# taz.de -- Debatte Bürgerkrieg in Syrien: Waffen für die Deserteure | |
> Die Ära nach Assad hat bereits begonnen. Aber die Welt übersieht weiter | |
> geflissentlich, dass die Zukunft von Syrien im Kampf entschieden wird. | |
Bild: Mitglieder der Freien Syrischen Armee in Aleppo. | |
Während der Weltsicherheitsrat sich zum x-ten Mal uneinig ist, der | |
UN-Sondergesandte für Syrien, Kofi Annan, vergeblich durch die Welt reist, | |
und diverse Staatschefs das Blutvergießen mit den immer gleichen Worten | |
verurteilen, überschlagen sich in Damaskus die Ereignisse. | |
[1][Mitglieder der Führungsspitze sind tot], die Präsidentenmaschine ist | |
gestartet, [2][Schüsse fallen im Regierungsviertel], Wohngebiete stehen | |
unter Artilleriebeschuss, Anwohner sind auf der Flucht, Hunderte Soldaten | |
desertiert und hochrangige Militärs zur Opposition übergelaufen. | |
Der Krieg hat die Hauptstadt erreicht, die [3][Schlacht um Damaskus] tobt | |
und die naiven Appelle des Auslands, doch „bitte endlich die vor drei | |
Monaten vereinbarte Waffenruhe einzuhalten“, gehen im Gefechtslärm unter. | |
Nein, das Schicksal Syriens wird nicht am Verhandlungstisch, sondern im | |
Kampf entschieden. Eine geordnete Machtübergabe wird es – leider – nicht | |
geben. Das hat drei Gründe: Baschar al-Assad, die Opposition und die | |
internationale Gemeinschaft. | |
## Assad wollte den Krieg | |
Präsident Assad hat von Anfang an auf eine militärische Lösung gesetzt und | |
seine Gegner bewusst in den bewaffneten Kampf getrieben. Monatelang waren | |
gemäßigte Oppositionelle bereit, mit Regimevertretern über einen | |
demokratischen Übergang zu verhandeln. Ihre einzige Bedingung war, dass die | |
Gewalt gegenüber friedlichen Demonstranten aufhört. Doch Assad ließ weiter | |
schießen. [4][Seit 16 Monaten hat er die Gewalt gegen Zivilisten an keinem | |
einzigen Tag eingestellt], um einer Verhandlungslösung eine Chance zu | |
geben. | |
Die verschiedenen politischen Oppositionsgruppen (der Syrische Nationalrat | |
in Istanbul, das Nationale Koordinierungskomitee für einen Demokratischen | |
Wandel in Damaskus, der Kurdische Nationalrat und andere Fraktionen), sind | |
sich in einem wichtigen Punkt einig: Ein demokratischer Neubeginn in Syrien | |
kann nicht mit Assad erfolgen. Sie sind bereit zu verhandeln, aber nur über | |
die Machtübergabe. Assad selbst sieht sich dagegen als Retter Syriens. | |
Er wähnt die Mehrheit der Syrer hinter sich, muss sein Land vor | |
Terroristen, Islamisten und ausländischen Verschwörern beschützen und darf | |
sich deshalb nicht aus der Verantwortung stehlen. Seine eigene Entmachtung | |
zu verhandeln kommt für ihn nicht in Frage. Es gibt folglich keinerlei | |
inhaltliche Basis für Gespräche zwischen Regime und Opposition. | |
Der Tod seines Schwagers und weiterer enger Vertrauter könnte Assad jedoch | |
aus dieser Parallelwelt reißen und ihm klarmachen, in welcher Gefahr er und | |
seine Familie schweben. Gerüchte, er halte sich in der Küstenstadt Latakia | |
auf (die wegen ihrer alawitischen Bewohner als zum Teil noch regimetreu | |
gilt), und seine Frau Asma und die drei Kinder hätten das Land bereits | |
verlassen, deuten in diese Richtung. Sollte sich die Schlinge weiter | |
