| # taz.de -- Wege aus dem syrischen Krieg: Militärischer Abnutzungsaufstand | |
| > Die Wahl zwischen Frieden und Krieg gibt es für Syrien nicht mehr. | |
| > Iranische Offizielle sagen privat, dass Assad nicht mehr ewig Präsident | |
| > ist. | |
| Bild: Kämpfer der Freien Syrischen Armee in Aleppo | |
| Die politische Debatte über den Bürgerkrieg in Syrien vermittelt | |
| gelegentlich den Eindruck, dass die syrische Opposition und die | |
| internationale Gemeinschaft vor der Wahl zwischen einer politischen und | |
| einer militärischen Lösung stünden und das Ausland sich entscheiden könne, | |
| ob es Einfluss nimmt oder nicht. | |
| Das ist realitätsfern. Tatsächlich hängen die Aussichten auf eine | |
| politische Lösung – auf einen Verhandlungsprozess oder einen Runden Tisch | |
| mit Vertretern der gegenwärtigen Regierung und der Opposition – von den | |
| militärischen Entwicklungen und von den Aktivitäten und den Signalen | |
| ausländischer Akteure ab. | |
| Aus dem zunächst friedlichen Aufstand gegen das Regime Baschar al-Assads in | |
| Syrien, den dieser von Beginn an mit militärischer Gewalt zu unterdrücken | |
| suchte, ist seit Sommer 2011 ein offener Bürgerkrieg geworden. | |
| Auf Rebellenseite kämpfen dabei sowohl relativ disziplinierte Einheiten | |
| unter dem Namen der „Freien Syrischen Armee“ (FSA), die überwiegend von | |
| desertierten Offizieren geführt werden, wie auch Milizen unterschiedlicher | |
| politischer Ausrichtung und dschihadistische Gruppen, die der | |
| Terrororganisation al-Qaida nahestehen. | |
| Sowohl das Regime als auch die Opposition oder die Rebellen sind überzeugt, | |
| dass sie siegen oder zumindest nicht besiegt werden können. Dies macht | |
| Verhandlungen zwischen den Parteien, wie der Sondergesandte von Arabischer | |
| Liga und Vereinten Nationen, Lakhdar Brahimi, sie auf den Weg bringen | |
| möchte, nicht realistisch. | |
| Das Regime um Baschar al-Assad ist allenfalls bereit, mit Partnern zu | |
| verhandeln, die es sich selbst aussucht, und denkt gar nicht an eine | |
| Teilung der Macht. Das im November gegründete breite Oppositionsbündnis, | |
| die „Nationale Koalition der Opposition und der revolutionären Kräfte“, | |
| akzeptiert prinzipiell die Idee, zusammen mit Teilen des Regimes eine | |
| Übergangsregierung zu bilden, lehnt allerdings Verhandlungen mit der Spitze | |
| des Regimes, also mit Assad selbst und seiner engsten Umgebung, ab. | |
| ## Die Freie Syrische Armee muss sich von den Gotteskriegern trennen | |
| Die Opposition hat zudem einige Mühe, den militärischen Teil der Rebellion | |
| zu ihrem politischen Instrument zu machen. Hier gibt es Fortschritte, so | |
| insbesondere die Bildung eines Hohen Militärrats aus den Reihen der bislang | |
| weitgehend autonom operierenden Rebelleneinheiten. Schätzungen zufolge | |
| unterstellen sich derzeit nur etwa die Hälfte der bewaffneten Rebellen | |
| diesem Rat, der auch die zivile Führung der Koalition anerkennt. | |
| Eine solche Unterstellung der bewaffneten Kräfte unter die politische | |
| Führung wäre notwendig, um zu zeigen, dass eine Regierung der heutigen | |
| Oppositionskräfte anders aussehen würde als die des Regimes. Gleichzeitig | |
| müsste die FSA sich klar von den islamistischen Gotteskriegern | |
| distanzieren. Diese zeigen zwar eine hohe Kampfkraft; politisch allerdings | |
| kann die syrische Opposition mit diesen Kräften nicht gewinnen. | |
| Denn sie erzeugen Angst bei jener Mehrheit der Syrerinnen und Syrer, die | |
