| # taz.de -- Obdachlos auf Wohnungssuche: Keine heilige Familie | |
| > Ionel Vieru, seine Frau und ihre drei Kinder sind obdachlos in Berlin. | |
| > Seit 2009 suchen sie eine Bleibe. Eine Herbergssuche im ersten Schnee. | |
| Bild: Die besetzte Schule in Kreuzberg, in der Adorian mit seiner Familie bis M… | |
| Es ist wie bei der Reise nach Jerusalem, sie umkreisen die Stühle, nur | |
| steht nie jemand auf, wenn die Musik angeht. | |
| Wir hatten so gehofft, dass es klappt, sagt Ionel Vieru. Er knetet seine | |
| Mütze mit dem Schneeflockenmuster. Aber der Mann, der ihnen die Wohnung | |
| vermitteln sollte, wollte ihr Geld und ihre Pässe; eine Stunde sollte das | |
| Kopieren dauern. Ionel Vieru hat ihm dann doch lieber nichts gegeben. | |
| Also sind sie wieder bei „Amaro Foro“ – „unsere Stadt“ heißt der | |
| Beratungsverein für Roma. Hineingequetscht in ein kleines Büro in | |
| Berlin-Neukölln sind sie: Ionel Vieru, Elena Mihai und zwei ihrer Söhne – | |
| Jackson und Adorian, 11 und 13. Seit 2009 suchen sie eine Bleibe. Es ist | |
| Montag, der 3. Dezember 2012. Draußen scheint die Sonne. | |
| Ionel Vieru ist fahrig heute, seine Hose hängt tief, sie schlackert um | |
| seine Beine. Er sieht alt aus, sein Bart struppig, seine Finger dick und | |
| hart. Elena, die Mutter, trägt schwarze Gewänder. Sie hat ein ruhiges | |
| Gesicht. | |
| Den Kindern sieht man die Obdachlosigkeit nicht an. Sie sind warm angezogen | |
| mit Pullover, Jeans und Winterjacken. Jackson, der Jüngere, ist aufgedreht. | |
| Wenn man ihn anlächelt, grinst er und schlägt die Augen nieder. Adorian ist | |
| still. | |
| „Sie gehen mit“, sagt Anna Schmitt, die Rumänisch kann, zu Nema Deniz, die | |
| mit der Familie die vielen Ämter abklappern wird. Beide sind jung, haben | |
| winzige Honorarstellen bei Amaro Foro und arbeiten die meiste Zeit umsonst. | |
| „Weihnachten naht“, übersetzt Anna Schmitt. „Sie hoffen, dass sie dann a… | |
| Familie zusammen sind.“ Letztes Jahr waren die Eltern an Weihnachten in | |
| einer Notunterkunft. Kinder waren dort nicht erlaubt. „Gute Menschen“ haben | |
| die drei Jungen aufgenommen. Gab es Geschenke? „Nu“, sagt Elena Mihai | |
| knapp. | |
| ## Ein Zimmer, ein Mensch | |
| Wenn doch mal ein Stuhl frei ist, bei der Reise nach Jerusalem, und sich | |
| Mama, Papa und die jüngsten zwei Söhne auf einen Stuhl quetschen, dann | |
| zerrt sie jemand herunter und spricht von „Überbelegung“ – ein Stuhl, ein | |
| Mensch. Ein Zimmer, ein Mensch. Anders geht das nicht, alles andere sei | |
| menschenunwürdig und störe überdies die Nachbarn. Also ziehen sie weiter, | |
| drehen ihre Runden – Kottbusser Tor, Franklinstraße, Görlitzer Park – und | |
| die Kinder springen voraus oder trotten hinterher. | |
| Die Familie ist seit vier Jahren in Berlin. Sie waren in allen | |
| Unterkünften, die Schlagzeilen gemacht haben, wenn es um Roma ging. Ionel | |
| Vieru und Elena Mihai haben mit ihren Kindern im Görlitzer Park geschlafen, | |
| sie haben in einer Kirche gewohnt, in einem Flüchtlingslager, wo man ihnen | |
| Geld anbot, 250 Euro für jeden Erwachsenen, wenn sie Deutschland für die | |
| nächsten drei Jahre nicht mehr betreten. | |
