Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Super-Gau in Fukushima: Eine Belastung für Generationen
> Zwei Jahre nach dem Unfall in Fukushima werden wieder Obst und Fische aus
> der Region verkauft. Aber die Ruinen bleiben lebensgefährlich.
Bild: Nach Fukushima: Baden am Strand von Nakoso.
BERLIN taz | Am 17. Juli 2012 wurde am Strand von Nakoso an der Ostküste
Japans das Normale zum Besonderen. Zum ersten Mal seit der Atomkatastrophe
vom 11. März 2011 öffnete hier, 60 Kilometer südlich von Fukushima Daiichi,
wieder ein Badestrand.
In dem Ozean, zeitweise durch stark radioaktive Abwässer verseucht, wurde
weniger als 1 Becquerel (Bq) Strahlung pro Liter Wasser gemessen, er wurde
von den Behörden freigegeben.
Am selben Tag wurde in Tokio das Besondere zum Normalen: 170.000 Menschen
demonstrierten wieder einmal gegen die Pläne der Regierung, die japanischen
Atomkraftwerke wieder ans Netz gehen zu lassen.
## Pfirsiche aus Fukushima
Der Alltag rund um Fukushima schwankt auch zwei Jahre nach Tsunami und
Super-GAU zwischen Normalität und Ausnahmezustand. Die Fische aus dem Meer
und zum Teil auch der Reis aus der Provinz werden wieder verkauft.
Pfirsiche aus Fukushima wurden 2012 zum ersten Mal wieder in Thailand auf
den Markt gebracht.
Andererseits berichtet die neu formierte Atomaufsichtsbehörde NRA, dass die
radioaktive Belastung der Flüsse steigt, weil sich verseuchte Erde darin
absetzt. Der AKW-Betreiber Tepco maß 254.000 Bq/Kilo Stachelkopffisch; der
zulässige Grenzwert beträgt 100 Bq/Kilo.
In und an den havarierten Reaktoren ist die Strahlung stellenweise immer
noch lebensgefährlich. Messungen der AKW-Betreiber ergaben im Containment
von Block 1, der äußeren Reaktorhülle und an einem Außenrohr fast 10
Sievert pro Stunde – eine tödliche Dosis.
Alle Experten gehen davon aus, dass in den Blöcken 1, 2 und 3 die
Druckbehälter, die die Kernbrennstäbe enthalten, so stark beschädigt
wurden, dass sie geborsten sind und große Teile des geschmolzenen
Reaktorkerns auf den Boden des Sicherheitsbehälters getropft sind. Dort
liegen sie nun, nach neuen Messungen aus Block 1 unter einer knapp drei
Meter hohen Wasserschicht, die sie kühlt und die Strahlung abdeckt.
Nach der Bergung der Brennstäbe in einigen Jahren sollen die Reaktoren mit
Wasser geflutet werden; durch ferngelenkte Maschinen soll der Abbau der
Reaktorkerne begonnen werden, sagt Sven Dokter von der deutschen
Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS). „Aber die
Herausforderung ist dann erst einmal, die Gebäude abzudichten.“ Bisher
nämlich läuft das Wasser, das permanent zur Kühlung eingespeist wird, unten
aus den Ruinen heraus.
## Radioaktive Klärschlämme
Für die Unmenge von verstrahltem Wasser und radioaktiven Trümmern gibt es
noch keine Lösung. Allein auf dem Gelände lagern 50.000 Kubikmeter
nuklearer Schutt und etwa 70.000 Kubikmeter verstrahltes Holz. Außerdem
werden in der Sperrzone rund um das AKW Böden für die Sanierung abgetragen.
Für ihre Behandlung und Lagerung hat die japanische Regierung zwölf
Standorte vorgeschlagen.
Gegen die Suche nach einem Bauplatz für eine Aufbereitungsanlage für
radioaktive Klärschlämme wehrt sich allerdings die Bevölkerung: Die
betroffenen Städte weigern sich, die Schlämme zu lagern,
Transportunternehmen nehmen Frachtaufträge nicht an, vermeldet die
Atomaufsicht.
Wie stark die Bevölkerung von Fukushima von Strahlenschäden betroffen ist,
bleibt umstritten. Studien der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der
UN-Kommission für Strahlenschutz (UNSCEAR) und ein Bericht des japanischen
Parlaments kommen zu dem Schluss, dass die Belastung niedriger sei als
zuerst angenommen. Allerdings sind einzelne „Hotspots“, wo etwa der Wind
ungünstig stand und es regnete, durchaus hoch belastet.
Wolfgang Weiss, Chef der UNSCEAR, glaubt nicht, dass durch den Unfall die
Krebsrate steigt. Die atomkritischen „Ärzte gegen den Atomkrieg“ (IPPNW)
dagegen können „überhaupt keine Entwarnung geben“, sagte Angelika Claußen
von IPPNW nach einem Japanbesuch im Herbst 2012.
Wer sich nicht auf die Messdaten der Behörden verlasse, finde deutlich
höhere als die offiziellen Werte. Damit folgt auch die Debatte über die
Gesundheitsfolgen von Fukushima dem Muster von Tschernobyl, wo es 1986 zum
bis dahin schwersten AKW-Unfall kam. Bis heute stehen sich die Annahmen
gegenüber, dieser habe nur ein paar Dutzend bzw. Tausende zusätzliche
Todesfälle verursacht.
Die Umweltschützer von Greenpeace haben sich nicht auf die offiziellen
Daten verlassen, sondern eigene Messungen rund um Fukushima gemacht. Sie
werfen der WHO vor, die Risiken zu verschleiern, die die Strahlenbelastung
für die Bevölkerung berge: Die WHO betone den nur geringen prozentualen
Anstieg der Krebsrate, die sich aber „in Wirklichkeit in Tausende von
bedrohten Menschen übersetzen lasse“.
