# taz.de -- Fehlerhafte Medizinprodukte von PIP: Die Nebenklägerinnen von Mars… | |
> Medizinrechtler rät deutschen Frauen gegen Brustimplantate-Hersteller | |
> vorzugehen: Vor französischen Gerichten laufen ab April die | |
> Gerichtsprozesse. | |
Bild: Bei vielen Frauen lief das billige Industriesilikon aus und sorgte für B… | |
BERLIN taz | Im Skandal um mangelhafte Brustimplantate der französischen | |
Herstellerfirma Poly Implant Prothèse (PIP) wollen etwa zwei Dutzend | |
geschädigte Frauen aus Deutschland ihre Schadenersatzansprüche ab April vor | |
dem Strafgericht im südfranzösischen Marseille durchsetzen. „Den Frauen | |
sind nicht nur materielle Schäden durch den Kauf der minderwertigen | |
Silikonkissen, durch Krankenhausaufenthalte und durch Verdienstausfälle | |
entstanden“, sagte der Berliner Medizinrechtsanwalt Jörg Heynemann der taz. | |
„Es geht daneben um Schmerzensgeld, entgangene Lebensfreude, | |
posttraumatische und sexuelle Schäden.“ | |
Der Prozess gegen den Gründer sowie gegen ehemalige Mitarbeiter der Firma | |
PIP wegen des Straftatbestands der „schweren Täuschung“ – nach | |
französischem Recht verankert im dortigen Verbraucherschutzgesetz – beginnt | |
am 17. April vor dem Strafgericht Marseille. Leicht dürfte es für die | |
geschädigten Frauen dennoch nicht werden, Entschädigung zu bekommen: Die | |
Firma, genauer ihre Gesellschafter sind inzwischen insolvent; | |
Direktansprüche können folglich bestenfalls gegenüber dem | |
Haftpflichtversicherer, der Allianz France, geltend gemacht werden. Da PIP | |
jedoch bis zum Marktverbot 2010 in betrügerischer Absicht die | |
Brustimplantate mit industriellem Billigsilikon füllte statt mit | |
medizinischem Silikon, ist es fraglich, ob die Versicherung überhaupt für | |
Schäden haften muss. | |
Zahlreiche Implantate waren gerissen, das Silikon war in die Brüste | |
ausgelaufen und hatte Entzündungen hervorgerufen. Allein in Deutschland | |
geht das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als | |
Aufsichtsbehörde davon aus, dass rund 5.000 Frauen PIP-Brustimplantate | |
eingepflanzt wurden. In Frankreich hatte das Gesundheitsministerium Ende | |
2011 30.000 Frauen empfohlen, sich die Implantate vorsichtshalber wieder | |
entfernen zu lassen. Wie viele Frauen geschädigt sind, ist unklar, ein | |
entsprechendes Implantateregister, das eine Rückverfolgbarkeit ermöglichen | |
würde, existiert in der Europäischen Union nicht. | |
Der Rechtsanwalt Heynemann will den Frauen nun mit einem juristischen Kniff | |
zu ihrem Recht verhelfen: In Frankreich gibt es, anders als in Deutschland, | |
einen staatlichen, über Steuergeld finanzierten Garantiefonds, der | |
geschädigten Patientinnen unter bestimmten Voraussetzungen Entschädigungen | |
von 4.000 bis 30.000 Euro in Aussicht stellt. | |
## Schwere Täuschung | |
Zunächst, so Heynemann, sei es notwendig, dass die Firma PIP strafrechtlich | |
verurteilt wird – die Vorwürfe reichen von schwerer Täuschung über | |
Körperverletzung, Körperverletzung mit Todesfolge, Geldwäsche und | |
Veruntreuung von Gesellschaftsvermögen bis zu Bankrott und Hehlerei. | |
Anschließend hätten auch deutsche Frauen nach französischem Recht die | |
Möglichkeit, ihre Ansprüche im Rahmen eines sogenannten Adhäsionsverfahrens | |
zivilrechtlich geltend zu machen. Dazu, so Heynemann, müssten die Frauen | |
und ihre Krankenkassen als zivilrechtliche Nebenklägerinnen dem | |
Strafprozess in Marseille beitreten. | |
Die Höhe der Entschädigungen wiederum hänge vom Umfang des Schadens ab: | |
Seien die Frauen beispielsweise wegen der Brustentzündungen oder nach dem | |
Entfernen der mangelhaften Brusteinlagen länger als einen Monat | |
arbeitsunfähig gewesen, dann stünde ihnen eine „vollumfängliche“ | |
Entschädigung zu. Nach Schätzungen französischer Juristen dürfte diese bei | |
etwa 30.000 Euro liegen. Frauen, die weniger als einen Monat arbeitsunfähig | |
gewesen seien, könnten dagegen nur auf eine Entschädigungssumme von rund | |
4.000 Euro hoffen. Heynemann: „Auch wenn die Ansprüche bei vielen Frauen | |
auf eine relativ geringe Summe begrenzt sein dürften, stellt das Verfahren | |
in Frankreich eine echte Alternative zu Deutschland dar.“ | |
Vor dem Landgericht Frankenthal war vorige Woche eine PIP-geschädigte Frau | |
mit ihrer Klage gegen den TÜV Rheinland gescheitert. Sie hatte dem TÜV | |
vorgeworfen, PIP nicht ausreichend überwacht und kontrolliert zu haben, und | |
will nun mit ihrer Anwältin in Berufung gehen. Heynemann dagegen hält diese | |
Strategie für Unfug: Solange die Gesetzeslage zur Zulassung und Überwachung | |
von Medizinprodukten „so unzureichend ist, wie sie derzeit ist“, so der | |
Anwalt, gebe es für Überwachungsstellen wie den TÜV Rheinland „ohne | |
konkreten Anlass überhaupt keine gesetzliche Verpflichtung, unangemeldete | |
Kontrollen durchzuführen“. Folglich könne der TÜV auch nicht haftbar | |
gemacht werden. Heynemann: „Vor diesem Hintergrund halte ich es für | |
bedenklich, Patientinnen in von vornherein wenig aussichtsreiche Prozesse | |
zu führen.“ Die Aussichten auf Entschädigung, so der Anwalt, seien in | |
Frankreich realistischer. | |
25 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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