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# taz.de -- Analyse Algerien: Die Angst vor dem Flächenbrand
> Malis ölreiches Nachbarland Algerien fürchtet, erneut in einen Krieg mit
> Islamisten hineingezogen zu werden. Das fragile Gleichgewicht der
> Sahelzone ist in Gefahr.
Bild: Schwarze Rauchwolken über Hassi Messaoud, dem Zentrum der algerischen Ö…
Die Geiselnehmer von In Amenas wussten, wo Algerien am härtesten zu treffen
ist. Die Besetzung der Gasfelder durch ein Kommando unter der Führung des
Algeriers Mokhtar Belmokhtar ist der erste Angriff auf das Herz der
algerischen Wirtschaft – die Öl- und Gasförderung.
Die Aktion trifft die Ökonomie genauso wie das von Algier lang gehegte
fragile regionale Gleichgewicht im Sahel. Algerien befindet sich erstmals
seit Ende der 1990er Jahre wieder im Krieg mit radikalen Islamisten. Es
besteht die Gefahr, dass das Land in einen lang andauernden bewaffneten
Kampf um den Norden Malis hineingezogen wird.
Der algerische Süden, größer als Frankreich und Spanien zusammen, ist mit
600.000 Einwohnern eine der am dünnsten besiedelten Gegenden Afrikas.
Zugleich ist es eine der reichsten Regionen weltweit. Algerien war 2011 mit
78 Milliarden Kubikmeter Erdgas die Nummer 9 der Förderländer und mit 74
Millionen Tonnen Erdöl die Nummer 17. Pipelines schließen Europa direkt an
diese Gasvorkommen an. 17 Prozent der algerischen Gasexporte stammen allein
aus dem jetzt angegriffenen In Amenas. Frankreich bezieht rund 12 Prozent
seines Gasverbrauchs aus Algerien.
Während des Bürgerkrieges zwischen Islamisten und der algerischen Armee
nach dem Verbot der 1992 bei den ersten freien Wahlen siegreichen
Islamischen Heilsfront (FIS) gerieten die dichtbesiedelten Gebiete im
Norden Algeriens teilweise außer Kontrolle. Die Petroindustrie in der Wüste
hingegen konnte immer gesichert werden. Wer dort hin will, braucht ein
Visum, als würde er in ein anderes Land reisen. Um so größer ist der Schock
jetzt.
## Der langfristige Schaden ist nicht abzusehen
Auch wenn die Liefermengen nach Europa jetzt schnell wieder stabilisiert
werden konnten, ist der langfristige Schaden nicht abzusehen.
Internationale Partner haben begonnen, ihre Mitarbeiter abzuziehen. Und ein
Teil der Investitionen, mit denen in den vergangenen Jahren die Förderung
ausgebaut wurde, kommt aus Europa und den USA. Alleine in die Anlage in In
Amenas wurden 1,5 Milliarden Euro investiert.
Algerien, in Zeiten des Kalten Krieges eine regionale Macht in Afrika, hat
nicht zuletzt wegen der internen Krise in den 1990er Jahren an
internationalem Einfluss verloren. Das zeigt sich besonders im Sahel.
Algerien pflegt seit seiner Unabhängigkeit 1962 gute Kontakte mit den
Tuareg, die seit Jahrzehnten im Norden Malis für mehr Eigenständigkeit
kämpfen, unterstützt sie diplomatisch und nahm immer wieder Flüchtlinge
auf. Algerien nutzte die Stämme als Puffer, um Tausende von Kilometern
Außengrenze inmitten der Wüste zu schützen.
Es war Algerien, das 2006 das Abkommen zwischen der Regierung Malis in
Bamako und den Tuareg einfädelte. Doch als die Umsetzung scheiterte,
schwächte dies auch die Position Algiers. Der letzte Versuch, mit
verschiedenen Fraktionen der Tuaregbewegung eine Dialoglösung zu finden,
scheiterte Ende Dezember an der inneren Zerstrittenheit der teilnehmenden
Organisationen.
## Al-Qaida in der Sahelzone
Erschwerend hinzu kommt die Entwicklung in Afghanistan. Als al-Qaida dort
zusehends unter Druck geriet, verlagerte das internationale Netzwerk seine
Aktivitäten immer mehr in die Sahelzone. Mittlerweile soll der
nordafrikanische Ableger von al-Qaida, AQMI, auf einem Gebiet fast so groß
wie Spanien relativ ungestört operieren können. Längst sind Teile der
Tuareg unter Einfluss des internationalen Islamismus geraten. Die Kommandos
mit Waffen zu versorgen, ist seit dem Zusammenbruch Libyens kein Problem
mehr.
Und auch innenpolitisch dürfte der Krieg in Mali und der Überfall auf die
algerischen Gasfelder Wirkung zeigen. Kaum jemand in Algerien unterstützt
die Entscheidung der algerischen Regierung, der französischen Armee den
Überflug des algerischen Territoriums zu gewähren. Die algerischen
Islamisten werden versuchen, dies politisch zu ausnutzen.
Die algerische Presse indessen lobt die Befreiungsaktion. Zu groß ist die
Angst vor einer erneuten islamistischen Terrorwelle. Mit dem harten
Vorgehen der Sonderkommandos gegen die Geiselnehmer will Algier klarmachen,
zu allem entschlossen zu sein, wenn es um die eigene Sicherheit geht. Eine
sich hinziehende Verhandlung mit den Geiselnehmern hätte die Position
Algeriens weiter geschwächt.
20 Jan 2013
## AUTOREN
Reiner Wandler
Reiner Wandler
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