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# taz.de -- Atomkraftkritik von Joachim Radkau: Würdiger Abgesang auf die Atom…
> Joachim Radkau prophezeit den Niedergang der Atomkraft mit skurrilen
> Fakten. Dabei wird die wissenschaftliche Nüchternheit nicht außer Acht
> gelassen.
Bild: Wenn auch unterschiedlich, sagen alle Texte der Atomkraft ab
Spannend wird es immer, wenn Menschen verschiedene Interessen und
Fähigkeiten mitbringen, die in dieser Kombination selten sind. Joachim
Radkau ist so jemand. Er ist Historiker, aber eben nicht nur das; er hat
sich zugleich auch beachtliches Wissen in der Atomtechnik erworben.
Und so gelingt ihm zusammen mit Co-Autor Lothar Hahn eine beachtliche
Stoffsammlung. Die Autoren zeichnen detailgetreu nach, wie die Entscheidung
für die Atomkraft damals eine politische war, während die Stromkonzerne –
allen voran das RWE – erst mühevoll davon überzeugt werden mussten.
Ausgiebig gehen sie auch auf die Verquickung von ziviler und militärischer
Atomkraft ein, während auch der Physiker Heisenberg um 1952 den
Energieaspekt noch als „einstweilen unbedeutend“ bezeichnete – er dachte …
erster Stelle an die Kernchemie.
Bizarre Visionen erwarten den Leser: Da stellt im Jahr 1955 ein
amerikanischer Heizkörperproduzent den Einsatz von „Baby-Reaktoren“ zur
Beheizung von Wohnhäusern in Aussicht. Andere denken darüber nach,
Kernexplosionen zur Erschließung von Bodenschätzen und zur Beseitigung von
Gebirgsbarrieren einzusetzen. Auch die atomare Beheizung der Antarktis ist
nicht zu absurd für die Debatte, während ein sowjetischer Atomphysiker
vorschlägt, den Atommüll kurzerhand mit Raketen in den Weltraum zu
befördern.
Derweil die Zeitschrift Atomwirtschaft allen Ernstes davon ausgeht, dass
bei einem Nuklearunfall die Stadtbevölkerung dann am meisten geschützt sei,
wenn das Kraftwerk im Zentrum der Stadt liege. Und zwar einfach, weil „die
radioaktive Abluftwolke dann erst außerhalb der Stadt den Erdboden
erreicht.“ Da können die Autoren sich einen Kommentar doch nicht
verkneifen: „Eine seltsame Logik!“
## Definitiv am Ende
Über weite Strecken des Buches jedoch pflegen sie die wissenschaftliche
Nüchternheit. Eine Meinung zur Atomkraft haben sie gleichwohl, und die
wichtigste Botschaft kommt schon im Titel zum Tragen: "Aufstieg und Fall
der deutschen Atomwirtschaft. Anfang der 1980er Jahre hatte Radkau seine
Habilitation zum Thema „Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft“
geschrieben – in der Wandlung des Titels liegt nun die Grundaussage: Die
Atomkraft in Deutschland ist definitiv am Ende.
Dieses Ende sei nicht alleine ausgelöst worden durch die
Anti-Atom-Bewegung, „die bislang größte und wirkungsvollste Massenbewegung
der bundesdeutschen Geschichte“. Der Ausstieg habe sich „sehr lange
angekündigt“ nicht zuletzt befördert durch die „leichtfertige und
überhebliche Attitüde“ der Branche – etwa indem ein Gutachten in den
sechziger Jahren beruhigt, es bestehe für das stillgelegte Salzbergwerk
Asse „unter normalen Verhältnissen keinerlei Gefahr des Ersaufens.“
Den anschließenden Niedergang der Nuklearenergie kann dann auch der Wandel
der Sprache nicht stoppen, als Atomenergie zur Kernenergie wird, Atommüll
zu Kernabfall. Dass zugleich Milliarden von Steuergeldern in der
Atomtechnik versickern, beschädigt sie weiter: „Der Atomkomplex war eine
Vorhut jener Kräfte, die in die wachsende Staatsverschuldung führten.“
So ist das Buch eine unschätzbare Faktensammlung - nur leider muss man sich
streckenweise durchbeißen und bereit sein, sich zum Beispiel in die
spezifischen Eigenschaften von Schwer- und Leichtwasserreaktoren
hineinzudenken. Denn die Reaktortypen nehmen viel Raum ein; die langatmigen
Entscheidungsprozesse - auch zur Frage, welcher Typ von atomarem Brüter
denn nun der bessere sei - sind leider oft ebenso langatmig beschrieben.
## Großes Manko Lückenhaftigkeit
Bedauerlich ist das auch, weil die Fixiertheit auf die Reaktortechnik
andere Aspekte an den Rand drängt. Der Uranabbau etwa kommt kaum vor - der
Name Wismut, der für den größten Uranbergbau Europas steht, taucht im
ganzen Buch nur ein einziges Mal auf. Auch manche politische Entwicklung
wird allzu kurz abgehandelt, etwa die spektakuläre Abschaltung der
DDR-Reaktoren nach der Wende oder der Widerstand gegen die
Wiederaufarbeitung in Wackersdorf. Und mancher führende Kopf der
AKW-Gegnerschaft kommt überhaupt nicht erst vor.
Doch trotz solcher Defizite ist das Buch ein würdiger Abgesang auf eine
umstrittene Technik.
## Joachim Radkau, Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen
Atomwirtschaft. Oekom München, 2013, 413 Seiten, 24,95 Euro.
13 Apr 2013
## AUTOREN
Bernward Janzing
Bernward Janzing
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Schwerpunkt Atomkraft
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