| # taz.de -- Flüchtlinge aus Syrien: Leben im Niemandsland | |
| > An der Grenze zwischen Syrien und der Türkei sitzen 7.000 Menschen fest. | |
| > Sie leben unter elenden Bedingungen. Jetzt drohen Krankheiten. | |
| Bild: „Wir fühlen uns wie Waisenkinder.“ | |
| BAB AL-SALAMA taz | Die billigen blauen Kissen mit Goldstickerei, die | |
| Matratzen an drei Seiten des Zelts, die kleinen Gläser mit süßem Kaffee – | |
| Ibrahim und seine Familie versuchen ihr neues Zuhause aussehen zu lassen | |
| wie jedes andere arabische Wohnzimmer. Aber es ist kein normales Zuhause. | |
| Die Familie lebt in einem der Hunderte Zelte in der ehemaligen | |
| Abfertigungshalle Grenzübergangs Bab al-Salama zwischen Syrien und der | |
| Türkei. | |
| Genau wie Ibrahim und seine Familie stammen die meisten Menschen im Lager | |
| aus den Dörfern rund um Aleppo. Seit Luftangriffe und Artilleriebeschuss | |
| sie aus ihren Häusern, Arbeitsstätten und Feldern vertrieben haben, sind | |
| ihre Tage mit Sehnsucht und Unsicherheit gefüllt. | |
| „Es ist ein schreckliches Gefühl, wenn man nicht in seine Heimat | |
| zurückkehren kann“, sagt Ibrahim. Gleichzeitig gibt es für ihn und viele | |
| andere keinen Weg vorwärts. Die türkische Regierung lässt nur noch | |
| Flüchtlinge mit gültigen Pässen über die Grenze und nimmt nur wenige in | |
| ihren Flüchtlingscamps auf. Für die 7.000 Menschen in Bab al-Salama | |
| bedeutet dies ein Leben im Niemandsland des Grenzstreifens. Es ist ein | |
| Leben in der Schwebe. „Wir fühlen uns hier wie Waisenkinder“, sagt Ibrahim | |
| und steckt das Gedicht zurück in seine Brusttasche. Seine Frau und sechs | |
| Kinder nicken stumm. Zwei seiner Söhne sind noch in Syrien und kämpfen für | |
| die Freie Syrische Armee. | |
| Die Familie floh, nachdem die syrische Armee das Haus eines Nachbarn | |
| beschoss. „Ich rannte rüber, um ihn zu retten“, erinnert sich Ibrahim. | |
| „Doch alles, was ich fand, war sein Körper ohne Kopf.“ Jetzt verbringen sie | |
| ihre Tage im Schatten der Wachtürme und Grenzmauern. In der Ferne wehen die | |
| Fahnen der syrischen Opposition und der Türkei. Nur wenige | |
| Hilfsorganisationen erreichen die Flüchtlinge hier. Und obwohl sie vor | |
| einem Monat Zelte erhalten haben, wird die Situation jeden Tag schlimmer. | |
| „Vor einem Monat sagten sie uns, dass wir in 20 Tagen über die Grenze in | |
| die Türkei könnten“, sagt Rowa. „Wir haben dieses Versprechen schon mehr | |
| als einmal gehört.“ Sie steht auf dem weiten Feld hinter der | |
| Abfertigungshalle. Die schwere, nasse Erde klebt an ihren Schuhen. Überall | |
| steht stinkendes Wasser in kleinen Pfützen. Die 28-jährige Mutter von vier | |
| Kindern hält ihren Jüngsten in eine Decke gewickelt im Arm. „Die Kinder | |
| werden krank“, sagt sie und zupft seine Mütze zurecht. „Wenn es regnet, | |
| werden die Zelte von innen nass. Doch wir können nirgendwo anders hin, und | |
| so sitzen wir in der Feuchtigkeit.“ | |
| Mit einfachen Werkzeugen graben die Menschen kleine Kanäle und Dämme rund | |
| um ihre Zelte. Doch ihre Bemühungen helfen wenig bei den sintflutartigen | |
| Regenfällen der Saison. Die vorhandenen Toiletten sind nicht ausreichend | |
| für die Tausenden Bewohner des Lagers. Abwasser läuft in kleinen Bächen | |
| über den schlammigen Boden, bevor es versickert. Der Regen wäscht die | |
| Fäkalien in die Zelte. Viele bekommen Durchfall und andere Krankheiten. | |
| „Wir haben am türkischen Grenzposten protestiert und verlangt, mit jemandem | |
| zu sprechen“, sagt Sherif. „Aber alles vergebens.“ | |
| Schon jetzt fürchten die Flüchtlinge die kommenden Monate. Im Winter fallen | |
| die Temperaturen unter den Gefrierpunkt. Viele von ihnen hatten bei ihrer | |
| Flucht keine Zeit, Winterkleidung einzupacken. Die meisten Zelte sind nur | |
| mit einer Decke pro Person ausgestattet. „Bereits jetzt ist es zu kalt hier | |
| in der Nacht“, sagt Rowa. „Die Kinder bekommen Lungenprobleme.“ | |
| 4 Dec 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Raphael Thelen | |
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