# taz.de -- Ungeprüfte Implantate: Eingebaute Todesgefahr | |
> Studien belegen, dass Implantate wie Stents in Herzkranzgefäßen, | |
> Herzklappen oder vaginale Netze oft ungeprüft eingesetzt werden. In | |
> einigen Fällen steigern sie die Todesrate. | |
Bild: Doch nichts für den allgemeinen Einsatz: Ein zurückgezogenes Herz-Stent… | |
Blutungen und Infektionen | |
Ungewollter Urinverlust, Druckgefühl im Unterbauch, Rückenschmerzen: | |
Frauen, die - etwa nach mehreren Schwangerschaften - unter extremer | |
Bindegewebsschwäche im Bereich des Beckenbodens leiden, werden häufig | |
operiert. Dies soll stärkere Senkungen verhindern. | |
Bei der Standardmethode wird das Gewebe gerafft. Möglich ist es aber auch, | |
gegen die Inkontinenz synthetische Netze einzunähen. Über Jahre wurden | |
diese „transvaginalen Netzeinlagen“ als die schonendere Variante gepriesen. | |
2008 aber warnte die US-Aufsichtsbehörde FDA (U.S. Food and Drug | |
Administration): In mehr als 1.000 Fällen habe es Komplikationen gegeben. | |
Im Juli 2011 waren 2.874 weitere Meldungen über Probleme mit den Netzen | |
eingegangen. | |
Die Medizinprüfer gaben eine Studie in Auftrag. Das Ergebnis: Die | |
transvaginale Einlage der Netze führte weder zu einer besseren Kontrolle | |
der Symptome, noch steigerte sie die Lebensqualität der Patientinnen. Im | |
Gegenteil: Die Kunststoffnetze schadeten den Frauen, weil sie im Körper | |
erodierten, sprich: kaputtgingen. Häufig durchstießen sie anschließend die | |
vaginale Schleimhaut. Das führte zu Blutungen, Infektionen oder gar zur | |
Organperforation. Einige Frauen hatten zudem Probleme mit der | |
Harnentleerung. Bei anderen zogen sich die Netze zusammen, was zu | |
Vaginaverengungen führen konnte. | |
Im Dezember 2011 reagierte die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und | |
Geburtshilfe (DGGG): „Die FDA warnt davor, synthetische Netze unkritisch | |
einzusetzen, und dieser Einschätzung schließen wir uns an.“ Ungeachtet | |
dessen werden vaginale Netze bis heute in Kliniken in Deutschland angeboten | |
und von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt. | |
Deutlich höhere Sterberate | |
Menschen, die an einer Verengung der Aortenklappe, also einer der vier | |
Herzklappen, erkrankt sind, können zwischen zwei Operationsmethoden wählen. | |
Beim herkömmlichen Eingriff wird eine biologische oder mechanische | |
Ersatzklappe eingesetzt. Daneben gibt es die kathetergestützte | |
Aortenklappenimplantation. Bei diesem relativ neuen Verfahren wird die | |
Herzklappenprothese unter Zuhilfenahme eines Katheters eingesetzt. Nach | |
Angaben des Verbands der Ersatzkassen (vdek) wird diese Methode in | |
Deutschland mittlerweile jährlich 5.000-mal angewandt, häufiger als in | |
jedem anderen Land. Im Jahr 2006 hatten nur zwei Krankenhäuser | |
kathetergestützte Aortenklappenimplantationen durchgeführt, 2010 waren es | |
schon mehr als 80. | |
Dabei warnt die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie | |
(DGTHG), dass die Sterblichkeitsrate nach Einsetzen der kathetergestützten | |
Klappen „deutlich höher“ sei als bei der herkömmlichen Methode. Zudem | |
fehlten bisher „wissenschaftliche Kenntnisse zu Langzeitauswirkungen des | |
Verfahrens und der Haltbarkeit der neuen Klappenprothesen“. Die Hersteller | |
hätten bisher nur eine Haltbarkeitsgarantie von fünf Jahren gegeben. | |
Die DGTHG als medizinische Fachgesellschaft empfiehlt deswegen, die | |
kathetergestützten Aortenklappen nur bei Patienten einzusetzen, die älter | |
als 75 Jahre sind und bei denen andere Operationsmethoden nicht zum Erfolg | |
geführt hätten. Die Praxis in den Kliniken freilich sieht anders aus: Immer | |
wieder, beklagt der Präsident der DGTHG, Friedrich Wilhelm Mohr, werde die | |
riskante Methode auch bei jüngeren Patienten angewandt. Mohr: „Nahezu 25 | |
Prozent der kathetergestützten Aortenklappenimplantationen werden in | |
Kliniken durchgeführt, in denen gar keine herzchirurgische Abteilung | |
vorhanden ist.“ | |
Doppelte Herzinfarktrate | |
Auch für verengte Herzkranzgefäße existieren zwei mögliche | |
Operationsverfahren: die „koronare Bypassoperation“, bei der das verengte | |
Gefäß operativ mit einer neuen Gefäßbrücke versorgt wird, sowie die | |
Stent-Implantation. Hierbei wird das Gefäß mit einem Metallröhrchen (Stent) | |
aufgeweitet. 2010 wurde die Stent-Implantation in Deutschland 325.872-mal | |
durchgeführt. Das war eine Zuwachsrate von 5 Prozent gegenüber 2009. Die | |
Bypassoperation dagegen wurde 2010 bei 55.993 Patienten durchgeführt. | |
Dabei ist die Stentimplantation nur vermeintlich schonender. Das belegen | |
Vierjahresergebnisse der weltweit größten vergleichenden Studie „Synergy | |
between PCI with Taxus and Cardiac Surgery“. Im Oktober 2011 wurde die | |
Studie an 1.800 Patienten unter Leitung des niederländischen Kardiologen | |
Patrick Serruys in Lissabon vorgestellt. Danach ist die koronare | |
Bypassoperation den medikamentenbeschichteten Stents deutlich überlegen: | |
Während vier Jahre nach der Operation mehr als 91 Prozent der | |
Bypasspatienten lebten, waren in diesem Zeitpunkt fast 12 Prozent der mit | |
einem Stent behandelten Patienten verstorben. Nach Stent-Implantationen | |
waren zudem mehr als doppelt so oft erneute Eingriffe notwendig wie nach | |
einer Bypassoperation (23,9 Prozent gegenüber 11,0 Prozent). Auch die Rate | |
der Herzinfarkte war nach einer Stent-Implantation mit 8,3 Prozent deutlich | |
höher als nach einer Bypassoperation (3,8 Prozent). | |
Ähnlich vernichtend fiel unlängst die Beurteilung sogenannter | |
Wingspan-Stents zur Gefäßerweiterung im Gehirn aus: Die Zahl der | |
Schlaganfälle, die durch die Gefäßprothesen eigentlich verhindert werden | |
sollten, stieg nach dem Einbau der Implantate, wie eine im New England | |
Journal of Medicine (NEJM) von September 2011 veröffentlichte Studie ergab. | |
19 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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