mai-Mai-Kifuafua“. Deren Kämpfer sowie
Armeesoldaten hätten schließlich die Toten begraben.
## Racheakt für Armeemassaker
Aus Sicht der FDLR war der Angriff auf Busurungi – für den sie die
Verantwortung übernahm, aber bestritt, dabei Zivilisten getötet zu haben –
ein Racheakt für einen vorhergegangenen Angriff der kongolesischen Armee
FARDC auf FDLR-Stellungen und ruandische Hutu auf den nahen Hügeln Shario
und Maroc zwischen dem 27. und 30. April 2009. Dabei wurden laut FDLR 63
Menschen getötet.
Das UN-Team in Busurungi hebt den Umstand hervor, dass in Busurungi anders
als bei anderen Angriffen „die Gegend nur von geringem militärischen Wert“
war und „bis vor kurzem friedliches ziviles Leben“ herrschte. Dies weise
darauf hin, dass der Angriff tatsächlich ein Racheakt war und nicht der
Erlangung eines militärischen Vorteils diene.
Der vorhergegangene FARDC-Angriff auf Shario wurde von einem separaten
UN-Team der Demobilisierungsabteilung DDRRR der UN-Mission im Kongo
untersucht – nicht aufgrund einer Ortsbegehung, sondern aufgrund von
Interviews mit repatriierten ex-FDLR-Kämpfern in Ruanda.
Demnach galt der Angriff dem 2. FDLR-Vizepräsidenten, Brigadegeneral
Iyamurenge alias Rumuli, dem die mächtige FDLR-Reservebrigade unterstand.
Der Befehl habe gelautet, die jungen Männer zu töten, die Frauen und Kinder
einzufangen und nach Ruanda zu bringen.
## Schicksal ist unbekannt
Bei ihrem Angriff auf Shario habe die FARDC allerdings nur wenige
FDLR-Kämpfer vorgefunden. Zwei seien getötet worden. 53 Zivilisten wurden
weggebracht, in den Ort Remeke. Ihr Schicksal sei unbekannt.
Eine Tutsi-Einheit der kongolesischen Armee blieb in Shario, der Rest zog
sich zurück. Daraufhin habe die FDLR den Vergeltungsschlag auf Busurungi
beschlossen, den die FDLR-Reservebrigade schließlich ausführte.
Die FDLR veröffentlichte am 22. Mai 2009 eine Namensliste der Toten von
Shario, die ebenfalls in Stuttgart verlesen wurde – eine Ehre, die den
Toten von Busurungi nicht zuteil wurde. Eine feierliche Stimmung legt sich
über den Stuttgarter Gerichtssaal, als ein Name nach dem anderen samt
Altersangabe – viele davon sind Kinder – von der einzigen Richterin auf der
Richterbank verlesen wird.
## Die Kämpfer werden belogen“
Die UN-Demobilisierungabteilung DDRRR war in dieser Zeit – nach Ende der
kongolesisch-ruandischen Militäroperationen gegen die FDLR im Kongo und
während der schwersten FDLR-Angriffe auf Zivilisten seit ihrer Gründung –
damit beschäftigt, einfache FDLR-Kämpfer dazu zu bewegen, den Kampf
einzustellen und nach Ruanda zurückzukehren.
Eine im Gerichtssaal verlesene DDRRR-Botschaft an FDLR-Kämpfer im Kongo
führt aus, dass die FDLR-Kommandanten ihr Fußbolk „schon seit langem
belügen“: Sie selbst hätten ihre Familien längst in Sicherheit im Ausland
gebracht, teilweise schon in Ruanda, während die einfachen Soldaten samt
ihren Angehörigen im Kongo ausharren müssten.
Detailliert wird aufgelistet, welcher Kommandant seine Familie in welchem
Land hat: Deutschland, Belgien, Uganda, Sambia, sogar Ruanda selbst.
„Warum fliehen all diese Familien aus den kongolesischen Wäldern, wenn sie
dort kein schlechtes Leben führen?“ fragt die UNO. „Ihr werdet getäuscht.
