# taz.de -- Patriarch Ignatius Joseph III. über Syrien: „Wir haben Angst vor… | |
> Der Patriarch der syrisch-katholischen Kirche erklärt, warum ihm Assad | |
> lieber ist als ein Sieg der Opposition. Er sieht sein Land auf eine | |
> islamische Autokratie zusteuern. | |
Bild: Orthodoxe Christen in ihrer Kirche in Damaskus | |
taz: Eure Seligkeit, die Führer der Christen in Syrien versuchen, neutral | |
zu bleiben. Ist das in einem Konflikt, der zunehmend konfessionelle Züge | |
annimmt, noch möglich? | |
Seine Seligkeit Ignatius Joseph III.: Wir versuchen nicht, neutral zu | |
bleiben. Wir waren immer gegen die Korruption des Regimes. Aber wir sind | |
der Meinung, dass Gewalt nicht zu einer demokratischen Gesellschaft führt. | |
Wir können nicht vom Arabischen Frühling reden, wenn eine gewaltsame | |
Opposition das Regime stürzen will, weil dieses die alawitische Minderheit | |
repräsentiert, die Sunniten aber in der Mehrheit sind. Dass die | |
Demonstrationen immer nach dem Freitagsgebet in den Moscheen begannen, sagt | |
viel aus und hängt mit islamischem Fanatismus zusammen. Es ist ein | |
konfessioneller Konflikt, kein Volksaufstand. | |
Bleibt es nicht doch ein Kampf gegen ein diktatorisches Regime? | |
Das Regime in Syrien ist nicht mit dem ägyptischen vergleichbar. Baschar | |
al-Assad war erst seit zehn oder elf Jahren an der Macht. Er hatte zwar das | |
Erbe seines Vaters übernommen, war aber Reformen gegenüber aufgeschlossen. | |
Syrien war eine Art Diktatur, eine Ein-Parteien-Diktatur oder eine | |
konfessionelle Diktatur. Aber Bildung war zum Beispiel bis zum | |
Universitätsabschluss umsonst, die Alphabetisierungsrate war höher als in | |
den meisten Ländern der Region. | |
Die Christen, die 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen, genossen in dieser | |
Diktatur weitgehende Freiheiten … | |
Ich sage nicht, dass wir Christen von einem solchen Regime beschützt werden | |
müssen. Aber wir haben Angst vor dem gewaltsamen Wandel. In der Innenstadt | |
von Homs gibt es keine Christen mehr. Unsere Kirchen und Häuser wurden | |
angegriffen, ebenso in Aleppo und anderswo. | |
Sie sagen „wir Christen“. Aber kein religiöser Führer kann für alle | |
Christen in der Region sprechen. Wie stehen die Menschen selbst zu dem | |
Aufstand? | |
Es gibt Christen, die gegen das sogenannte etablierte Regime sind, und | |
andere, die gegen diejenigen sind, die sich Revolutionäre nennen. Meiner | |
Meinung nach wollen die meisten Christen ein stabiles Regime, egal wie | |
dieses aussieht. Die Christen haben keine Milizen und wollen nicht kämpfen, | |
nur um das Regime in ein muslimisch-autokratisches System zu verwandeln. | |
Man kann sie die schweigende Mehrheit nennen oder sagen, dass sie auf der | |
Seite des Regimes stehen. Aber die Mehrheit will einen wahren | |
Regimewechsel. Sie will nicht nur ein Regime gewaltsam stürzen und darauf | |
hoffen, dass das nächste besser wird. | |
Westliche Staaten unterstützen die Opposition. Die jüngst gebildete | |
Nationale Koalition ist durch internationale Anerkennung gestärkt worden. | |
Ist das falsch? | |
Der Westen, die sogenannte zivilisierte Welt, folgt nicht seinen Prinzipien | |
von Freiheit und der Trennung von Staat und Religion, sondern begünstigt | |
den politischen Islam. Er versucht, die wachsende muslimische Mehrheit zu | |
beschwichtigen und ihr die Freiheit zu geben, die Länder im Namen der | |
Religion zu regieren, so wie es jetzt in Ägypten geschieht. Dass es im Kern | |
ein konfessioneller Konflikt ist, wollen die Politiker im Westen nicht | |
anerkennen. Wir Christen wurden im Stich gelassen, sogar betrogen von den | |
sogenannten Demokratien der westlichen Welt. | |
Also sagen Sie: Hätte der Westen wirkliches Interesse am Schicksal der | |
Christen in den arabischen Ländern, würde er die Diktaturen unterstützen? | |
Genau. Die Christen laufen Gefahr, nicht in ihren Ländern bleiben zu | |
können. Die westlichen Politiker unterstützen, was sie den Arabischen | |
Frühling nennen, obwohl sie schon immer wussten, dass er von dem Willen | |
getrieben wird, muslimische Autokratien zu errichten. | |
Sollte die EU aufhören, die syrische Opposition zu unterstützen? | |
Natürlich. Ansonsten wird der Konflikt immer weitergehen. Deutschland muss | |
sagen, dass Wandel notwendig ist, aber nur mit politischen Mitteln erfolgen | |
kann. Wir dürfen nicht einfach ein Wunschbild der Zukunft im Kopf haben, in | |
der Syrien zu einer Demokratie wird wie in Europa. Das ist Fantasie. | |
Sagen Sie, dass Demokratie in der Region nicht möglich ist? | |
Demokratie wie in Europa ist nicht möglich und wird für viele Jahre nicht | |
möglich sein. | |
23 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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