| das Regime ablehnen, aber aus Furcht vor Anarchie, Fundamentalismus und | |
| einer Unterdrückung der Minderheiten keine Partei ergreifen. | |
| Was Syrien erlebt, ist ein politischer und militärischer | |
| Abnutzungsaufstand: Die Opposition gewinnt trotz ihrer militärischen | |
| Schwäche vor allem durch ihre Ausdauer, die Kreativität der zivilen | |
| Protestbewegung und letztlich auch durch die Gewaltpolitik des Regimes. | |
| ## Militärische Überlegenheit | |
| Das Regime hat jegliche Legitimität verloren und nutzt sich auch | |
| militärisch ab, wenngleich nur allmählich. Seine Armee fragmentiert | |
| zunehmend, ist den Rebellen aber an Waffen und Ausrüstung noch weit | |
| überlegen. Am weitesten intakt ist die Luftwaffe, die wie die | |
| Republikanischen Garden und andere Eliteeinheiten überwiegend aus | |
| Angehörigen der alawitischen Minderheit besteht, aus der auch der Präsident | |
| stammt. | |
| Schätzungsweise 35 Prozent des Territoriums befinden sich unter Kontrolle | |
| der Rebellen. Weitere etwa 35 Prozent gelten politisch als | |
| Oppositionsterritorium: Hier kann die Regimearmee weiter operieren; | |
| verwalten kann der Staat dieses Territorium aber nicht mehr. Der Staat, so | |
| ein oppositionell gesinnter syrischer Analyst, beherrscht heute nur noch | |
| den Luftraum. | |
| Für die Suche nach politischen Lösungen stellt sich heute weniger die | |
| Frage, ob Assad sich auf Verhandlungen und auf eine Machtteilung mit der | |
| Opposition einlässt oder ob die Opposition die Macht mit ihm zu teilen | |
| bereit wäre. Beides ist nicht zu erwarten. | |
| ## Die Unterstützer sind entscheidend | |
| Entscheidender ist, ob und wann die militärischen Kräfteverhältnisse sich | |
| so wenden, dass die engste Umgebung Assads ihn aufgibt und externe | |
| Unterstützer wie Russland und Iran ihn drängen, Syrien zusammen mit seinen | |
| Angehörigen zu verlassen. Schon jetzt sagen iranische Offizielle im | |
| privaten Gespräch, sie könnten sich nicht vorstellen, dass Assad auch in | |
| zwei oder drei Jahren noch Präsident ist. | |
| Die weitere Entwicklung wird durch multiple Kräftebalancen und | |
| unterschiedliche politische Zielsetzungen geprägt werden. Da ist zunächst | |
| das militärische Kräfteverhältnis zwischen Opposition und Regime: Das | |
| Regime ist seit Monaten nicht mehr in der Lage, befreite Städte oder | |
| Regionen zurückzuerobern, kann diese aber bombardieren. | |
| Ein Ende der Kontrolle des Luftraums durch das Regime würde die | |
| Machtbalance entscheidend verändern, gleich ob dies durch die Verhängung | |
| eines international kontrollierten Flugverbots für die syrische Luftwaffe | |
| oder durch die Ausrüstung der Rebellen mit tragbaren Flugabwehrraketen | |
| geschähe. | |
| Verschiebungen der militärischen Machtbalance beeinflussen auch die | |
| politischen Verhältnisse. Militärische Erfolge der Rebellen oder Zeichen | |
| der externen Unterstützung für den Aufstand ermutigen immer auch | |
| Funktionäre und Offiziere, die dem Regime weniger aus Loyalität als mit | |
| Blick auf die Kräfteverhältnisse die Treue halten, die Seite zu wechseln. | |
| ## Ziel ist ein Regimewechsel | |
| Umgekehrt gilt, dass jede Erklärung der Nato – man werde selbst nichts tun, | |
| um die Rebellion zu unterstützen oder Assad von weiteren Bombardierungen | |
| abzuhalten – bei den Unentschiedenen in Bürokratie und Armee den Eindruck | |
| vermittelt, die USA und der Westen setzten letztlich doch auf eine | |