## Fortschritte bei Tepco
Große Unruhe unter Strahlenbiologen hatte im letzten Jahr auch eine
Untersuchung verursacht, die rund um Fukushima an Schmetterlingen massive
genetische Schäden nachgewiesen hatte, auch noch in der zweiten und dritten
Generation.
Im Vergleich zu Tschernobyl wurde in Fukushima allerdings weit weniger
Radioaktivität freigesetzt: Etwa 15 Prozent der Belastung durch strahlendes
Jod und Cäsium sei in Japan entstanden, schätzen die Experten der GRS –
allerdings auch wieder „mehr als ursprünglich angenommen“. Und die
Freisetzung geht täglich weiter, wenn auch auf weit geringerem Niveau.
Fortschritte hat Tepco vor allem auf einem Gebiet gemacht: im Eingestehen
von Fehlern. Im Oktober 2012 veröffentlichte der Konzern einen Bericht, in
dem man zugab, schon vor dem 11. März 2011 über das Tsunami-Risiko
informiert gewesen zu sein und gewusst zu haben, dass die Atomanlage
anfällig sei. Gesagt wurde aber nichts, gab Tepco zu.
Die Manager fürchteten, Fukushima müsse dann teilweise oder vollständig
stillgelegt werden und die Bevölkerung werde die Atomkraft kritisch
betrachten. Beides hat Tepco nun erreicht.
11 Mar 2013
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Fukushima
Super-GAU
Radioaktivität
Fukushima
Radioaktivität
Fukushima
Tepco
Fukushima
Fukushima
Fukushima
Atom
Schwerpunkt Atomkraft
Atomenergie
Atom
Deutschland
Fukushima
Gesundheit
Greenpeace
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rückkehr in die Sperrzone bei Fukushima: „Es wird schon okay sein“
Naraha darf als erste Stadt in der Sperrzone wieder besiedelt werden. Fast
alle Schäden sind repariert, aber überall stehen Strahlenmesser.
Radioaktive Belastung in Japan steigt: Cäsium verseucht Grundwasser
Am AKW Fukushima Daiichi gibt es ein neues Leck, aus dem radioaktives
Material austritt. Im Grundwasser wurden deutlich höhere
Cäsium-Konzentrationen nachgewiesen.
Erneut Zwischenfall in Fukushima: Pannenserie reißt nicht ab
Im Atomkraftwerk Fukushima ist nach Angaben des Betreibers Tepco schon
wieder ein Leck in den Tanks für radioaktives Wasser entdeckt worden.
Interner Bericht über Fukushima: Tepco übernimmt Hauptschuld
Der Atomkonzern Tepco gibt zu, dass die Kernschmelzen im März 2011 hätten
verhindert werden müssen. Die Sicherheitsvorkehrungen waren unzureichend.
Stromausfall im Atomkraftwerk: Déjà-vu in Fukushima
Ein elektrischer Defekt legt die Kühlung fast aller Abklingbecken lahm – so
wie vor zwei Jahren der Tsunami die Notstromaggregate ausschaltete.
Stromausfall in Fukushima: Kühlsysteme lahmgelegt
Ein Defekt in der Stromversorgung legte mehrere Kühlsysteme für die
Abklingbecken in der Atomanlage lahm. Die Kühlung für Reaktoren soll nicht
betroffen sein.
Japan zwei Jahre nach dem Tsunami: Die Tücken des Wiederaufbaus
Die Trümmer sind beseitigt, die Wirtschaft wächst. Doch es gibt Konflikte
zwischen Ämtern und Betroffenen, sagt Shinichi Sakaguchi von der
Wiederaufbaubehörde.
AKW-Ruine in Fukushima: In der Strahlenhölle
Zum zweiten Jahrestag der Atom-Katastrophe in Fukushima konnten
Journalisten das Gelände des Kraftwerks besuchen. Der taz-Korrespondent war
dabei.
Buchvorabdruck zu Fukushima: Lehrmeister Kernkraft
Am 11. März 2011 begann die Unfallserie im Atomkraftwerk Fukushima. Sie
beschleunigte, was längst evident war: das Ende der Atomkraft.
Widerstand gegen Atomkraft: Nie wieder Fukushima
Tausende demonstrieren gegen die Nutzung der Atomkraft in Deutschland.
Proteste gibt es auch in Paris. Deutsche Banken finanzieren indes
Atomkonzerne.
Nuklearenergie in Japan: Zurück zum Atomstaat
Doch kein Ausstieg? Japans Regierungschef will Atommeiler wieder
hochfahren. Vor dem zweiten Fukushima-Jahrestag gingen AKW-Gegner deswegen
auf die Straße.
Anti-AKW-Proteste in Deutschland: Wie würden Sie reagieren?
Atomkraftgegner simulieren einen katastrophalen Unfall am niedersächsischen
AKW Grohnde. Anwohner werden „evakuiert“.
Rückkehr nach Fukushima: Strahlende Heimat
Zwei Jahre nach der Atomkatastrophe wollen nur die Alten wieder in die
evakuierten Gebiete – trotz aufwändiger und teurer Dekontaminierung.
Atomkatastrophe Fukushima: Erhöhtes Krebsrisiko in ganz Japan
Zwei Jahre nach dem Super-GAU weisen 42 Prozent der Kinder in der Präfektur
Schilddrüsenanomalien – eine Krebsvorstufe – auf, besagt eine Studie.
Folgen von Fukushima: Spielplatz radioaktiv verstrahlt
Zwei Jahre nach der Reaktorkatastrophe ist die Bevölkerung Fukushimas immer
noch hoher radioaktiver Strahlungen ausgesetzt – unter anderem auf dem
Spielplatz.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.