| Ionel Vierus Bruder war so etwas wie der Sprecher der Roma aus dem | |
| Görlitzer Park. Als er eine Wohnung fand, nahm er auch den Bruder samt | |
| Familie auf. Aber nicht sehr lange, denn er hielt es in Deutschland nicht | |
| mehr aus und ging zurück nach Rumänien. | |
| ## Lärm und Überbelegung | |
| Vieru zog in die Genthiner Straße 4 – dort vermietete Lutz Thinius von | |
| Humanitas e. V. marode, überteuerte Wohnungen an Roma. Stern.de berichtete | |
| damals: Geschäftsmodell „Rumänen-Entsorgung“ – es ist ein Zitat von | |
| Thinius. In der Nachbarschaft formierte sich eine Bürgerwehr wegen Lärm und | |
| Überbelegung. Also ließ Thinius die Wohnungen räumen. Die Familie stand | |
| wieder auf der Straße. | |
| Viele verschiedene Schlafplätze später wohnen sie bei einer rumänischen | |
| Frau, Dana, in Marienfelde im Süden Berlins. Sie teilen sich vier Zimmer | |
| mit ihr, ihrer Familie und fünf weiteren Menschen. Das ist noch gar nichts, | |
| sagt Anna Schmitt von Amaro Foro. In anderen Wohnungen leben viel mehr | |
| Leute. Aber Dana hatte schon Ärger mit dem Vermieter wegen Überbelegung, | |
| deshalb muss die Familie Vieru gehen. Sie haben noch vier Tage, dann müssen | |
| sie raus. | |
| Am Dienstagabend, dem 4. Dezember, bekoche ich sie. Das Essen soll sie | |
| wärmen, damit sie vertrauen können. Bratwürste und Kartoffelgratin. Elena | |
| Mihai packt meine Hände, dankt, multumim foarte mult, sie essen langsam, | |
| sie sind schnell satt. Der älteste Sohn, Zorro, ist wieder nicht | |
| mitgekommen. „Bei Amiga“, bei der Freundin, sagt Ionel Vieru. Nema Deniz | |
| lacht, alle lachen. Im Hintergrund läuft der Fernseher. Was ist die | |
| Lieblingssendung der Kinder? Scooby Doo, schlägt Ionel Vieru vor. Jackson | |
| nickt eifrig. Scooby Doo – der Trickfilmhund. Sogar Elena Mihai lacht | |
| herzlich, sie wirft ihre Hände in die Luft, und sagt es auch: Scooby Doo. | |
| Mittwochnacht fängt es an zu schneien. Am Donnerstag, Nikolaus, ist Berlin | |
| weiß. Autos krachen ineinander, Fußgänger rutschen aus. Noch zwei Tage, | |
| dann müssen sie raus. | |
| ## Heime oder Notunterkünfte | |
| Roma und Wohnungen in Berlin, das ist ein altes Problem, ein ungelöstes. | |
| Ionel Vieru, Elena Mihai und die Kinder sind EU-Bürger, also dürfen sie | |
| sich auch in Deutschland aufhalten. Nur: Wenn sie zum Zweck der | |
| Arbeitssuche eingereist sind, bekommen sie keine Sozialleistungen. | |
| In der Obdachlosenhilfe gibt es zwei Systeme: Heime, deren Kosten Jobcenter | |
| oder Bezirksämter übernehmen müssen. Hat eine Familie aber keinen Anspruch | |
| auf Sozialleistungen, hat sie auch keinen Anspruch auf ein Obdachlosenheim. | |
| Dann bleiben nur Notunterkünfte, die pauschal vom Land Berlin bezahlt sind. | |
| Im Winter öffnen mehr Notunterkünfte. Niemand soll erfrieren. Es gibt sogar | |
| Kältebusse, die die Menschen im Freien aufsammeln und dorthin bringen. Nur: | |
| Die meisten Notunterkünfte nehmen keine Kinder auf. Es sind raue Orte, mit | |
| Männern, Junkies, Alkoholikern. Würden Kinder dort übernachten, wäre das | |
| Kindeswohlgefährdung, sagt das Jugendamt. Die Einrichtungen müssen die | |
| Kinder wegschicken. Auch, wenn die dann auf der Straße übernachten. | |
