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# taz.de -- Gescheitertes Atomprojekt Wackersdorf: „Wir sind die Gewinner“
> Bettina Bihler, Kreisvorsitzende der Jungen Union, über zerrissene
> Familien, vermüllte Straßen und Windräder in Wackersdorf.
Bild: In Wackersdorf sollte radioaktiver Müll recycelt werden
taz: Frau Bihler, bei Baubeginn der WAA in Wackersdorf 1985 waren Sie drei
Jahre alt. Was haben Sie damals mitbekommen?
Bettina Bihler: Wir sind ständig am Campinggelände der Demonstranten
vorbeigefahren, weil meine Oma im benachbarten Kemnath lebte und wir sie
fast täglich besucht haben. Ich erinnere mich noch gut an die Zeltstädte
und die vielen Autos. Es gab überall Lagerfeuer, es war immer schwer was
los.
Für Sie als Kind war‘s eher lustig?
Ich konnte die Hintergründe nicht richtig einschätzen, ich wusste einfach
nicht, worum es überhaupt ging. Am Ende der WAA-Zeit war ich erst sieben.
Was haben die Eltern erzählt?
Sie haben berichtet, was gerade mal wieder passiert ist. Aber meine Eltern
blieben zurückhaltend, sie haben sich in diesem Konflikt weder ins eine
noch ins andere Lager geschlagen. Sie hatten sich damals mit einem Autohaus
in die Selbstständigkeit gewagt und hatten viel zu tun.
Erinnern Sie sich noch an die Stimmung im Ort: Familien waren zerrissen,
dazu ständige Demonstrationen und „Chaoten“ aus der ganzen Republik?
Obwohl ich noch sehr jung war und wenige präzise Erinnerungen habe, weiß
ich noch, dass es chaotisch zuging im Ort, alles war vermüllt. Natürlich
habe ich mitbekommen, dass viele Ehen wegen der WAA in die Brüche gingen
und dass Familien zerstritten waren. Es gab aber auch eine extreme
Arbeitslosigkeit, weil der Braunkohle-Bergbau stillgelegt wurde, eine
schwierige Zeit. Viele Wackersdorfer hofften auf neue Arbeitsplätze durch
die WAA.
Ministerpräsident Strauß hatte 3.000 Jobs versprochen.
Heute haben wir sogar über 5.000 Arbeitsplätze bekommen durch die
Ausgleichsmaßnahmen, die von den Befürwortern nach dem Aus der WAA vehement
eingefordert wurden. Für die Industrie wurden günstige Ansiedlungsflächen
bereitgestellt, das hat viel bewegt.
Wackersdorf wird für immer mit dem Atomprojekt verbunden bleiben. Stört Sie
das?
Das ist schade, weil Wackersdorf ein toller Ort für Touristen ist. Es gibt
viele Seen in unserer Region, das ist ein schöner Flecken Erde. Auch unsere
Bergbau-Vergangenheit wäre eigentlich ein Thema. Aber in Deutschland sind
wir nur der ewige WAA-Standort.
Wie wird heute über die WAA geredet, stimmt es, dass das Thema weitgehend
tabu ist?
In unserem Museum ist die WAA-Vergangenheit durchaus präsent. Es gibt
Bücher, Filme, Dokumentationen. Und der Landkreis hat eine große
Gedenktafel aufgestellt. Aber nach 30 Jahren haben die Leute das Thema
einfach satt. Sie wollen nach vorn schauen und über erfreuliche Dinge reden
und nicht immer über Streit, Kampf und Ärger. Es gab ja auch Todesfälle,
deshalb sind das wirklich nicht die schönsten Erinnerungen.
Was steht denn auf der Gedenktafel?
Das ist eine Art Chronik, die wichtigsten Ereignisse sind dokumentiert.
Sehr ausführlich. Die Tafel ist etwa drei mal vier Meter groß.
Eine Wiederaufarbeitungsanlage mitten in Bayern? Das ist eine Atomfabrik,
die das radioaktive Inventar von mehreren tausend Hiroshima-Bomben
beherbergt hätte. Wie fühlt sich das an in Zeiten des Atomausstiegs und der
Energiewende?
Heute sind wir die Boom-Gemeinde im Landkreis. Wir sind, im Nachhinein
betrachtet, der Gewinner dieses Konflikts. Unser Ort hat sich hervorragend
gemacht, die Entwicklung war für Wackersdorf sehr, sehr gut.
Und was steht jetzt auf dem Gelände des stillen Kiefernwäldchens, wo die
WAA hin sollte?
Dort steht ein großes BMW-Werk und es haben sich Zulieferer der
Autoindustrie angesiedelt, dazu einige Mittelständler. Für die WAA war der
Wald ja komplett gerodet und der Untergrund befestigt worden.
Nachdem das Thema WAA erledigt ist: Sind Sie jetzt ein wenig stolz, dass
letztlich die Unionskanzlerin Merkel nach Fukushima den Atomausstieg
durchgesetzt hat?
Als Wackersdorf zum Standort wurde, hat im Bund die SPD regiert. Auch die
SPD hat den Atomkurs damals vorangetrieben. Heute sind wir ein Stück
weiter, haben neue Erkenntnisse und Erfahrungen gesammelt. Ich finde die
Energiepolitik Richtung Erneuerbare gut, gerade die dezentrale Ausrichtung
mit verschiedenen Energieträgern. Bei uns stehen jetzt die ersten
Windräder, dazu Biogasanlagen und Solardächer, das gefällt mir. Natürlich
bin ich stolz auf die Vorreiterrolle Deutschlands und dass Frau Merkel
diesen Kurs durchgesetzt hat.
13 Jan 2016
## AUTOREN
Manfred Kriener
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