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# taz.de -- Vergnügungspark um schnellen Brüter: Wenigstens wird man nicht ve…
> Anders als in Fukushima ging der schnelle Brüter in Kalkar nie ans Netz.
> Stattdessen wurde er zum „Wunderland Kalkar", einem Vergnügungspark mit
> Karussell.
Bild: Karussell im Kühlturm.
KALKAR taz | An den Widerstand gegen Deutschlands gefährlichstes
Atomkraftwerk erinnert nur eine verblasste Wandzeichnung. „Wir wollen
leben“ ist an einer Scheune in Hönnepel, einem knapp 1.000 Einwohner
zählenden Ortsteil von Kalkar, noch zu entziffern, dazu Sonnenblumen als
Symbol des Anti-Atom-Protests.
Dabei war der Niederrhein, dieser in die Niederlande hineinragende letzte
Zipfel Westdeutschlands zwischen Kleve, Emmerich und Wesel, in den wilden
siebziger Jahren ein Zentrum der Anti-AKW-Bewegung. Mitten in die Idylle
aus Rheindeichen und Wiesen ließen Politik und Atomindustrie seit 1971 ein
betoniertes Monstrum stampfen, dessen Technik sämtliche Energiesorgen der
Republik lösen sollte: den Schnellen Brüter.
„Genug Energie für mehrere hunderttausend, wenn nicht Millionen Jahre“
liefere die Brutreaktortechnologie, versprachen Atomwissenschaftler wie der
Physiker Wolf Häfele: Der Brüter sollte seinen eigenen Brennstoff
herstellen. Durch Beschuss von Uran mit schnellen Neutronen werde das
Kraftwerk bis zu 30 Prozent mehr Plutonium-239 „erbrüten“, als es selbst
verbrauche. Der Brutreaktor sei die Lösung aller Energiefragen, hatte Franz
Josef Strauß als Atomminister schon 1956 halluziniert.
Ausgeblendet wurde dabei die Sicherheit. Plutonium ist nicht nur
hochradioaktiv, sondern auch hochgiftig – bereits wenige Milligramm wirken
tödlich. Trotzdem stützte auch die SPD den Aufbau einer ganzen
Plutoniumindustrie – Wiederaufbereitungsanlage im bayerischen Wackersdorf
und ständige Castor-Transporte inklusive.
## Vom „Höllenfeuer“ zum „Kernwasserwunderland“
Die Anti-AKW-Bewegung konnte in Kalkar einen ihrer größten Erfolge feiern:
Mitte der Achtziger überkamen Sozialdemokraten wie Nordrhein-Westfalens
Ministerpräsident Johannes Rau und SPD-Landtagsfraktionschef Friedhelm
Farthmann doch Skrupel. Das „Höllenfeuer“ von Kalkar dürfe nicht entfacht
werden, befanden sie. Es kam zum Aus für Kalkar, mindestens sieben
Milliarden Mark Steuergeld aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden
hatte der Brüter verschlungen.
Im Jahr 1991 kaufte der niederländische Schrotthändler Hendrikus van der
Most für wenige Millionen Euro die Ruine – und verwandelte das
betriebsbereite AKW in einen Vergnügungspark. Bis 2005 firmierte das Ding
ernsthaft als „Kernwasserwunderland“.
Immerhin: Gesundheitsschädlich ist ein Besuch nicht. Da der Reaktor nie mit
Brennstäben beladen wurde, ist das gesamte Areal frei von Radioaktivität.
Mittlerweile bewirbt „Hennie“ seine Erwerbung als „Wunderland Kalkar“. …
50 Millionen Euro will der Selfmademan investiert haben.
Entstanden ist damit eine nach Maskottchen „Kernie“ benannte
Karussell-Sammlung für Kinder bis zu zwölf Jahren. In „Kernies
Familienpark“ warten knapp 30 „Attraktionen“ wie Wildwasser-, Kart- und
Achterbahn, Hüpfkissen und Schiffschaukel auf die junge Zielgruppe und ihre
Eltern – für bis zu 24,50 Euro pro Nase. Der Kühlturm ist mittlerweile bunt
angemalt und dient als Kletterwand. Hauptattraktion ist das darin
aufgestellte Großkettenkarussell: Das überragt mit seinen 58 Metern Höhe
den Kühlturmrand. Geöffnet ist „Kernies“ Park von April bis Oktober.