| Nur in einer Unterkunft wird eine Ausnahme gemacht: der Franklinstraße. | |
| Es ist Freitagabend, 7. Dezember 2012, und am Kottbusser Tor weht ein | |
| kalter Wind. Die Familie musste die Wohnung von Dana verlassen. Jetzt | |
| stehen sie mit den Füßen im Schnee, Ionel Vieru stützt sich auf seine | |
| Krücke, Elena Mihai hat sich eine Steppjacke über ihre schwarzen Gewänder | |
| gezogen und hält eine Lacktasche in der Hand. Adorian blickt auf den Boden, | |
| Jackson tobt durch den Schnee. Im Hintergrund telefoniert Nema Deniz. | |
| „Hallo! Ich stehe hier mit einer Familie, die dringend eine Unterkunft | |
| braucht. Haben Sie freie Plätze?“ Eine Pause, der Wind lässt die Finger | |
| steif werden. „Ja?“ Man hört die Erleichterung in Nema Deniz’ Stimme. Sie | |
| hatte der Familie versprochen, sie mit zu sich in ihren Bauwagen zu nehmen, | |
| wo sie wohnt, falls die Franklinstraße voll ist. | |
| „Toate familia?“, fragt Ionel Vieru. „Ja“, nickt Nema Deniz. „Yeah“… | |
| Ionel Vieru und stößt seine Krücke in die Luft. „Scoala posibil?“, fragt | |
| Elena. „Nein“, sagt Nema Deniz, „Schule gibt es da nicht. Nur für eine | |
| Noapte“, eine Nacht. „Oooh“, sagt Elena, seufzt. | |
| Sie wollen noch zum Imbiss, bevor sie in die Unterkunft gehen. Drei Suppen | |
| für vier Menschen, Elena Mihai taucht ihren Löffel abwechselnd bei Adorian | |
| und Jackson in die Schüssel. Ionel Vieru holt eine Handvoll Münzen aus | |
| seiner Tasche, die Einkünfte eines Tages, vom Flaschensammeln, Betteln. | |
| Neun Euro kostet das Abendessen für eine Familie, das ist fast alles, was | |
| er verdient hat. Jackson beißt auf eine Peperoni, schreit, hält sich den | |
| Mund, fächelt sich Luft zu. | |
| ## Man riecht, dass er obdachlos ist | |
| In der U-Bahn rücken die Menschen von Ionel Vieru ab, weil man riecht, dass | |
| er obdachlos ist. | |
| Ab Ernst-Reuter-Platz müssen sie zur Franklinstraße laufen. Die Familie | |
| kommt nur langsam voran. Elena Mihai und Ionel Vieru kämpfen sich durch den | |
| Schnee, die Jungs rennen voraus. | |
| „Was machen Sie hier mit Kindern?“, fährt Jürgen Mark, Leiter der | |
| Franklinstraße, Nema Deniz an, als sich die Familie zitternd durch die Tür | |
| des schmucklosen Nachkriegsbaus schiebt. „Das ist hier die | |
| zweitschlechteste Lösung. Direkt nach der Straße!“ „Ich weiß!“, zischt… | |
| Deniz zurück. „Aber wo soll ich sonst mit ihnen hin?“ „Wir nehmen sie au… | |
| weil Freitagabend ist. Aber am Montag müssen sie sofort zum Sozialamt!“ | |
| Und was ist, wenn das Sozialamt die Kosten für ein Obdachlosenheim nicht | |
| übernimmt, frage ich? Wo sollen sie dann hin? Jürgen Mark beruhigt sich. Er | |
| schweigt. | |
| Es gibt dann nur die Franklinstraße. | |
| Manche Bezirksämter, wie das in Neukölln, sind kulant. In Einzelfällen | |
| wenden sie den § 23 Sozialgesetzbuch XII an, der „Ausländern, die sich im | |
| Inland tatsächlich aufhalten“, in Einzelfällen Unterstützung zukommen | |
| lassen kann. Ein Härtefallparagraf, eigentlich nicht für Obdachlosigkeit | |
| gedacht. Aber so können Familien in Heimen untergebracht werden. In anderen | |
| Bezirken, wie etwa in Mitte, wird das aus Prinzip nicht gemacht, sagt Anna | |