Sind es nur die Ärmsten, die Ruanda befreien müssen? Die Kinder der Reichen
bleiben nicht im Wald.“ Die einen hätten nichts, „die anderen essen
Hähnchen und trinken Bier aus Goma und Walikale und bauen Häuser für ihre
Frauen“.
## FDLR-Webseite abgeschaltet
Mit solchen Botschaften versuchte die UN-Mission im Kongo, der
FDLR-Propaganda entgegenzuwirken, die vor allem auf der FDLR-Internetseite
[2][www.fdlr.org] verbreitet wurde. Für deren Erstellung waren vor allem
die beiden in Deutschland lebenden FDLR-Führer Murwanashyaka und Musoni
sowie der in Frankreich lebende FDLR-Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana
verantwortlich.
Die FDLR-Webseite wurde am 28. August 2009 vom deutschen Provider OVH
abgeschaltet – nachdem die taz OVH angefragt hatte, wieso sie eine Webseite
einer Organisation betreibt, die auf der UN-Sanktionliste steht, obwohl
[3][die UNO das Betreiben der Webseite als „Unterstützung einer bewaffneten
Gruppe“ verurteilt habe] und gegen Murwanashyaka ein politisches
Betätigungsverbot gelte.
OVH schickte der FDLR-Führung in Deutschland eine Mail-Benachrichtigung
über die Schließung der Webseite, über die Murwanashyaka und Musoni am
Abend des 28. August 2009 ausführlich am Telefon sprachen. Das abgehörte
Gespräch wurde zum Abschluss des 96. Verhandlungstages am 10. August im
Stuttgarter Gerichtssaal verlesen.
„Ist eine politische Betätigung festzustellen, die OVH als illegal und
unzulässig bekanntgegeben wurde“, liest Straton Musoni die Mail vor, die
ihm Ignace Murwanashyaka soeben weitergeleitet hat. „OVH wurde mit
illegalen Aktivitäten in Verbindung gebracht“; deshalb „kündigen wir Ihren
Vertrag“.
## taz-Anfrage für UN-Befehl gehalten
Die beiden FDLR-Führer wissen nichts von der taz-Anfrage an OVH wegen der
Webseite. „Wenn sie sie gesperrt haben, heißt es, es gibt eine Anordnung
von irgendwo, von Monuc (UN-Mission im Kongo) oder UN-Sicherheitsrat“,
mutmaßt FDLR-Vizepräsident Musoni. „Der Grund ist nur, dass Leute sie
angerufen haben und gesagt haben, dass diese Homepage von Mördern ist“.
FDLR-Präsident Murwanashyaka will das nicht akzeptieren. „Wir zeigen sie an
und gewinnen“, sagt er forsch. „Politische Aktivität ist kein Grund, eine
Homepage zu sperren. Sie müssen sagen, dass der Inhalt nicht mit ihrer
Grundlinie übereinstimmt.“
## Spekulationen über den Anrufer
Er ist sich sicher, dass das nicht aus Deutschland kommt: „Es sind Leute,
die sie angerufen haben und sie eingeschüchtert haben.... Monuc oder
ähnliches, sie sagen dann, diese Leute führen einen Krieg und so weiter.“
Jedenfalls wollten die beiden so schnell wie möglich einen neuen Host für
die Seite suchen. Sie überlegten, wen sie dazu fragen könnten. „Wichtig
ist, jemanden zu finden, der seriös ist, der sich nicht einschüchtern
lässt, der zum Beispiel andere Parteien hostet“, meint Musoni.
Die Seite wird tatsächlich wenig später von einem britischen Server zu
neuem Leben erweckt – aber nur für kurze Zeit. Seit September 2009 ist sie
endgültig tot und die FDLR-Präsenz im Internet ist damit Geschichte.
16 Sep 2012
## LINKS
[1] /Hintergrund-Kongo-Kriegsverbrecherprozess/!88784/
[2] http://www.fdlr.org/
[3] /!39814/
## AUTOREN
Dominic Johnson
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