## Wirklich gut sind nur die Pommes
Van der Most setzt auf das All-inclusive-Prinzip – auf schlechtem
Mensaniveau kann in der ehemaligen Kraftwerkskantine jeder so viel essen,
wie er will. Es gibt zerkochtes Gemüse mit ganz viel Speck, dazu zähe
Fleischlappen. Wirklich gut sind nur die Pommes. Wichtiger sind sowieso die
Getränke: Wer ein Hotelzimmer dazubucht, kann sich sorgenfrei zulaufen
lassen – Alkohol gibt es von zwölf Uhr mittags bis zwei Uhr nachts.
„Scheißegal, scheißegal, scheißegal“, singen die Gäste deshalb schon am
Nachmittag in „Kernies Kneipenstraße“. Die liegt im Keller, wo früher die
Elektrokabel des Reaktors untergebracht waren. Es müffelt nach kaltem
Rauch, der Boden klebt. In einer Ecke steht eine angeheiterte Herrengruppe
und himmelt eine einsame Mitvierzigerin an, die ihnen von der Theke
gegenüber frustriert entgegenblickt. Ein paar Niederländer bowlen. „Hier
geht es nur um’s Party machen“, erzählt ein Kellner achselzuckend.
So direkt würde Jürgen das nie sagen. Der freundliche Mann mit den
graumelierten Haaren, der seinen Nachnamen nicht verrät, wartet auf
Teilnehmer der von ihm betreuten Infotour. Treffpunkt ist die „ägyptische
Halle“. Die Feuerwehreinfahrt nahe dem einstigen Reaktorkern erinnert an
Kulissen der „Indiana Jones“-Filme: Billige Sarkophagkopien lehnen an den
erdfarbenen Wänden.
Vor einer messingglänzenden meterhohen alten Dampfmaschine stehen
überdimensionierte thronartige Sessel. „Der Chef macht gern Urlaub in
Ägypten“, sagt Jürgen fast entschuldigend. Mit viel Zeit führt der
Endfünfziger dann über das Gelände, lobt die rund 500 Jobs, die van der
Most in Kalkar geschaffen habe – auch wenn die meisten nur als Aushilfe
beschäftigt sei.
Doch Jürgen kann nicht mehr zeigen, was nicht mehr da ist. Bis vor wenigen
Jahren seien seine Touren durch das Innere des Reaktors „eine
Hauptattraktion“ gewesen, sagt er bedauernd. Heute sind die allergrößten
Teile des AKW ein nicht zu betretender Schauplatz der Zerstörung: Als die
Schrottpreise in ungekannte Höhen kletterten, ließ Schrotthändler van der
Most das Metall aus dem Kraftwerk reißen. „War alles feinster Edelstahl“,
sagt Jürgen – „aus Sicherheitsgründen teilweise dreifach verbaut“.
Im angrenzenden „Brüter-Museum“ des Familienparks folgt die letzte
Enttäuschung. Die Atomkraft wird dort noch heute kindgerecht beworben.
Schlecht gemachte Schaubilder erwähnen die Reaktorkatastrophe von
Tschernobyl nur kurz, Fukushima überhaupt nicht. Ob er sich auch wünsche,
dass der Schnelle Brüter in Betrieb gegangen wäre, wird Jürgen gefragt.
„Nein“, sagt er. „Ich komme hier aus der Gegend. Ich war froh, als es
endlich vorbei war.“
11 Mar 2012
## AUTOREN
Andreas Wyputta
## TAGS
Anti-AKW-Proteste
Strand
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