# taz.de -- Netzpolitik im Bundestag: Auch Bauern brauchen Facebook | |
> Eine Enquete-Kommission des Bundestages hat das Leben im Netz drei Jahre | |
> lang diskutiert. Agrarpolitiker wissen nun, dass es Netzpolitik gibt. | |
Bild: Auch das gehörte zu drei Jahren Netzpolitik: Protest gegen Internetsperr… | |
BERLIN taz | Jeder Mobiltelefonbesitzer nutzt digitale Netze. Ampeln, Strom | |
und Autos würden ohne digitale Technik oft nicht mehr funktionieren. Die | |
meisten jüngeren Bundesbürger nutzen Google, YouTube und Facebook | |
selbstverständlich. | |
Doch: Was bedeutet die digitale Vernetzung für die Gesellschaft – und damit | |
auch für die politischen Akteure? Der Bundestag wollte es wissen und hat | |
2010 die Enquete-Kommission [1][„Internet und digitale Gesellschaft“] | |
eingesetzt, die sich auf die Suche nach Antworten begeben sollte. Sie ist | |
vorangekommen – doch vom Ziel noch weit weg. Am Donnerstag hat sie ihren | |
Bericht vorgelegt. | |
„Wir haben eine positive Basis hergestellt, auf der wir nun tagespolitisch | |
diskutieren und Entscheidungen treffen können“, sagt Jimmy Schulz. Der | |
bayrische FDP-Abgeordnete ist einer von 17 Mitgliedern des Bundestages, die | |
gemeinsam mit 17 Sachverständigen aus Wirtschaft, Wissenschaft und | |
Zivilgesellschaft drei Jahre lang versucht haben, die politischen | |
Herausforderungen der Digitalisierung zu erforschen. | |
Die Abgeordneten haben das Thema in zwölf Blöcke aufgeteilt. Und jeder | |
davon bietet Stoff genug, um wochen- oder jahrelang über gesellschaftliche | |
und politische Konsequenzen zu streiten. | |
## Anschluss an die Zukunft verpasst? | |
Vom Datenschutz über das Urheberrecht, vom Verbraucherschutz über | |
Sicherheit bis zu Bildung, Demokratie und der Frage, wer eigentlich im Netz | |
regiert oder reguliert, reichten die Fragen. „Ich glaube, dass die | |
Digitalisierung die nächste große Revolution nach der Industrialisierung | |
ist“, sagt der SPD-Abgeordnete Lars Klingbeil. | |
Eigentlich ist er Spezialist für Verteidigungspolitik, kämpft in | |
Niedersachsen, fernab der Internetstartups von Berlin, um seinen Wahlkreis. | |
Dort geht es meist um Biogasanlagen, um Kasernenstandorte – aber auch um | |
schnelle Internetzugänge und den Anschluss an die Zukunft, den die Wähler | |
haben wollen. Die besseren Zugänge zum Internet fordert auch die | |
Enquete-Kommission, und hat dazu Vorschläge unterbreitet, wie das auch auf | |
dem Land funktionieren soll. | |
Den Anschluss an die Zukunft zu verpassen – davor haben die Abgeordneten im | |
Bundestag Angst gehabt, als die Enquete-Kommission eingesetzt wurde. Sie | |
hatten sich in der Vergangenheit mit mangelnder Expertise und allzu | |
einfachen Rezepten fernab ihrer eigenen Lebenswirklichkeit oft blamiert – | |
nicht zuletzt vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das viele | |
internetbezogene Gesetze teilweise kassierte. | |
## Datenschutz für gut befunden | |
Zu Beginn der Enquete-Kommission war das Medieninteresse groß, als sich | |
Abgeordnete und Sachverständige zum Beispiel über den Datenschutz stritten. | |
Wie könnten die Sprecherin das Chaos Computer Club, Constanze Kurz und der | |
Abgeordnete Reinhard Brandl von der CSU bei Themen wie der | |
Vorratsdatenspeicherung zusammenfinden? | |
Kurzum: Sie haben es nicht geschafft. Aber sie mussten es auch nicht, denn | |
eine Enquete-Kommission trifft keine Entscheidungen, sondern berät. | |
Der Datenschutz wurde in seiner Struktur für gut befunden, festgestellt | |
wurde jedoch, dass mit der Digitalisierung mehr Daten entstehen und | |
verarbeitet werden – und aus den 1980ern stammenden Gesetze kaum für | |
internationale Datenverarbeiter wie Facebook funktionieren. | |
## „Wir sind noch da, die Piraten nicht mehr“ | |
Auch manche Mechanismen im Urheberrecht, wie die verbreiteten Abmahnungen, | |
wurden von der Enquete-Kommission für schlecht befunden und Reformen | |
angemahnt. Bei vielen Forderungen ging die Kommission über das hinaus, was | |
der Bundestag als notwendig erachtet. Jeder Schüler solle einen Laptop oder | |
einen Tablet-PC bekommen, forderten die Mitglieder. Dass das allein kein | |
Bildungskonzept ist, ist ihnen klar – aber ohne die richtige Ausstattung | |
wäre digitale Bildung unmöglich. | |
„Wenn Sie an die Historie der Umweltpolitik denken, hat es auch eine Weile | |
gedauert, bis wirklich jeder und jede Abgeordnete verstanden haben, was | |
Umweltpolitik bedeutet“, sagt Axel Fischer. Er leitete drei Jahre lang die | |
Enquete-Kommission, war kein Netzexperte und traf zu Beginn der Legislatur | |
ein Fettnäpfchen, als er ein [2][„Vermummungsverbot im Internet“] forderte. | |
Die Enquete-Kommission stellt nun fest, dass Anonymität und Pseudonymität | |
auch im Internet für demokratische Gesellschaften unverzichtbar sind – | |
obwohl dies oft auch zu weniger schönen Effekten wie in den Kommentaren auf | |
taz.de führen kann. | |
Die Mitglieder der Kommission fordern nun einen ordentlichen Ausschuss, der | |
das Thema auch im parlamentarischen Alltag angemessen berät. Dazu möchten | |
sie einen entsprechenden Vertreter in der Bundesregierung. Der | |
SPD-Abgeordnete Klingbeil sagt: „Wir sind noch da, die Piraten nicht mehr.“ | |
Das wird im Herbst zwar nicht für alle Mitglieder der Enquete-Kommission | |
zutreffen. Die Themen werden den Bundestag aber auf jeden Fall weiter | |
beschäftigen. Denn anders als in der Umweltbewegung gibt es kaum jemanden, | |
der ernsthaft ein Abschalten fordert. | |
18 Apr 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bundestag.de/internetenquete/ | |
[2] /!61277/ | |
## AUTOREN | |
Falk Steiner | |
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