zuziehen, könnte er sich in letzter Minute auch für Flucht oder Exil | |
entscheiden. | |
## Die UNO? Unglaubwürdig! | |
Die internationale Gemeinschaft sitzt derweil auf der Zuschauerbank. Die | |
UNO ist in Sachen Syrien handlungsunfähig. [5][Der Weltsicherheitsrat kann | |
sich nicht mal zur Androhung von Wirtschaftssanktionen durchringen], weil | |
die Veto-Mächte Russland und China blockieren. Das bedeutet, es bleibt bei | |
Appellen, die bisher am Regime in Damaskus abprallten und Assad nur mehr | |
Zeit für seinen Krieg gegen die Aufständischen verschafften. | |
Die UNO hat in Syrien längst jede Glaubwürdigkeit verloren. Seit drei | |
Monaten fordert der Annan-Plan einen Waffenstillstand, und obwohl er die | |
Unterstützung aller Beteiligten hat, ist seit drei Monaten nichts davon | |
umgesetzt. Im Gegenteil, die Gewalt eskaliert mit 60 bis 120 Toten pro Tag. | |
Und die 300 unbewaffneten UN-Beobachter filmen vom Hotel aus die | |
Rauchwolken über Homs und Damaskus oder eilen zum nächsten Massaker, um | |
Blutspritzer und Granateinschläge zu dokumentieren. | |
Die meisten Oppositionellen haben deshalb schon vor Monaten realisiert, | |
dass das Assad-Regime nur mit Gewalt zu besiegen ist und dass sie diesen | |
Kampf allein ausfechten müssen. Daher die wachsende Zahl von „befreiten“ | |
Gebieten und Deserteuren, die zunehmende Militarisierung des Aufstands und | |
die immer besseren Waffen der Rebellen. | |
## Die Opposition vorbereiten | |
Offiziell zögert der Westen, Aufständische zu bewaffnen mit dem Argument, | |
mehr Waffen brächten mehr Gewalt. Aber machen wir uns nichts vor. Waffen | |
finden ihren Weg ohnehin ins Land. Alles, was das Ausland jetzt tun kann, | |
ist, die „richtigen“ Kräfte, also die Deserteure der Syrischen Armee zu | |
unterstützen und damit den Einfluss radikaler Islamisten und | |
internationaler Terrorgruppen zurückzudrängen. | |
Bei aller Ungewissheit über ihre Mitglieder und aller Unzulänglichkeit | |
ihrer Organisationsstruktur ist die Freie Syrische Armee derzeit der | |
einzige Akteur, der im Falle eines Regimesturzes das Land wieder | |
stabilisieren könnte. Denn in ihren Reihen finden sich die meisten | |
Überläufer und damit erfahrenes militärisches Personal, darunter 20 in die | |
Türkei geflohene Generäle. | |
Die Kämpfe in Damaskus, der Anschlag auf Assads Krisenstab und massenweise | |
desertierende Soldaten zeigen, dass die Freie Syrische Armee immer besser | |
organisiert ist, Unterstützer in den oberen Machtzirkeln hat und den | |
meisten Rückhalt in der Bevölkerung genießt. Auch wenn sich einzelne | |
Einheiten betont islamisch geben, bekennt sich die Kommandospitze in der | |
Türkei zur religiösen und ethnischen Vielfalt Syriens. | |
Was wir in Damaskus sehen, ist der Anfang vom Ende. In den politischen | |
Gremien der Welt muss deshalb dringend die Ära nach Assad diskutiert | |
werden. Es geht nicht mehr darum, dem Regime mit Sanktionen zu drohen oder | |
eine Machtübergabe zu verhandeln. Es geht um die Vorbereitung der | |
Opposition für die Zeit nach dem Regimesturz. | |
Sie muss eine überzeugende politische und militärische Führung | |
hervorbringen, die in der Lage ist, das staatliche Gewaltmonopol | |