| Schmitt. Eine Anfrage dort bleibt unbeantwortet. | |
| Die Familie untersteht dem Bezirksamt Mitte. | |
| Der Berliner Senat empfiehlt in seinen Leitlinien zur Wohnungslosenhilfe | |
| bei Familien die „Ausnutzung größtmöglicher Ermessensspielräume“. Diese | |
| Leitlinien wurden 1999 formuliert. | |
| ## Ein Problem? | |
| Am Nikolausabend, als der Winter über Berlin hereinbrach, hatte Michael | |
| Büge, CDU, Staatssekretär für Soziales in der Berliner Senatsverwaltung, | |
| zum Gespräch geladen. Ein Problem? Er sieht keines. „Der Anteil der | |
| wohnungslosen Familien an den gesamten Wohnungslosen lag nach den uns | |
| vorliegenden Zahlen im Jahr 2010 bei 0,6 Prozent“, sagt er. Das seien die | |
| einzigen Zahlen, die valide sind. Es gebe Notunterkünfte für diese Leute, | |
| meint Büge. Er ist Mitglied einer Burschenschaft, die rechtsextremen | |
| Zirkeln nahe stehen soll. | |
| In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wurden die einzelnen Bezirke | |
| Anfang Dezember aufgefordert, die Zahlen obdachloser Roma zu nennen. In | |
| Reinickendorf sind 22 Erwachsene und 38 Kinder von Obdachlosigkeit bedroht. | |
| In Mitte übernachten zwölf Kinder und 44 Erwachsene in Autos. Drei weitere | |
| Familien sind von Obdachlosigkeit bedroht. In Friedrichshain und Kreuzberg | |
| stehen 16 Erwachsene und 17 Kinder auf der Straße. In Neukölln ist eine | |
| Familie obdachlos, drei weitere Familien sind von Obdachlosigkeit bedroht, | |
| andere Menschen schlafen auf Dachböden, in Kellern, in Hauseingängen, sagt | |
| Cordula Simon, die Europabeauftragte von Neukölln, auf der Senatssitzung. | |
| Staatssekretär Büge sagt, er stoße an seine Fantasiegrenzen: Da ist jemand, | |
| der hat kein Geld, will aber hier leben. Wenn derjenige nach Deutschland | |
| kommt und sagt: Eigentlich habe ich meine Wohnung drüben, aber hier bin ich | |
| obdachlos – dann sei er zu behandeln wie ein Urlauber. Michael Büge zieht | |
| die Augenbrauen nach oben. | |
| Ionel Vieru hatte ein Haus geerbt in Rumänien, von seiner Mutter. Es war | |
| aus Lehm und Stroh, und als es ein schlimmes Unwetter gab, brach es | |
| zusammen. Wann das war, weiß er nicht mehr genau. Mama morte, Papa mort, | |
| sagt er, und will das Gespräch abbrechen. Nur eines ist klar: Seither lebt | |
| er auf der Straße und mit ihm seine Frau, seine Kinder, Zorro, Jackson und | |
| Adorian. Die Kinder haben nie eine Schule besucht. Sie sind Analphabeten, | |
| wie die Eltern. Diese fürchten, dass das Jugendamt ihnen die Kinder | |
| wegnimmt, wenn sie sie in der Schule anmelden ohne Wohnsitz. | |
| „Wir leben in einem Land, das für viele Familien, selbst wenn sie von | |
| Obdachlosigkeit bedroht sind, offenbar angenehmer ist, als in der Heimat zu | |
| leben“, sagt Büge mit ausdruckslosem Gesicht. Das müsse er zur Kenntnis | |
| nehmen. Die Frage sei aber, wie die Bundesregierung mit dieser Zuwanderung | |
| umgehen möchte, die sie nur Geld koste, aber für die Gesellschaft keinen | |
| produktiven Wert habe. „Das ist nicht die Aufgabe des Senates.“ | |
| Wessen Aufgabe ist es dann? | |
| Wieder an einem Donnerstag, morgens acht Uhr. Es ist kalt. Maia Bradu von | |
| Amaro Foro rennt durch den Regen zum Bezirksamt Neukölln. Sie ist spät | |
