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# taz.de -- Kolumne Bestellen und versenden: Weigerung à la mode
> Drei Bücher feiern mit je unterschiedlichen Akzenten die Passivität. Und
> meinen damit politische Wahlverweigerung. Eine durchdachte Entscheidung?
Bild: Einfach mal liegenbleiben und nichts tun, das ist die Steinstrategie
Eigentlich hatte man ja gedacht, Herman Melvilles Bartleby sei eine längst
zu Tode gerittene Figur. Zu Beginn des Jahrtausends wurde sein „I prefer
not to“ in unzähligen Theaterprogrammheften, Ausstellungskatalogen,
Feuilletonartikeln und Zeitdiagnosen zitiert. „Ich würde lieber nicht“: Das
war eine melancholische Abweisung, ein Akt abstrakter Negation, der keine
besseren Angebote machen will, sondern im Zustand des Nichtstuns verweilt.
In diesen Tagen erfreut sich Bartlebys kleine Weigerung neuer Beliebtheit.
In den Buchläden liegen mindestens drei neue Bücher, die sich als Zeichen
eines Bartleby-Comebacks lesen lassen: der Essay „24/7“ von Jonathan Crary,
Holm Friebes „Die Stein-Strategie“ und „Morgen werde ich Idiot. Kybernetik
und Kontrollgesellschaft“ von Hans-Christian Dany.
Alle drei feiern mit je unterschiedlichen Akzenten die Passivität.
Nichtwähler könnten sich angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl die
freuen, werden sie doch Alibis versorgt: „Ich würde es vorziehen, lieber
nicht zu wählen.“
Der amerikanische Kunsthistoriker Jonathan Crary entdeckt im Schlaf einen
Rückzugsort vor den Zumutungen der 24/7-Kultur. Er unterbreche die
kapitalistische Maschine durch seine „Nutzlosigkeit und intrinsische
Passivität“. Klingt sympathisch, aber harmlos.
## „Sprachlos bleibende Störungen“
Heftiger und pathetischer argumentiert hingegen der Hamburger Künstler und
Autor Hans-Christian Dany. Er beruft sich in seinem schönen
halbliterarischen Text ausdrücklich auf Bartleby und nimmt gegen den vom
„Apparate-Kapitalismus ausgerufenen Befehl zu kommunizieren“ die gute alte
Punkposition der Kommunikationsverweigerung ein.
Dany setzt auf „sprachlos bleibende Störungen“, „aussagelosen Widerstand…
und eine Blockaderomantik, wie man sie von Tiqqun und dem Unsichtbaren
Komitee kennt. Bartleby als pubertärer Gesprächsverweigerer: Diese
Rezeption wird in „Morgen werde ich Idiot“ auf die Spitze getrieben.
„Manchmal rotten wir uns zusammen, meist lungern wir aber einfach nur rum“,
so skizziert Dany das Szenario seines „antipolitischen Autismus“. Während
der Links-Bartlebyianer Dany im radikalen Disengagement ein subversives
Potenzial erkennt, begibt sich der Rechts-Bartlebyianer Holm Friebe mit
seiner „Stein-Strategie“ direkt an den Machtpol. Zwar zitiert auch er
prominent Melvilles Figur, um sich gegen den „Agiere proaktiv“-Imperativ zu
wenden. Zugleich lobt der erfolgreiche Sachbuchautor Angela Merkel als eine
Art hegemoniale Version der Bartleby-Figur.
Das Perfide an Friebes beflissener Lebenshilfe ist, wie er die „I would
prefer not to“-Geste zu einer Erfolgsstrategie umdeutet und sie als Rezept
gegen die „Hyperaktivität und Entscheidungshysterie unter Managern“
empfiehlt. „Wir müssen lernen zu akzeptieren, dass Phasen des Zauderns und
Innehaltens und Schweigens notwendige Bedingung und Bestandteil nicht nur
der Kunst, sondern von Produktivität überhaupt sind“, erklärt er. Im
Präsidialstil schwadroniert Friebe darüber, dass in Deutschland eine
„Kultur des Nicht-Handelns und des Bleiben-Lassens“ fehle. Ja, liebe
Deutsche, werdet ein, zwei viele Bartlebys!
## Die bekennenden Bankrotteure
Dany bemerkt zur Wahlverweigerung: „Die bekennenden Bankrotteure des
Politischen zu wählen, käme mir vor, als würde ich nachts in ein
geschlossenes Restaurant einbrechen, um auf den entlassenen Kellner zu
warten.“ Es ist allzu offensichtlich, dass die Kritik sich nicht gegen die
Wahl einer bestimmten Politik richtet, sondern gegen das Wählen selbst.
Dany schreibt von der „Ekstase des semantischen Sprungs“. Doch hat
demokratische Realpolitik überwältigungsästhetisch natürlich nichts zu
bieten. Intensitätsversprechen wie Ereignis, Messias oder Aufstand stehen
denn auch für das ganz Andere der demokratischen Wahl.
Ihr Profit: Wer nicht wählen muss, verstrickt sich nicht in die
kompromittierende Logik von Pro und Contra, Kompromiss und Aushandlung –
„Sich nicht an ihrem Gift zu versuchen“ (Dany). Darum geht es also: Immer
schön sauber bleiben! Wählen kann ich schließlich, wenn ich tot bin.
10 Sep 2013
## AUTOREN
Aram Lintzel
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