wiederherzustellen, das Land zusammenhalten, für Sicherheit zu sorgen und | |
das Funktionieren staatlicher Institutionen zu garantieren. Dafür hat sie | |
Unterstützung verdient. | |
20 Jul 2012 | |
## LINKS | |
[1] /Buergerkrieg-in-Syrien/!97595/ | |
[2] /Buergerkrieg-in-Syrien/!97642/ | |
[3] /Buergerkrieg-in-Syrien/!97597/ | |
[4] /Konflikt-in-Syrien/!97252/ | |
[5] /Buergerkrieg-in-Syrien/!97665/ | |
## AUTOREN | |
Kristin Helberg | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte Syrien: Zeit, zu handeln | |
Der Opposition fehlt es an Geld und internationalem Vertrauen. Dabei ist | |
sie der Garant dafür, dass am Ende nicht die Dschihadisten gewinnen. | |
Kommentar Veto gegen Syrien-Resolution: Moskau verliert in Syrien | |
Das Kalkül der Obama-Administration ist nicht aufgegangen: Assad hat nicht | |
mit Teheran gebrochen und Russland und die USA haben kaum mehr Einfluss auf | |
weitere Entwicklungen in Syrien. | |
Debatte Zukunft Syriens: Was kommt nach Assad? | |
Die Türkei wird die Zukunft des Landes wesentlich mitbestimmen. Bislang | |
gibt die Außenpolitik von Erdogan wenig Anlass zur Hoffnung. | |
Bürgerkrieg in Syrien: Das Regime schlägt zurück | |
Das syrische Militär hat in mehreren Städten die Aufständischen | |
angegriffen. Diese wollen unterdessen Assads Chemiewaffen unter ihre | |
Kontrolle bringen, berichtet ein Überläufer. | |
UN-Beobachtermission in Syrien: Für 30 Tage verlängert | |
Die Vereinigten Nationen haben ihre Beobachter-Mission für 30 weitere Tage | |
verlängert. Danach werde es nur weitergehen, wenn das Regime seine schweren | |
Waffen zurückzieht. | |
Zivilklage in den USA: „Angriffe sind gegen die Verfassung“ | |
Angehörige amerikanischer Drohnen-Toter klagen gegen hohe US-Politiker und | |
-Militärs. Das Verfahren stellt die Rechtmäßigkeit von Drohnenkriegen in | |
Frage. | |
Tagesüberblick Bürgerkrieg in Syrien: UN-Beobachter bleiben noch 30 Tage | |
Die Vereinigten Nationen haben ihre Beobachter-Mission für 30 weitere Tage | |
verlängert. Danach werde es nur weitergehen, wenn das Regime seine schweren | |
Waffen zurückzieht. | |
Bürgerkrieg in Syrien: Kämpfe im Regierungsviertel | |
Bewohner der Hauptstadt Damaskus berichten von Kämpfen in Sichtweite des | |
Präsidentenpalastes und des Regierungsviertels. Wo sich Assad aufhält, ist | |
nicht bekannt. Hunderte fliehen. | |
Bürgerkrieg in Syrien: „Damaskus ist jetzt Kriegsgebiet“ | |
Der bewaffnete Aufstand gegen Syriens Präsidenten Assad hat das Zentrum der | |
Hauptstadt erreicht. Mit den Kämpfen breiten sich Chaos und Unsicherheit | |
aus. | |
Kommentar Syrien: Die Schlacht um Damaskus | |
Damaskus und Aleppo sind jetzt Teil des Kampfs um die Macht in Syrien. Je | |
länger die Kämpfe andauern, desto näher rückt der Fall des Assad-Clans. | |
Bürgerkrieg in Syrien: Operation „Vulkan Damaskus“ | |
Die syrischen Rebellen greifen das Herz des Regimes an: Zwei enge | |
Assad-Vertraute sterben bei einer schweren Bombenexplosion in der | |
Hauptstadt Damaskus. | |
Syrische Flüchtlinge in der Türkei: Das Verlangen nach Rache wächst | |
Tausende Syrer sind inzwischen vor dem Bürgerkrieg in die Türkei | |
geflüchtet. Die Berichte aus ihrer Heimat machen sie wütend. An Diplomatie | |
glauben sie nicht mehr. |