# taz.de -- Regisseurin über Migration aus Afrika: „In der Warteschleife vor… | |
> Regisseurin Miriam Faßbender begleitete zwei Männer aus Mali auf dem Weg | |
> nach Europa. Ihr Dokumentarfilm „Fremd“ läuft nun im Kino. | |
Bild: Viele Hindernisse: Ein sechs Meter hoher Stacheldrahtzaun umgibt die span… | |
taz: Frau Faßbender, Sie zeigen in Ihrem Dokumentarfilm „Fremd“ Menschen, | |
die sich in Mali auf den Weg machen, um nach Europa zu kommen. Der Film | |
ist, wie diese Bewegung auch, ein Langzeitprojekt geworden. Wie weit reicht | |
es zurück? | |
Miriam Faßbender: 2005 war ich in Marokko, weil ich bei einem Filmprojekt | |
von Shirin Neshat als Kamersassistentin gearbeitet habe. Das war gerade die | |
Zeit, als es diese Anstürme auf die Zäune der spanischen nordafrikanischen | |
Exklaven Ceuta und Melilla gab. Dabei wurden auch Menschen erschossen. In | |
Casablanca habe ich drei Migranten kennengelernt, und da ist in mir der | |
Wunsch entstanden, ihnen eine Stimme zu geben. Die Medien haben damals | |
größtenteils von anonymen Massen berichtet, wenn es um Migranten ging, die, | |
damals noch, wenn aus Afrika kommend, vor allem über den Arm von Gibraltar | |
und die Kanaren versuchten, nach Europa zu kommen. | |
Wie haben Sie Ihre Protagonisten gefunden? | |
Ursprünglich wollte ich vier Leute zeigen, darunter auch jemanden, der | |
umgedreht ist und wieder zurückkommt, und auf jeden Fall auch eine Frau. Da | |
musste ich aber zuerst einmal die Schlepper loswerden, die mir jede Menge | |
Kontakte aufdrängten. Mohamed, der mich drei Wochen lang ständig versetzt | |
hat, ist schließlich deswegen ins Zentrum gerückt, weil er eine | |
zwiespältige Position eingenommen hat. Er wäre im Grunde lieber | |
dageblieben, wenn er eine Chance gesehen hätte. Aber er musste im Auftrag | |
der Familie aufbrechen. Und so hat sich auch mein Konzept verändert, denn | |
ursprünglich wollte ich nur in Mali drehen. Dann bot sich aber die | |
Möglichkeit, Mohamed in Algerien wiederzutreffen. Für die Strecke | |
dazwischen habe ich ihm und seinen Begleitern Kameras mitgegeben. Damit | |
haben sie selbst gedreht. | |
Später habe ich pro Transitland einen Migranten gesucht, dessen Schicksal | |
stellvertretend die Situation der Migranten im jeweiligen Land beschreiben | |
würde. | |
Die Stadt Gao im Norden von Mali, in der Sie damals drehten, wurde danach | |
von Islamisten besetzt, inzwischen ist sie wieder befreit worden. Wie | |
stellte sich für Sie die Situation dar? | |
Wir waren im Dezember 2006 dort, das ist eine ganze Weile her. Als ich die | |
Drehgenehmigung beantragte, hat die Botschafterin persönlich mit mir | |
gesprochen: Sie wollte sicherstellen, dass ich Mali nicht als ein armes | |
Land darstelle. Als wir dann dort waren, war es vor allem wichtig, nicht | |
deutlich zu machen, dass wir uns vor allem für die Migranten | |
interessierten. Die Leute wollten nicht, dass Gao als Transitort erscheint. | |
Mohamed ist Muslim, wirkt aber nicht sehr religiös. | |
Er ist gläubig, aber er nimmt das nicht so ernst. In Algerien und Marokko | |
ist es von Nutzen für ihn, Muslim zu sein. Leute aus Mali haben dort einen | |
besseren Stand als Leute aus Kongo oder Zentralafrika, weil es eben das | |
Bindeglied des Islam gibt. Muslime kennen ja eine ausgeprägtere | |
Nächstenhilfe. Die Migranten werden dadurch zum Teil unterstützt. | |
Größtenteils herrscht in Nordafrika aber doch enormer Rassismus, was wohl | |
vor allem damit zu tun hat, dass auch diese Länder sehr arm sind, und | |
damit, dass die Geschichte der arabischen Kolonisation Afrikas ebenso | |
grausam ist wie die der Europäer und diese sich in Verhaltensweisen der | |
Nordafrikaner gegenüber den subsaharischen Afrikanern immer noch | |
widerspiegelt. | |
Was an „Fremd“ besonders überrascht, ist die Dauer dieser Bewegung nach | |
Norden. Immer wieder müssen die Migranten auf eine improvisierte Weise fast | |
„sesshaft“ werden. | |
Die große Erkenntnis für mich in Mali war die Tatsache, dass die Leute dort | |
anders planen als wir. Sie sind jahrelang unterwegs und hängen wie in | |
Warteschleifen vor Europa fest. Sie fahren nicht erst los, wenn die Reise | |
ausfinanziert ist, wie wir das wohl machen würden. Sie haben von mir aus | |
100 Euro, kommen damit gerade einmal über die Grenze, müssen ja auch die | |
