# taz.de -- Kolumne Bestellen und Versenden: Anti ohne Kommunismus | |
> Ein Zombie namens Antikommunismus geht um in der deutschen Presse. Die | |
> kommunistische Scharia scheint also zu drohen. | |
Bild: Der Geist des Kommunismus geht um, nicht nur in der deutschen Presse: Len… | |
Ein Zombie namens Antikommunismus geht um in Deutschland, untot geistert er | |
durch die sogenannte bürgerliche Presse. Der Grund: Neue Kommunisten und | |
Sozialisten wollen den tüchtigen Bürger entmündigen und enteignen. So sehen | |
es zumindest Kommentatoren wie der Wirtschaftswoche-Chef Roland Tichy und | |
Welt-Vizechef Ulf Poschardt. | |
„Zu viele deutsche Medien sind zu rot-grünen Umerziehungslagern verkommen“, | |
behauptet Tichy in der Zeit zur Zeitungskrise, während Poschardt, der auf | |
Facebook mit „wunderbarer Tichy“ sekundiert, den Grünen vorwirft, sie | |
würden mit Wachstumskritik, Spitzensteuersatz und Sozialstaat „jeden | |
Aufstiegswilligen aus dem Land treiben“. | |
Das ist ein Antikommunismus ohne Kommunisten. Jede noch so moderate | |
Abweichung vom Marktradikalismus wird zum Vaterlandsverrat hochdämonisiert, | |
SPD und insbesondere die Grünen stehen für eine demokratisch getarnte | |
Wiederkehr des Gulag. Oder hat der wunderbare Tichy einfach nur den | |
Philosophen Giorgio Agamben falsch verstanden, für den das Lager das | |
Dispositiv der Moderne ist? Wohl gefällt er sich einfach etwas zu gut in | |
der Pose der Provokation: Man wird ja wohl mal ein bisschen über die | |
Stränge schlagen dürfen, hihi! Nur bitte nicht mit Steuerabgaben und | |
Umverteilung. | |
## Enteignung als Kastration | |
In seinem dieses Jahr erschienenen Buch „Heilige Hetzjagd. Eine | |
Ideologiegeschichte des Antikommunismus“ schreibt der Historiker Wolfgang | |
Wippermann: „Der Antiislamismus hat noch Zukunft, während der | |
Antikommunismus der Vergangenheit anzugehören scheint. Das kann sich | |
allerdings ändern.“ Und es ändert sich gerade. Die bürgerlichen | |
Ideologieproduzenten beweisen, dass sie die Feindbilder wechseln können wie | |
andere das Hemd. | |
Antiislamismus ist seit Breivik und NSU heikel, Kommunistenangst dagegen | |
unverfänglicher. Angst machen die neuen Kommunisten aber wie die | |
islamischen „Anderen“, droht die neokommunistische Scharia dem freien Markt | |
doch am Ende die „unsichtbare Hand“ abzuhacken. Der Antiislamismus ist im | |
aktuellen Antikommunismus-Revival dialektisch gut aufgehoben. | |
„Viele Journalisten haben den Kontakt zur Lebenswirklichkeit verloren. | |
Deswegen will man deren Phantasmorgasmen nicht mehr lesen“, sagt Roland | |
Tichy über die rot-grünen Lagerkommandanten. Das sexualisierte Vokabular | |
verweist auf das Ressentiment: Die neuen Kommunisten genießen mehr, ihre | |
Orgasmen sind nicht nur phantasmatisch, sondern auch fantastisch, mir armem | |
Wicht dagegen droht die Enteignung. Final gar: die vollständige Kastration. | |
## „Wer Fleisch isst, versaut das Weltklima" | |
Verlustängste, die sich in Ressentiments kleiden – das kennt man allzu gut | |
von all den öden Anti-PC-Kampagnen der letzten 2.000 Jahre. Auch Roland | |
Tichy sieht sich schon wieder als Opfer überkorrekter Spaßverderber. Deren | |
normative Setzungen quälen ihn: „Wer Fleisch isst, versaut das Weltklima, | |
Beamte wissen besser als du selbst, was gut für dich ist. | |
Die Steuern müssen rauf, die Kinder in die Krippe, denn Eltern schaden | |
ihren Säuglingen wie sonst nur das Rauchen ihrer Gesundheit. Bitte nicht | |
vergessen: Der Rhein-Tsunami bedroht deutsche Kernkraftwerke, Obama ist | |
Gott und wer gegen die Frauenquote ist, schändet auch Migranten am | |
Arbeitsplatz.“ Die Rot-Grün-Medien, so Tichys lässige Verschwörungstheorie, | |
seien willige Vollstrecker dieser Gängeleien. | |
Der Radikalliberale Tichy aber will frei sein, sich nichts gefallen lassen. | |
Seine Waffe im Freiheitskampf aber ist denkbar stumpf. Die Umerzieher | |
hätten „den Kontakt zur Lebenswirklichkeit verloren“. Das ist pure | |
Post-Politik: Leben und Wirklichkeit sprechen für sich, Kritik ist im | |
Angesicht der unentrinnbaren Faktizität nicht mehr möglich. | |
Wie schwach auf der Brust muss aber ein Liberalismus sein, der nur eine | |
private „Lebenswirklichkeit“ auf seiner Seite hat? Oder kennt Tichy das | |
Leben von – sagen wir – Billiglöhnern? Umgekehrt dürfte nur eine kleine | |
Elite die „Lebenswirklichkeit“ des Roland Tichy kennen. Deren | |
Partikularität verschleiert er ganz altideologisch, indem er sie zur selbst | |
erklärenden Normalität verallgemeinert. | |
11 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Aram Lintzel | |
## TAGS | |
Kommunismus | |
Presse | |
Berichterstattung | |
taz.gazete | |
Sexismus | |
Suhrkamp Verlag | |
Stern | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Bestellen und versenden: Weigerung à la mode | |
Drei Bücher feiern mit je unterschiedlichen Akzenten die Passivität. Und | |
meinen damit politische Wahlverweigerung. Eine durchdachte Entscheidung? | |
Kolumne Bestellen und Versenden: Aufstand gegen die Anständigen | |
Der österreichische Philosoph Robert Pfaller findet die | |
Geschlechterverhältnisse vermiest. Er hätte gern die elegante Dame wieder. | |
Küss die Hand. | |
Kolumne Bestellen und Versenden: Erotisch in der Abendröte | |
Überraschung: Der Suhrkamp-Terz bringt verfeindete Philosophen zusammen. | |
Und in den Archiven betrauert man mangelnde Theoriebedürftigkeit. | |
Kolumne Bestellen und versenden: Arme ausgebeutete Mittelschicht | |
Das Shirt „1965 Baseball Playoff“: Ist das Neokapitalismus oder | |
Kommerz-Dada? Die Welt aus der Perspektive eines „Stern“-Journalisten. | |
Kolumne Bestellen und Versenden: Alles Pseudo oder was? | |
Die grassierende Kritik des „Spektakels“ endet schnell bei spektakulärer | |
Pseudokritik. Ein Plädoyer für eine kritische Selbstkritik. | |
Kolumne Bestellen und versenden: Zwischen Ich und Appell | |
Über Narzissmus und die Kritik daran. Mit Mario Balotelli, Political | |
Correctness, Theaterautoren, dem Mainstream-Psychologen Hans-Joachim Maaz | |
und der Piratenpartei. |