| # taz.de -- Bessere Prüfung von Implantaten: Die Abreibung in der Hüfte | |
| > Ungenügend geprüfte Prothesen schaden häufig mehr als sie nutzen. | |
| > Experten fordern nun ähnlich strenge Zulassungsverfahren wie für | |
| > Arzneimittel. | |
| Bild: Gesunde Hüfte ohne Ionen-Abrieb. | |
| BERLIN taz | Noch ist unklar, wie vielen Menschen mit künstlicher Hüfte in | |
| Deutschland aufgrund des Metallabriebs im Körper langfristig Schäden an | |
| Niere, Leber und Milz drohen – oder gar Krebs. Als erste Konsequenz aus dem | |
| jüngsten Skandal um gesundheitsschädliche Medizinprodukte hat das | |
| Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als | |
| Aufsichtsbehörde jetzt empfohlen, eine EU-weite Kommission einzusetzen. Die | |
| interdisziplinäre Expertengruppe soll die Vorfälle aufklären und Risiken | |
| bewerten. Das bestätigte ein Sprecher des BfArM der taz. | |
| Wissenschaftler der britischen Fachzeitschrift Lancet hatten vorige Woche | |
| besorgniserregende Ergebnisse einer Langzeitstudie über Hüftimplantate | |
| veröffentlicht: Prothesen aus Metall waren demnach wegen des Ionenabriebs | |
| im Körper nicht nur gesundheitsschädlich, es musste auch weitaus öfter | |
| nachoperiert werden als bei Hüften aus Keramik oder Polyethylen. Die | |
| Wissenschaftler forderten daraufhin das generelle Verbot sogenannter | |
| Metall-auf-Metall-Hüften. Für sämtliche Implantate, die dauerhaft im Körper | |
| verbleiben, verlangten sie ein ähnlich strenges Zulassungsverfahren wie für | |
| Arzneimittel. | |
| Nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und | |
| Orthopädische Chirurgie (DGOOC) lassen sich in Deutschland etwa 200.000 | |
| Menschen pro Jahr eine künstliche Hüfte einbauen. 10 bis 15 Prozent dieser | |
| Patienten, sagt der Generalsekretär der DGOOC, Fritz Uwe Niethard, hätten | |
| eine Metall-auf-Metall-Hüfte. | |
| Über die bereits eingetretenen oder sich abzeichnenden Schädigungen könne | |
| jedoch nur spekuliert werden – weil es, wie stets bei Medizinprodukten, an | |
| statistischen Daten fehlt. „Wir brauchen endlich eine wissenschaftliche | |
| Bewertung, wir brauchen mehr Langzeitstudien und vor allem ein | |
| Implantateregister, um Schadensfälle rückverfolgen zu können“, fordert | |
| Niethard, der am Universitätsklinikum Aachen Professor für Orthopädie ist. | |
| ## Belegen, dass sie technisch funktionieren | |
| Unterdessen steigt der Druck, den betroffene Patienten, Wissenschaftler und | |
| medizinische Fachgesellschaften auf die Politik ausüben. Sie soll endlich | |
| dafür sorgen, dass künftig in der EU nur noch solche Implantate auf den | |
| Markt gelangen, für die zuvor – wie für Arzneimittel auch – die | |
| therapeutische Wirksamkeit für Patienten nachgewiesen werden konnte. | |
| Bislang müssen die Medizinprodukte nur belegen, dass sie | |
| technisch-physikalisch funktionieren, dass sie also etwa nicht rosten. | |
| „Hier wird mit zweierlei Maß gemessen“, kritisiert Jürgen Windeler, | |
| Deutschlands oberster Medizinprüfer, der in Köln das Institut für Qualität | |
| und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen leitet. Die Ungleichbehandlung | |
| von Arzneimitteln und Medizinprodukten beim Marktzugang hält Windeler für | |
| anachronistisch. Mit dieser Einschätzung steht er nicht allein da. | |
| Immer mehr wissenschaftliche Studien belegen: Gesundheitsgefahren gehen | |
| nicht nur von den bereits in Verruf geratenen Brustimplantaten, Stents im | |
| Gehirn und Hüftgelenken aus, sondern auch von kathetergestützten | |
| Herzklappen oder von Metallröhrchen, die die Herzkranzgefäße erweitern | |
| sollen, sowie von vaginalen Netzen gegen Inkontinenz. Sei es, weil schlicht | |
| nicht getestet wurde, ob der menschliche Organismus den Einbau dieser | |
| Produkte verträgt, sei es, weil diese Produkte an sich Mängel aufweisen. | |
| Die taz gibt einen Überblick. | |
| 19 Mar 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Haarhoff | |
| ## TAGS | |
| PIP | |
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