# taz.de -- Nuklearenergie in Japan: Zurück zum Atomstaat | |
> Doch kein Ausstieg? Japans Regierungschef will Atommeiler wieder | |
> hochfahren. Vor dem zweiten Fukushima-Jahrestag gingen AKW-Gegner | |
> deswegen auf die Straße. | |
Bild: No! Tausende protestierten am Sonntag in Tokio. | |
TOKIO taz | Das Wochenende vor dem zweiten Jahrestag der | |
Fukushima-Katastrophe gehörte Japans Atomkraftgegnern. Zehntausende | |
demonstrierten unter dem Motto „Null Atomkraft“ in mehreren Städten gegen | |
die erklärte Absicht der neuen Regierung, an der Atomenergie festzuhalten, | |
und schwenkten Transparente mit Aufschriften wie „Rettet unsere Kinder“. | |
Der konservative Premierminister Shinzo Abe will die vorsorglich | |
stillgelegten Atommeiler wieder hochfahren und unter Umständen auch neue | |
bauen. Den Ausstieg bis 2040, von seinem Vorgänger Yoshihiko Noda geplant, | |
soll es nicht geben. | |
Mit der Ankündigung der Neustarts will Abe die neue Atomaufsicht NRA unter | |
Druck setzen. Die inzwischen selbstständige Behörde erarbeitet bis Juli | |
drastisch verschärfte Sicherheitsvorschriften und muss darüber entscheiden, | |
welche Anforderungen die Reaktoren für die Wiederinbetriebnahme erfüllen | |
müssen. | |
Premier Abe wird die Reaktivierung der Meiler aber wohl erst nach der | |
Oberhauswahl im Juli forcieren. Umfragen zufolge sind weiterhin über zwei | |
Drittel der Japaner für einen mittel- bis langfristigen Atomverzicht. Diese | |
Wähler will Abe nicht verprellen. | |
## Option Atombombe | |
Der Regierungschef begründet die Kurswende mit der Stärkung der Wirtschaft. | |
Wegen der drastisch höheren Importkosten für Öl und Gas als Ersatz für | |
Atomstrom ist die Handelsbilanz der rohstoffarmen Nation ins Minus | |
gerutscht. | |
Die unsichere Stromversorgung beschleunige die Abwanderung der Industrie | |
ins Ausland, lautet das zweite Argument der Regierung. Ein heimliches Motiv | |
der Konservativen ist, dass die japanische Option auf eine eigene Atombombe | |
gegenüber China glaubwürdig bleiben soll. | |
Unabhängig von den Neustarts will Abe seine Pro-Atom-Haltung im | |
langfristigen Energieplan verankern. Früher dafür berufene Experten hatten | |
sich nicht auf einen neuen Strommix einigen können. Daher hat das | |
Industrieministerium das Gremium jetzt von 25 auf 15 Experten so | |
verkleinert, dass die Zahl der Atomkraftkritiker von acht auf zwei | |
schrumpfte. | |
So rückte der AKW-Befürworter Issei Nishikawa, Gouverneur der Präfektur | |
Fukui, die 13 Reaktoren beheimatet, neu in die Runde. Das Gremium soll sich | |
bis zum Jahresende einigen, ohne jedoch unbedingt einen festen Prozentsatz | |
an Atomstrom festzulegen. | |
Ohnehin dürfte sich Japans Atomindustrie vom Fukushima-Tiefschlag nie ganz | |
erholen. Der Chef des französischen Atomkonzerns Areva, der Japan mit Uran | |
beliefert, hält zwar den Neustart von sechs Reaktoren bis zum Jahresende | |
für möglich. Aber der britische Energieberater Wood Mackenzie erwartet 2013 | |
keine einzige Genehmigung mehr. | |
Japan wäre daher ab Herbst erneut atomstromfrei, da die zwei Reaktoren im | |
AKW Oi, die als einzige von 50 Meilern arbeiten, dann zur regulären Wartung | |
vom Netz gehen. Die Reaktivierungen werden sich ab 2014 über drei Jahre | |
hinziehen, meint Analyst Nicholas Brown. | |
## Verschärfte Sicherheitsauflagen | |
Damit nicht genug: Japans Kapazität für Atomstrom werde um die Hälfte | |
schrumpfen, sagt Brown voraus, wegen des hohen Alters einiger Reaktoren und | |
der verschärften Sicherheitsauflagen. Selbst Areva-Chef Luc Oursel rechnet | |
nur mit einem Neustart von zwei Dritteln der Meiler im Verlauf mehrerer | |
Jahre. | |
Beispiel Tepco: Von den 17 Atomanlagen vor Fukushima dürften nur fünf bis | |
sieben wieder in Betrieb gehen. Die vier Unglücksreaktoren sind außer | |
Dienst gestellt. Das Hochfahren der Meiler 5 und 6 in Fukushima Daiichi und | |
der vier Reaktoren in Fukushima Daini lehnen die Politiker in der Präfektur | |
Fukushima kategorisch ab. | |
Zudem stehen zwei der sieben Meiler im westjapanischen Atomkomplex | |
Kashiwazaki-Kariwa offenbar auf geologisch aktiven Bruchstellen. Tepco hält | |
die unterirdischen Verwerfungen für inaktiv, aber die verschärften | |
Sicherheitsnormen könnten zu einer Neubewertung führen. Mehrere Meiler | |
anderer Betreiber, etwa in Tsuruga, werden möglicherweise aus demselben | |
Grund stillgelegt. | |
Wegen der gestiegenen Sicherheitskosten wird sich die Industrie auch den | |
Neubau von Reaktoren gut überlegen, zumal sich inzwischen eine attraktive | |
Alternative abzeichnet. Mit dem Import von Schiefergas aus Kanada ab dem | |
Frühjahr und aus den USA noch in diesem Jahr erschließt sich Japan eine | |
Energiequelle, die für die Versorger preiswerter und sicherer ist als | |
Atomkraft. | |
10 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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