# taz.de -- Kolumne Bestellen und Versenden: Erotisch in der Abendröte | |
> Überraschung: Der Suhrkamp-Terz bringt verfeindete Philosophen zusammen. | |
> Und in den Archiven betrauert man mangelnde Theoriebedürftigkeit. | |
Bild: Suhrkamp-Bücher: Poppig im Regal, Theorie? Egal. | |
Während man bei dem Herrenstreit zwischen Frank Schirrmacher (FAZ) und | |
Richard Kämmerlings (Welt) über Ulla Unseld-Berkéwicz wartete, wann die | |
symbolischen durch echte Waffen ersetzt würden, hat der ganze Suhrkamp-Terz | |
andernorts durchaus befriedende Effekte. Wer hätte denn gedacht, dass Peter | |
Sloterdijk je gemeinsame Sache mit dem Frankfurter Philosophen Axel Honneth | |
machen würde? | |
Das kollektive Feuilletongedächtnis erinnert sich: Vor gut drei Jahren | |
hatte Honneth Sloterdijks verquasten Angriff auf Fiskus und Sozialstaat als | |
„Klassenkampf von oben“ bezeichnet, woraufhin Sloterdijk an Honneth (O-Ton: | |
„unser Professor“) seine tiefe Verachtung für linke Intellektuelle | |
ausagierte. Die geteilte Sorge um Suhrkamp macht nun wenigstens flüchtige | |
Friedenszeichen möglich: Sloterdijk hat den von Honneth mit initiierten | |
Aufruf zu einer außergerichtlichen Lösung des Konflikts zwischen Hans | |
Barlach und Ulla Unseld-Berkéwicz unterzeichnet, Titel: „Eigentum | |
verpflichtet!“ | |
Legendär bis heute: Sloterdijks Vorwurf, „unser Professor“ habe, was sein | |
Oeuvre angeht, „einen Lektüre-Rückstand von, freundlich geschätzt, | |
sechstausend bis achttausend Seiten“. Was das „kulturelle Vermächtnis“ v… | |
Suhrkamp angeht, für das sich der genannte Aufruf einsetzt, dürfte der | |
Lektüre-Rückstand selbst bei Sloterdijk in die Hunderttausende gehen. | |
Seit 2009 wird das Suhrkamp-Archiv im Deutschen Literaturarchiv in Marbach | |
gesichtet und aufbereitet. Gemeinsam mit den Forschungsarchiven in Weimar | |
und Wolfenbüttel veröffentlicht die Marbacher Institution regelmäßig die | |
Zeitschrift für Ideengeschichte, die aktuelle Ausgabe hat das Titelthema | |
„Droge Theorie“ und druckt u. a. Neuentdeckungen aus dem Suhrkamp-Archiv. | |
Die Redakteure Ulrich Raulff und Stephan Schlak schreiben über Suhrkamp im | |
Editorial: „Das Haus in der Lindenstraße in Frankfurt war lange Zeit die | |
erste Theorieadresse des Landes. Kein Verlag hat die Theorieemphase so | |
befeuert wie Suhrkamp mit seinen legendären Theorie-Reihen und seit 1973 | |
mit den stw-Taschenbüchern.“ | |
Abgesehen davon, dass hier neben Suhrkamp auch der Berliner Indie-Verlag | |
Merve zu nennen wäre, führt die Rückschau bei den Autoren zu | |
Diskurs-Nostalgie: „Heute hat der Begriff der Theorie längst seine | |
Abendröte hinter sich. | |
## Keine harte Währung mehr | |
Die Zeiten, in denen Theorie die härteste Währung in den | |
Geisteswissenschaften war, sind vorbei. Auch wenn Einzelne noch an der | |
Nadel hängen, scheint die Theoriebedürftigkeit der Nachkriegsjahre selbst | |
in den Zustand der Historisierung übergegangen zu sein.“ Raulff und Schlak | |
schämen sich nicht für ihre wehmütige Erinnerung „an Theorie als eine | |
Schule des Denkens, an Texte, die Intensität verströmten und existentiell | |
gelesen wurden“. | |
In der anhaltenden Suhrkamp-Debatte ist so etwas wie eine verleugnete | |
Trauer am Werk. Die Autoren der Zeitschrift für Ideengeschichte sprechen | |
aus, was andere abspalten: Die großen Zeiten der Theorie sind vorbei. Die | |
drohende Trivialisierung der „Suhrkamp-Kultur“ durch Unhold Barlach wäre | |
dann nicht mehr als das finale Symptom einer Entzauberung des Diskurses, | |
die schon längst stattgefunden hat. | |
Wer baut seine Welt schon noch auf „erotischen“ Texten, wie das einst mit | |
Walter Benjamin, Michel Foucault, Roland Barthes oder Gilles Deleuze | |
möglich war – alles Autoren, die hierzulande durch Suhrkamp einem größeren | |
Publikum bekannt wurden. Sehr schön beschreibt der Kulturwissenschaftler | |
Helmut Lethen in seinem kürzlich erschienenen Lebensbericht „Suche nach dem | |
Handorakel“, wie sich sein Leben änderte, als 1963 Benjamins „Das Kunstwerk | |
im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ in der edition suhrkamp | |
erschien. | |
Das „Droge Theorie“-Heft erinnert teilweise pathetisch an diese | |
existenzielle Dimension, die heute in eine andere, verlorene Zeit zu | |
gehören scheint. Where are we now? Die leere Jetzt-Emphase der „Suhrkamp | |
ist Pop“-These, die in den letzten Wochen wiederholt in den Betrieb posaunt | |
wurde, will nichts davon wissen, dass da etwas unwiederbringlich sein | |
könnte. Ulrich Raulff und Stephan Schlak machen hingegen auf einen Verlust | |
aufmerksam: „Alles ist Text“, das war einmal. Man muss weder Hirnforscher | |
noch Kulturpessimist sein, um das zu denken. | |
15 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Aram Lintzel | |
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