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# taz.de -- Algerischer Journalist über Gaspolitik: „Die Pressefreiheit ist …
> Algerien hofft auf einen Wirtschaftsaufschwung, sagt Khaled Drareni. Doch
> nach dem Abflauen der Hirak-Proteste verfolgt die Regierung kritische
> Presse.
Bild: Gaswerk in In Aménas: Seit dem Ukraine-Krieg ist Algerien wichtig für E…
taz: Herr Drareni, seit Russlands Invasion in der Ukraine versucht
Algerien, sich mehr als je zuvor als Drehscheibe für Erdgaslieferungen nach
Europa zu positionieren. Mehrere europäische Politiker*innen sind
seitdem nach Algerien gereist und haben Absichtsverträge oder Abkommen
unterzeichnet. Helfen solche Deals, um Algeriens Wirtschaftskrise zu
überwinden?
Khaled Drareni: Algerien war schon immer ein wichtiger Partner im Gassektor
für Europa, vor allem für Italien und Spanien. Die Zusammenarbeit hat eine
lange Tradition, schließlich ist Algerien durch je [1][eine Gaspipeline
direkt mit Italien] und [2][Spanien verbunden]. Zudem gibt es die
Trans-Sahara-Gaspipeline, ein über 4.000 Kilometer langes
Pipeline-Vorhaben, das Nigerias Erdgasfelder mit Algeriens Verteilernetz
verbinden soll. Algeriens Regierung hofft dabei auf einen wirtschaftlichen
Aufschwung. Die russische Aggression gegen die Ukraine hat Algerien zu
einem unumgänglichen Akteur in Hinblick auf die Gasversorgung Europas
gemacht. Algerien ist bereit, mehr Gas zu liefern, steht aber trotzdem
Russland sehr nahe. [3][Algeriens Präsident Abdelmadjid Tebboune] besuchte
erst Anfang Juli Russland. Ich habe den Eindruck, dass Algerien versucht,
sich in der Mitte zu positionieren, also europäische Länder mit mehr Gas zu
versorgen und russische Lieferungen zu ersetzen, während es gleichzeitig
die Beziehungen zu Moskau intakt hält.
Algeriens Protestbewegung Hirak, zu Deutsch „Bewegung“, die 2019 Präsident
Bouteflika gestürzt hat, ist aus der internationalen Presse verschwunden.
Sie berichtet auch kaum noch über Einschränkungen von Freiheitsrechten. Der
Druck auf Algerien hat sichtbar nachgelassen. Nützt die erhöhte Nachfrage
nach Gas Algeriens Regime, da es weniger Kritik an der Menschenrechtslage
erwarten muss?
Der Hirak war eine historische Volksbewegung, die die ganze Welt überrascht
hat. Vor allem, da es sich um eine zivile und friedliche Bewegung handelte,
die mehr als 20 Millionen Menschen mobilisierte. Bouteflika verzichtete
angesichts des Drucks durch den Hirak darauf, eine fünfte Amtszeit als
Staatsoberhaupt anzutreten, aber dann kam Covid-19. Anfang 2021
organisierte der Hirak nochmals Demonstrationen, doch die Behörden begannen
nun, Protestierende festzunehmen. Seither gibt es keine Proteste mehr –
aber weiterhin politische Gefangene. Wir von Reporter ohne Grenzen setzen
uns für die Freilassung inhaftierter Journalisten ein, unter anderem für
Ihsane El-Kadi und Mustafa Benjamaa.
Außergewöhnlich ist der Fall von El-Kadi. Er wurde im Dezember festgenommen
und später zu fünf Jahren Haft verurteilt. Warum wurde er derart bestraft?
Ich habe das selbst erlebt, als ich zu drei Jahren Haft verurteilt wurde.
Den Familien inhaftierter Journalisten sage ich immer, dass die
veranschlagte Haftdauer nur eine Zahl ist, eine Nummer. Wir müssen trotzdem
die Hoffnung bewahren. Die Familie El-Kadis und wir haben weiterhin
Hoffnung, dass er bald freigelassen wird. Wir machen so lange auf seinen
Fall aufmerksam, bis er frei ist.
Seit die von El-Kadi betriebenen News-Websites Maghreb Emergent und Radio M
in Algerien gesperrt wurden, scheint es, als sollten sämtliche unabhängige
Medien in Algerien mundtot gemacht werden.
Die Lage der Presse in der ganzen Region ist sehr besorgniserregend. In
Algerien wurden Zeitungen eingestellt oder aufgrund von Finanzproblemen
bestreikt. Andere Journalist*innen haben Probleme mit der Justiz. In
Tunesien und Marokko finden wir nahezu identische Probleme. In Marokko
sitzen mit [4][Omar Radi], Soulaiman Raissouni und Tawfik Bouachrine drei
Journalisten im Gefängnis. Es wird weiter für ihre Freilassung gekämpft. In
Tunesien ist die Lage ebenso besorgniserregend. Erst kürzlich wurde der
Journalist Khalifa Guesmi zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er seine
Quellen nicht offenlegen wollte. Dies ist die höchste Haftstrafe für einen
Journalisten in Tunesien seit der Unabhängigkeit 1956. Aber er sitzt nicht
im Gefängnis, sondern lebt im Untergrund. Wir erleben gerade, wie alle
Errungenschaften der tunesischen Revolution von 2011 wieder demontiert
werden.
Im Gegensatz zu Ägypten 2013 und Algerien 2021 findet die Konterrevolution
in Tunesien in Trippelschritten statt. Es gibt immer noch Proteste und
Medien kritisieren den Präsidenten und die Regierung. Wie steht es um die
Pressefreiheit in Tunesien?
In Tunesien wird es schwieriger, den Präsidenten zu kritisieren. Mehrere
Radiojournalist*innen wurden vorgeladen und angeklagt, nachdem sie
den Staatschef kritisiert hatten. Das Gleiche gilt inzwischen bei
Minister*innen: Die beiden Reporter*innen Monia Arfaoui und Mohamed Abu
Ghaleb hatten den Minister für religiöse Angelegenheiten wegen
Korruptionsverdacht kritisiert und wurden verhört und angeklagt. Die
Freiheitsrechte der letzten Jahre scheinen der Vergangenheit anzugehören.
Dennoch gibt es weiterhin die starke, mutige und einflussreiche
Journalist*innen-Gewerkschaft SNJT, die immer noch zu
Demonstrationen aufruft und Journalist*innen verteidigt.
Zurück zu Algerien: Unter Bouteflika gab es klare rote Linien. Worüber darf
heute nicht öffentlich gesprochen werden?
Die Rückschritte bei der Pressefreiheit begannen schon unter Bouteflika.
Seit seinem Amtsantritt 1999 war klar, dass er der freien Presse nicht
freundlich gesinnt war. Dennoch gab es eine gewisse Pressefreiheit. Heute
ist das ähnlich, doch der regionale und algerische Kontext ist anders. Die
Pressefreiheit ist mehr denn je in Gefahr in Algerien, und es ist die
Aufgabe von uns Journalist*innen, die Freiheiten mit allen Mitteln zu
verteidigen.
15 Aug 2023
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[4] /Haftstrafe-fuer-Journalisten-in-Marokko/!5781136
## AUTOREN
Sofian Philip Naceur
## TAGS
Schwerpunkt Pressefreiheit
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