# taz.de -- Debatte Syrien: Zeit, zu handeln | |
> Der Opposition fehlt es an Geld und internationalem Vertrauen. Dabei ist | |
> sie der Garant dafür, dass am Ende nicht die Dschihadisten gewinnen. | |
Bild: Zerstörtes Hospital in Aleppo | |
Syriens Opposition hat sich endlich zusammengerauft. Auf dem Treffen der | |
neu gegründeten „Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und | |
Oppositionskräfte“ Mitte November in Doha sprach ihr Vorsitzender Moaz | |
al-Khatib von „Freiheit für jeden Sunniten und Alawiten, jeden Christen und | |
Drusen“ und vom „Unrecht gegen das große kurdische Volk“. | |
Neben dem moderaten sunnitischen Geistlichen und studierten Geophysiker | |
al-Khatib saßen Riad Seif und Suheir al-Atassi, zwei herausragende Figuren | |
der Opposition. Einen dritten Stellvertreter sollen die syrischen Kurden | |
benennen. | |
Damit hat die syrische Opposition endlich das, was sie braucht: eine | |
Führung, die fast alle Bevölkerungsgruppen und politischen Strömungen | |
vereint und Glaubwürdigkeit innerhalb des Landes genießt. Doch das allein | |
reicht nicht. | |
Denn die Aktivisten, Revolutionäre, Deserteure und freiwilligen Kämpfer, | |
die die Einheit und Vielfalt des syrischen Volkes beschwören, sich für | |
Versöhnung stark machen und die eigene Moral hochhalten, sind nur die eine | |
Seite des syrischen Widerstands. | |
Daneben sind Extremistengruppen auf dem Vormarsch, die islamisch auftreten | |
und in ihren Videos nicht einmal mehr die Unabhängigkeitsfahne – das Symbol | |
der syrischen Revolution – verwenden. | |
Ihre radikalislamischen Positionen machen den meisten Syrern Angst. Aber | |
auf ihre militärischen Fähigkeiten, ihre Ausrüstung und Erfahrung kann die | |
Freie Syrische Armee im Kampf gegen das Assad-Regime nicht verzichten. Sie | |
wandelt daher auf einem schmalen Grat bei dem Versuch, radikale und vom | |
Ausland gesteuerte Gruppen in die syrische Revolution einzubeziehen, ohne | |
sich von ihnen vereinnahmen zu lassen. | |
Damit aus dem Aufstand des syrischen Volkes gegen die Diktatur kein | |
religiöses Unterfangen wird, muss die Nationale Koalition überall dort, wo | |
das Regime die Kontrolle verliert, das Heft in die Hand nehmen. Das kann | |
sie jedoch nur, wenn sie den Aktivisten und Kämpfern vor Ort auch etwas | |
anbieten kann. Schließlich setzen diese seit Monaten ihr Leben aufs Spiel. | |
## Geld und Vertrauen | |
Was aber hat die Nationale Koalition bisher zu bieten, außer ein paar | |
namhaften Oppositionellen, weisen Worten und dem diplomatischem | |
Schulterklopfen vonseiten der Europäer und Amerikaner? | |
Was sie wirklich braucht, sind Geld und Vertrauen. Sie muss die Not der | |
Menschen in Syrien lindern, in befreiten Gebieten eine überzeugende | |
Post-Assad-Ära begründen und die unzähligen, teils kooperierenden, teils | |
zerstrittenen Brigaden zu einer schlagkräftigen Militärmacht vereinen. | |
Die Nationale Koalition muss dafür zur effektiven Anlaufstelle werden. | |
Ausländische Gelder sollten von ihr zentral eingesammelt und verteilt | |
werden. Und zwar nach Kriterien, die allein syrischen Interessen dienen und | |
ohne Einmischung von außen festgelegt werden. | |
## Die Opposition braucht Waffen | |
Über den Bedarf und Einsatz von Waffen sollten dann die Militärräte der | |
verschiedenen Provinzen entscheiden, die mit den jeweiligen | |