| dran, weil sie in der Nacht ein obdachloses Mädchen bei sich aufgenommen | |
| hat und es jetzt noch zu den Eltern bringen musste. Die Notunterkunft war | |
| voll, für das Mädchen war kein Platz. „Was hätte ich machen sollen?“, fr… | |
| sie. „Ich hätte noch zwei Stunden suchen können oder sie gleich zu mir | |
| nehmen.“ | |
| ## „Neun Leute?“ | |
| Ihr neuer Klient wartet schon. Radu Craciun, ein Vater von sieben Kindern, | |
| der die Nacht im Auto verbracht hat. Seine Wohnung wurde am Tag zuvor | |
| geräumt, vermutlich wegen Überbelegung, neun Menschen haben auf fünfzig | |
| Quadratmetern gelebt. Die sieben Kinder sind gerade in der Schule, danach | |
| gehen sie zu seinem Bruder. | |
| Im Sozialamt für Wohnungsnotfälle, Neukölln: Eine zierliche Frau mit | |
| blondem Haarknoten lässt Radu Craciun ein. „Neun Leute?“, fragt sie | |
| entgeistert. Radu Craciun hat Anspruch auf Sozialleistungen, er hat ein | |
| Gewerbe und bezieht als Aufstocker Hartz IV. Das heißt, er hätte Anspruch | |
| auf die Kostenübernahme eines Obdachlosenheims. | |
| Die blonde Frau schaut betroffen. „Ich befürchte, es gibt keine passende | |
| Unterbringung, das tut mir sehr leid.“ | |
| Als sie von ihrer Kollegin zurückkommt, sagt sie: „Sie können es bei einer | |
| Pension probieren, Pension Alibaba. Wir übernehmen Kosten bis 25 Euro pro | |
| Person. Ansonsten …“ Sie überlegt, aber es fällt ihr nichts ein. | |
| Die Pension hat ein Dreierzimmer frei. „Wir können drei Notbetten | |
| dazustellen“, sagt der Besitzer. Aber Radu Craciun und seine Kinder bleiben | |
| erst mal bei seinem Bruder. Auch dessen Wohnung ist jetzt überbelegt. | |
| ## Neue Hoffnung | |
| Für Familie Vieru gibt es neue Hoffnung: In Kreuzberg wurde eine Schule | |
| besetzt – von Menschen aus dem Flüchtlingscamp am Oranienplatz, einem | |
| Zeltlager, in dem Flüchtlinge seit Wochen mitten in Berlin leben. | |
| Vergangenen Samstag durften sie dort einziehen; auch wenn sie keine | |
| Flüchtlinge, sondern EU-Bürger sind. Sie teilen sich mit einer anderen | |
| rumänischen Familie ein Klassenzimmer, acht Matratzen mit weißen | |
| Betttüchern liegen auf dem Linoleumboden. | |
| Am Sonntagmittag sitzen Jackson und Adorian in einem der Zelte des | |
| Flüchtlingscamps auf dem Oranienplatz. Ein Mann übt mit ihnen das | |
| Schreiben. Ernst malen die beiden Jungs ihre Namen, die Buchstaben werden | |
| gegen Ende hin kleiner. Jackson. Adorian. | |
| Jeden Tag werden sie älter. Jeden Tag schwinden ihre Chancen auf eine | |
| Zukunft. Ihr Bruder ist 15, man sagt, er sei abgebrüht und rauche die | |
| Zigarettenstummel, die auf der Straße liegen. Er ist seit Wochen nicht mehr | |
| aufgetaucht. „Bei Amiga“, sagt Ionel Vieru immer wieder. | |
| Man sagt, Roma sind nicht sesshaft und es ist ihre Kultur, zu wandern. | |
| Und es hält sich hartnäckig der Mythos, dass Roma verflucht seien, von Ort | |
| zu Ort zu ziehen – die Stühle auf ewig zu umkreisen – weil sie der Heiligen | |
| Familie die Herberge verweigert hätten. | |
| Einige der Namen sind geändert. | |
| 24 Dec 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Steffi Unsleber | |
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