| Fortexistenz des Regimes. | |
| Die militärischen Strategien von Regime und Opposition sind jeweils, aber | |
| in unterschiedlicher Weise eine Fortsetzung der Politik mit anderen | |
| Mitteln. Die Opposition ist nicht an einer Balance im Sinne einer | |
| Stabilisierung der militärischen Verhältnisse interessiert. Für sie dient | |
| der militärische Kampf dazu, den im Grunde nach wie vor zivilen Aufstand zu | |
| unterstützen, und sie sieht die Zivilbevölkerung auch in dem vom Regime | |
| kontrollierten Gebiet überwiegend als ihre Basis an. | |
| Ihr Ziel ist ein Regimewechsel in Damaskus über allmähliche territoriale | |
| und politische Geländegewinne. | |
| Assad dagegen ist nicht mehr länger darauf aus, ganz Syrien zu beherrschen. | |
| Er kann auch damit leben, bestimmte strategische Gebiete weiter zu halten, | |
| weniger wichtige Landesteile aber sich selbst zu überlassen und Städte oder | |
| Stadtteile, die inzwischen unter die Kontrolle der Opposition geraten sind, | |
| durch die Bombardierung der zivilen Infrastruktur zu bestrafen. | |
| ## Die neue Oppositionskoalition | |
| Schließlich geht es um die Kräftebalancen innerhalb der Aufstandsbewegung. | |
| Für einen Erfolg der Rebellion ist die Einheit weitgehend aller relevanten | |
| Oppositionskräfte wichtig. Das verlangt keineswegs, politische und | |
| ideologische Unterschiede zu übertünchen, wohl aber sich auf die großen | |
| Ziele – den Sturz des Regimes, die Wahrung der Einheit des Landes, den | |
| Aufbau einer pluralistischen demokratischen Ordnung – zu einigen und geeint | |
| aufzutreten. | |
| Die neue Oppositionskoalition ist in dieser Hinsicht ein gewaltiger | |
| Fortschritt: Sie hat eine glaubwürdige Führung, die auch in Syrien selbst | |
| Vertrauen genießt, und versammelt das breitestmögliche Spektrum | |
| oppositioneller Kräfte. Sie hat durch die Bildung des Militärrats auch | |
| Fortschritte dabei gemacht, die zivile Führung der FSA zu übernehmen. | |
| Die Machtbalance zwischen den bewaffneten Organisationen wiederum wird | |
| weitgehend davon bestimmt, wer den Zugang zu finanziellen Mitteln und | |
| Waffen kontrolliert: Je mehr die FSA und die Koalition wie eine Armee und | |
| ein Verteidigungsministerium agieren, also eine einheitliche | |
| Kommandostruktur errichten und die notwendigen Mittel für den Kampf | |
| bereitstellen können, desto eher werden sich auch andere Milizen ihrer | |
| Führung unterstellen. | |
| ## Die Opposition stärken | |
| Was immer ausländische Akteure tun oder lassen, es hat direkten Einfluss. | |
| Für Staaten, die Syrien helfen wollen, den Bürgerkrieg und die Diktatur | |
| hinter sich zu lassen, wäre es wichtig, die Oppositionskoalition zu stärken | |
| und nicht je einzelne politische Gruppen oder Milizen zu adoptieren. | |
| Unabhängig davon, welche Art der Unterstützung arabische, europäische oder | |
| andere Staaten zu leisten bereit sind – politische Anerkennung, finanzielle | |
| Hilfe oder Waffenlieferungen –, wird eine solche Konzentration der | |
| Unterstützung auf die Koalition deren Kontrolle über die militärischen | |
| Kräfte und damit das zivile Element des Aufstands stärken. | |
| Dies begünstigt letztlich auch die Aussichten auf einen politisch | |
| verhandelten Übergang und beeinflusst die Konstellation der Kräfte in der | |
| Nach-Assad-Periode. | |
| 12 Dec 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Volker Perthes | |
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