Grenzposten schmieren, und hängen dann in Südalgerien fest. Wenn sie das | |
Geld und die Bemühungen in ihrem Land investieren würden, wer weiß, was | |
daraus würde? Aber es ist schwierig, diesen Vergleich zu machen. | |
War es schwierig, als Frau in diesen Gegenden zu arbeiten? Sie waren ja | |
phasenweise allein. | |
Dass ich allein war, nachdem mein Tonmann ausfiel, erwies sich schließlich | |
eher als ein Vorteil. Es kam mir auch entgegen, dass ich nicht sofort als | |
Europäerin zu erkennen bin. Nach Adrar in Südalgerien bin ich geflogen, | |
weil ich auf dem Landweg nicht durchkam. In dem Viertel, in dem Mohamed | |
war, gab es eine Autowerkstatt, an der ich abgeholt werden sollte. Der | |
Taxifahrer war ziemlich entsetzt, als ich ihm diese Adresse nannte. Es kam | |
dann aber tatsächlich ein „Foyer-Chef“, wie das dort genannt wird, und | |
brachte mich zu den Migranten. Es wurde ein Zimmer geräumt, und ich bin | |
dageblieben. Dadurch, dass ich schon drei Wochen in Gao gewesen war und | |
jetzt wie angekündigt wiedergekommen war, stieg meine Glaubwürdigkeit. Ich | |
habe auch für sie gekocht, das hat Vertrauen geschaffen. Die Männer sind | |
zum Teil nachts vor die Tür gegangen, ich konnte gar nicht raus. Einmal kam | |
die Polizei, da musste ich abhauen und über die Dächer klettern. Dort | |
musste ich darauf vertrauen, dass jemand anderer die Kamera nachbringen | |
würde, das war dann auch so. | |
Die lange Dauer der Dreharbeiten (über drei Jahre hinweg) hat enorm | |
geholfen, Vertrauen zu bekommen. Ohne Mohamed wäre ich auch nie an diese | |
Un-Orte an der algerisch-marokkanischen und der europäischen Grenze | |
gekommen. Zudem habe ich immer wieder einen aktuellen Rohschnitt an die | |
jeweiligen Drehorte mitgebracht. | |
Vermutlich waren Sie häufig in Sorge um das gedrehte Material? | |
Wo es ging, habe ich das Material abends immer an einem neutralen und | |
sicheren Ort hinterlassen, in Algerien war das beim Goethe-Institut, in | |
Marokko bei einer NGO. Aber im Süden Algeriens ging das nicht. Da hatte ich | |
zehn Stunden Material dabei. Einmal wurde ich in einem Bus von der Polizei | |
rausgezogen. In dieser Situation habe ich beim Durchspulen der Kassetten | |
versucht, das so zu manipulieren, dass sie nichts Problematisches sehen. | |
Drei Kassetten habe ich trotzdem verloren. In Mali und im Süden Algeriens | |
habe ich die Kassetten zum Teil in Kühltaschen verpackt unter der Erde im | |
Sand vergraben, weil es häufig keine andere Möglichkeit gab, sie vor | |
eventueller Polizei oder Schleppern und auch vor der Hitze zu schützen. | |
Haben Sie jetzt noch Kontakt zu Mohamed? | |
Im Moment habe ich mit Mohamed keinen Kontakt. Er lebt jetzt in Mopti, | |
südwestlich von Gao, arbeitet als Busfahrer und schickt Geld nach Hause. Er | |
lebt nicht in seinem Heimatort Markala, weil ihm das immer noch unangenehm | |
ist, dass er es nicht geschafft hat. Mein Protagonist aus Kamerun ist in | |
Frankreich, ihm geht es schlecht. Er hat zwar jetzt die Möglichkeit, eine | |
Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, aber er hat keine Arbeit. Er sagt zwar, | |
er hätte das gewusst, dass es schwierig ist. Aber er hat es schon | |
unterschätzt. Viele Migranten hören eben doch vor allem auf die Geschichten | |
von Leuten, die ein bisschen was geschafft haben. Und es sind auch viele | |
falsche Informationen im Umlauf. Annahmen über die sozialen Systeme machen | |
die Runde, die nicht zutreffend sind. | |
Vor dem Gesetz gelten Ihre Protagonisten als Wirtschaftsflüchtlinge. Sie | |
haben also keinerlei Chance auf eine legale Aufnahme. Sollte man die | |
Grenzen öffnen? | |
Ich finde schon. Wenn man die Grenzen aufmachen würde, würde sich das | |
meiner Meinung nach von selber regeln. Natürlich würden mehr Menschen | |
wandern als bisher, aber ich halte es für wahrscheinlich, dass langfristig | |
die Leute sich auch wieder in ihre Länder begeben würden. Grundsätzlich | |
finde ich, dass selbst Asylwerber zu stark außen vor gehalten werden. Ich | |
finde nicht, dass Europa es sich leisten kann, sich so abzuschotten, schon | |
gar nicht angesichts unserer ausbeuterischen Vergangenheit. | |
25 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Bert Rebhandl | |
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