# taz.de -- EU-Verordnung zu Medizinprodukten: Ein bisschen mehr Transparenz | |
> Hüftprothesen und Brustimplantate sollen künftig besser kontrolliert | |
> werden, sagt die EU. Doch die neue Verordnung bleibt hinter den | |
> Erwartungen zurück. | |
Bild: Enttäuschende Richtlinie: Die neuen Regel für Knie- und Hüftimplantate… | |
BERLIN taz | Als sich zu Jahresanfang die Meldungen häuften über schadhafte | |
Hüftprothesen, Kniegelenke und Brustimplantate, da lagen große Hoffnungen | |
auf dem EU-Gesundheitskommissar John Dalli. Denn Dalli kündigte als | |
Konsequenz aus den Skandalen an, die EU-Richtlinien für dauerhaft im Körper | |
verbleibende Medizinprodukte zu reformieren. | |
Für Mittwoch nun wird Dallis Entwurf für eine neue Verordnung erwartet. Das | |
fast 200 Seiten starke Papier lag der taz vorab vor und ist für Verbraucher | |
enttäuschend, die sich einen wirksameren Schutz und bessere | |
Herstellerhaftung gewünscht hatten. | |
„Für Hochrisikomedizinprodukte wird es weiterhin keine belastbaren Studien | |
geben und keine staatliche Zulassung, wie bei Arzneimitteln üblich“, | |
kritisiert etwa Uwe Deh, Geschäftsführender Vorstand des | |
AOK-Bundesverbandes. Stattdessen will Dalli als Marktzugang an dem | |
umstrittenen CE-Siegel festhalten. | |
Das belegt lediglich die technische Funktionstauglichkeit, nicht aber die | |
Wirksamkeit und den Nutzen für Patienten. Entsprechende kontrollierte | |
klinische Studien sind nicht vorgeschrieben. | |
## Hersteller können sich Prüfer selbst aussuchen | |
Stattdessen soll das CE-Siegel wie bisher von EU-weit 80 | |
privatwirtschaftlichen, sogenannten „Benannten Stellen“ verliehen werden, | |
etwa dem TÜV oder der Dekra. Diese wiederum werden für ihre Prüfung von den | |
Herstellern bezahlt. Das Problem: Ist die eine Stelle in den Augen des | |
Herstellers zu streng, dann sucht er sich eben eine andere. | |
Das immerhin will Dalli nun unterbinden: Die Aufsichtsbehörden, die die | |
Benannten Stellen überwachen, sollen höheren Anforderungen genügen und | |
vernetzt arbeiten. Allerdings erhalten sie hierzu keine besseren | |
Durchgriffsrechte: Die Durchführung der Zertifizierungen etwa dürfen sie | |
nicht überprüfen. | |
Daneben gibt es künftig eine Verpflichtung zu unangemeldeten Kontrollen und | |
Stichproben der Produkte durch die Aufsichtsbehörden, und zwar auch nach | |
Marktzugang, also etwa in den Krankenhäusern, wo die künstlichen Gelenke | |
eingesetzt werden. Bislang war dies eine Kann-Bestimmung. | |
Neu ist auch, dass die Benannten Stellen, bevor sie über das CE-Siegel | |
entscheiden, ein Expertenkomitee einberufen sollen. Dieses hat dann das | |
Recht, binnen 90 Tagen eine Stellungnahme abzugeben. Allein: Befolgen muss | |
die Stelle den Rat des Expertenkomitees nicht. | |
## Potenzielle Zensur klinischer Studien | |
Geringfügige Verbesserungen gibt es im Bereich der Transparenz. So wird | |
eine einheitliche Medizinproduktnummer eingeführt, die unique device | |
identification, kurz UDI. Damit soll endlich eine eindeutige Zuordnung der | |
Medizinprodukte, auch Jahre später, möglich sein. Ein EU-weites | |
Implantate-Register zur Rückverfolgbarkeit dagegen will die EU lediglich | |
unterstützen. | |
Außerdem wird es für Implantate künftig erstmals eine öffentlich | |
zugängliche Zusammenfassung ihrer Sicherheit und Leistungsfähigkeit geben, | |
in der auch die Hauptergebnisse klinischer Studien – so vorhanden – genannt | |
werden. Das Problem: Diese Zusammenfassung muss durch die Benannte Stelle | |
freigegeben werden, unterliegt also potenziell der Zensur. Auch existiert | |
keine Pflicht, die kompletten Studien zu veröffentlichen. | |
Die europäische elektronische Datenbank wird ausgebaut und soll künftig die | |
Ergebnisse klinischer Studien enthalten sowie ausgewählte Fehler- und | |
Sicherheitsmeldungen. Auch dieser Fortschritt bleibt hinter dem Standard | |
anderer Länder zurück, etwa den USA, wo alle Fehlermeldungen öffentlich | |
zugänglich sind. Die EU-Kommission dagegen behält sich vor, darüber zu | |
entscheiden, welche Daten sie freigibt und lässt wenig Zweifel daran, dass | |
Geschäftsgeheimnisse jedenfalls höheren Schutz genießen dürften als | |
Informationen über Produktfehler. | |
Ärzte und Patienten werden aufgefordert, Fehler zu melden. Allerdings ist | |
dies weder eine Pflicht noch mit Strafen bewährt und hat genau deswegen | |
bislang auch schon nicht funktioniert. | |
Eine Stärkung der Rechte geschädigter Patienten findet sich in der | |
Verordnung nirgends. Weder müssen sich Hersteller künftig gegen | |
Produktschäden haftpflichtversichern, wie dies im Automobilbereich üblich | |
ist. Noch ist die Rede davon, dass es bei etwaigen Schäden Sache des | |
Herstellers wäre, nachzuweisen, dass der Fehler nicht bei ihm liegt. Diese | |
Beweislast tragen weiterhin die Patienten. | |
25 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
## TAGS | |
Brustimplantate | |
Zulassung | |
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