# taz.de -- Asylbewerber in Deutschland: „Wir sind keine Gefangenen“ | |
> Im Schwarzwald verweigern Flüchtlinge die Annahme von | |
> Lebensmittelpaketen. Die Qualität sei schlecht, besondere Nahrung für | |
> Kranke überhaupt nicht zu erhalten. | |
Bild: „Wir wollen frisches Essen kaufen“: Flüchtlinge protestieren vor dem… | |
FREUDENSTADT taz | Als die 20 Männer auf den Parkplatz vor dem Landratsamt | |
marschieren, strecken einige Mitarbeiter ihren Kopf zum Fenster heraus. | |
Manche sind genervt, andere sichtlich amüsiert. Seit zwei Wochen kommen die | |
jungen Männer fast jeden Tag hierher. Sie stammen aus Pakistan, Afghanistan | |
und dem Iran, sie leben in Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis | |
Freudenstadt im Schwarzwald. Und alles, was sie wollen, ist ein Leben mit | |
ein wenig mehr Selbstbestimmung. | |
„Wir wollen einfach nur die gleichen Rechte“, sagt Ahmed, 20, aus Pakistan. | |
Damit meint er, dass andere Flüchtlinge in anderen Landkreisen | |
Baden-Württembergs sich mit Bargeld eigenes Essen kaufen dürfen. In | |
Freudenstadt bekommen die Flüchtlinge Lebensmittelpakete. Die stellen sie | |
sich aus Angebotslisten zusammen. | |
Doch die Qualität der Lebensmittel sei schlecht, sagen die Flüchtlinge. | |
Joghurt beispielsweise sei abgelaufen. „Wir wollen frisches Essen kaufen“, | |
sagt Ilyas, ebenfalls aus Pakistan. Eine Frau, die glutenfreie Kost | |
brauche, liege bereits seit zwei Wochen im Krankenhaus. Andere klagten über | |
Bauchschmerzen. Deshalb verweigern sie jetzt die Annahme der Lebensmittel | |
und protestieren vorm Landratsamt. „We are no criminals, we are no | |
prisoners!“, rufen sie lautstark: „Wir sind keine Kriminellen und wir sind | |
keine Gefangenen!“ Es ist zwei Uhr am frühen Nachmittag. Und sie wollen | |
bleiben. Trotz der Kälte – die ganze Nacht. | |
Benjamin Geigl sitzt währenddessen in seinem beheizten Büro im | |
Nebengebäude. Er ist Sachgebietsleiter für die untere Aufnahmebehörde. Vor | |
ihm liegen die Essenslisten: Lammfleisch, Gurken, Basmati-Reis, Putenwurst | |
und vieles mehr. „Die Zettel bieten eine ausreichende Auswahl“, sagt Geigl. | |
„Wenn es Sonderwünsche gibt, gehen wir dem natürlich nach, sofern das | |
möglich ist.“ | |
Die Klagen über die Qualität sind ihm bekannt. Verstehen kann er sie nicht. | |
Als Beispiel nennt er Mehl: Das sei sogar höherwertig, aber zum Backen sei | |
es nicht so gut geeignet. Als sich einige Flüchtlinge über verklumptes Mehl | |
beschwerten, hätte die Behörde wieder anderes Mehl liefern lassen. | |
„Natürlich soll das Essen gut sein“, sagt Geigl. Er spricht ruhig und | |
sachlich. | |
## Gespräche gibt es nicht | |
Der Fall der im Krankenhaus liegenden Frau sei ihm anders beschrieben | |
worden. Nach seiner Kenntnis habe deren Mann die Annahme von glutenfreier | |
Kost verweigert. | |
Gerne würde er, Geigl, mit den Flüchtlingen reden. Es habe bereits drei | |
Gesprächstermine gegeben. „Aber sie sind einfach nicht gekommen.“ Die | |
Männer draußen stellen die Situation anders dar. „Ein einziges Mal kam der | |
Landrat zu uns raus und sagte: ’Wir ändern nichts.‘ Die sind überhaupt | |
nicht verhandlungsbereit“, sagt Ilyas. „Wir hatten schon genug Probleme in | |
unserer Heimat. Jetzt machen die uns hier neue.“ | |
Ob es zu einem Gespräch kommt oder nicht, ob die Qualität tatsächlich | |
schlecht ist oder nicht, ist das eine. Grundsätzlicher ist wohl die Frage, | |
warum sich die Flüchtlinge ihr Essen nicht selbst kaufen dürfen. So wie | |
andere Flüchtlinge in anderen Landkreisen und in anderen Bundesländern, | |
beispielsweise in Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. | |
Das Landratsamt beruft sich auf die Rechtsgrundlage. Danach sind | |
Sachleistungen Bargeld vorzuziehen. Ein Sprecher des | |
Integrationsministeriums Baden-Württemberg sagte der taz: „Auf Kreisebene | |
findet bereits ein Umdenken statt.“ Derzeit arbeitet es eigenen Aussagen | |
zufolge an einer Novellierung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes, es will das | |
Sachleistungsprinzip auflockern. Zudem weist das Ministerium darauf hin, | |
dass schon heute die Kreise entsprechende Spielräume in den Gesetzen nutzen | |
könnten. | |
## Streik geht weiter | |
Doch in Freudenstadt sehen die zuständigen Beamten anscheinend keine | |
Möglichkeit dazu. „Durch die Versorgung mit den Lebensmittelpaketen ist der | |
gesamte Querschnitt abgedeckt“, sagt Geigl: „Wenn der Wille der Regierung | |
sich ändert, dann machen wir das natürlich. Aber wir halten uns an das | |
Gesetz.“ | |
In Freudenstadt hilft das aber erst mal keinem weiter. „Wir werden nicht | |
aufhören, bis wir unsere Forderungen durchgesetzt haben“, sagen die einen. | |
Die anderen sagen: „Wenn die einfach weiterhin die Lebensmittelannahme | |
verweigern, können wir dagegen nichts tun.“ | |
26 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Nadine Michel | |
Nadine Michel | |
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