Revolutionsräten zusammenarbeiten. Geld für humanitäre Hilfe bekämen die | |
lokalen Koordinierungskomitees und alle anderen Organisationen, die sich | |
vor Ort um die Versorgung von Verletzten, Kranken, Witwen, Waisen und | |
Flüchtlingen kümmern. | |
Zum Aufbau alternativer staatlicher Strukturen sollte die Nationale | |
Koalition mit Gremien und Personen zusammenarbeiten, die bereits zivile | |
Selbstverwaltung praktizieren und sich der religiösen und ethnischen | |
Vielfalt der syrischen Gesellschaft verpflichtet fühlen. | |
## Vertrauen ist unerlässlich | |
Eine Finanzierung der Nationalen Koalition im Vertrauen darauf, dass diese | |
schon das Richtige mit dem Geld macht, wird den Sponsoren schwerfallen, ist | |
aber unerlässlich. Die USA und Europa argumentieren, Waffen könnten in die | |
Hände von Extremisten fallen, die eine internationale dschihadistische | |
Agenda verfolgen und somit westliche Interessen gefährden. | |
Das Argument ist jedoch hinfällig geworden. Denn genau diese Gruppen feiern | |
derzeit große militärische Erfolge und erobern zunehmend schwere Waffen wie | |
Panzer und Flugabwehrraketen aus den Beständen der gut ausgerüsteten | |
syrischen Armee. | |
Eine koordinierte Unterstützung von außen ist folglich umso dringender, da | |
mit Hilfe der Nationalen Koalition diejenigen Kräfte gestärkt werden, die | |
für Freiheit und Demokratie in Syrien kämpfen. Ausländische Finanzhilfe | |
wird also mäßigend auf den Konflikt wirken, nicht verschärfend. | |
## Russland ins Boot holen | |
Parallel dazu muss sich nach der Opposition nun auch die internationale | |
Gemeinschaft politisch und diplomatisch zusammenraufen und zu einem | |
koordinierten Vorgehen in Syrien finden. Wichtigste Voraussetzung dafür | |
ist, Russland davon zu überzeugen, dass es eine Alternative zu Assad gibt, | |
die kein Kalifat bedeutet. | |
Nur wenn Moskau die Nationale Koalition als glaubwürdigen Vertreter des | |
syrischen Volkes anerkennt, kann es sich gesichtswahrend vom Regime in | |
Damaskus abwenden und damit den Weg für eine politische Lösung ebnen. Ohne | |
Unterstützung aus Russland und konfrontiert mit einer besser ausgestatteten | |
und koordinierten Freien Syrischen Armee wird sich das Regime aus immer | |
mehr Landesteilen zurückziehen müssen, um Damaskus und das Küstengebiet zu | |
halten. | |
## Politischen und militärischen Druck erhöhen | |
Es bedarf also gleichzeitig politischen und militärischen Drucks, um das | |
Regime zum Einlenken zu bewegen. Erst wenn Baschar al-Assad mit dem Rücken | |
zur Wand steht, wird er die eigene Machtübergabe verhandeln. Alles andere | |
ist Wunschdenken. Für diesen Moment muss im befreiten Norden Syriens | |
bereits eine neue staatliche Ordnung entstanden sein, die beweist, dass auf | |
Assad nicht das Chaos, sondern etwas Besseres folgt. | |
Heraushalten ist in Syrien keine Option mehr. Statt weiter die | |
Radikalisierung und Militarisierung des einst friedlichen Volksaufstands zu | |
beklagen, gilt es jetzt endlich zu handeln. | |
Mit der Nationalen Koalition ist eine übergangstaugliche Alternative zum | |
Assad-Regime entstanden. Sie verdient schnelle und unbürokratische | |
Unterstützung. Damit am Ende die Syrer über ihre Zukunft entscheiden und | |
nicht al-Qaida. | |
30 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Kristin Helberg | |
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