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# taz.de -- Filmemacher über Kamerun: „Der Präsident ist im Paradies“
> Zensur, Repression, kaum Filme: Warum es sich trotzdem gerade jetzt
> lohnt, für das Kino zu kämpfen. Ein Gespräch mit dem Filmemacher
> Jean-Pierre Bekolo.
Bild: „Der Präsident in Kamerun ist der Anfang und das Ende von allem, der F…
In seinem neuen Film „Le Président“ erzählt Jean-Pierre Bekolo die fiktive
Geschichte eines amtsmüden Regierungschefs in einem Land, in dem das Leben
stagniert. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind beabsichtigt: „Le
Président“ ist eine Parabel auf die Verhältnisse in Kamerun, das seit 1982
von Paul Biya regiert wird. Obwohl der Film erst einmal öffentlich gezeigt
wurde – im Februar am Rande des Fespaco-Festivals in Ouagadougou –, hat
sich um ihn eine Spirale von Gerüchten und Zensurversuchen entwickelt.
Ende März eskalierte die Situation in der Entführung und Folter von Richard
Djimili, einem jungen Kameruner Filmemacher, der bereits 2009 eine ähnlich
gelagerte Filmsatire gedreht hatte. Die Aktion geht offenbar auf das Konto
des Geheimdienstes und wird von Beobachtern als Signal gewertet, dass das
Ende der Ära Biya mit verstärkter Repression einhergehen könnte.
taz: Herr Bekolo, Sie wollten mit dem Film „Le Président“ in Ihrem Land
eine Debatte anstoßen. Nun haben Sie es für ratsam gehalten, sich für eine
Weile aus der Schusslinie zu nehmen. Was ist geschehen?
Jean-Pierre Bekolo: Als ich vom Fespaco-Festival nach Kamerun zurückkam,
hatte ich schon gehört, dass es eine gewisse Aufregung um den Film gegeben
hatte. Dennoch, vielleicht naiv, habe ich als Nächstes einige informelle
Vorführungen organisiert, um den Film mit Freunden und Journalisten zu
diskutieren. Dabei stellte ich fest, dass viele Leute Angst hatten, sich
ihn auch nur anzusehen! Der Film wurde zu einer Sache, über die überall
geredet wurde, auf die sich aber keiner richtig einlassen wollte. Das war
unheimlich, aber auch interessant. „Le Président“ rührt offenbar an ein
Tabu: das Tabu, sich den Tag vorzustellen, an dem das Regime seine Macht
verliert.
Der Film rotiert um diese Fantasie eines Machtvakuums und nutzt sie, um
konkrete Fragen zu stellen nach der Ethik der Macht und nach sozialer
Gerechtigkeit. Mir scheint, dass Sie wussten, worauf Sie sich dabei
einlassen. Haben die heftigen Reaktionen Sie dennoch überrascht?
Man muss verstehen, dass der Präsident in Kamerun der Anfang und das Ende
von allem ist, der Fixpunkt der Macht, und zwar seit über 30 Jahren. Die
eigentlich ganz normale Vorstellung, dass der Präsident eines Tages nicht
mehr da ist, die „Le Président“ in den Raum stellt, gilt daher schon als
Angriff auf die Stabilität des Staatsgefüges. Mich überraschte jedoch, dass
eine Fiktion mehr Ängste evoziert, als die Darstellung von Fakten. Ich habe
mir nicht klargemacht, dass ich mit meiner Parabel an eine lange
afrikanische Erzähltradition rühre, in der Symbolen und Vorzeichen eine
große Macht zukommt. Es gibt im Film zum Beispiel eine Szene, in der der
Präsident seine Exfrau besucht. Ein etwas surreal agierender
Fernsehreporter kommentiert dieses Ereignis mit dem Satz: „Der Präsident
besucht seine verstorbene Frau im Paradies.“ Das hat die Leute offenbar
sehr irritiert. Denn es scheint zu suggerieren, dass der Präsident eine
Reise ins Totenreich unternimmt und also selber bereits tot ist.
Sie zeigen in Ihrem Film einen Präsidenten, der einen Ausweg sucht. Er ist
ratlos, nicht skrupellos. Und er wird nicht durch Massenproteste gestürzt,
sondern er verschwindet einfach über Nacht aus seinem Palast. Warum ist der
Präsident der Protagonist Ihrer Geschichte und nicht etwa ein
revoltierendes Volk?
Die tagline meines Films lautet: „Wann weiß man, dass es Zeit ist, zu
gehen?“ Einige afrikanische Länder werden von Leuten regiert, die einfach
nicht gehen wollen und ihre Gesellschaften in einer Art Geiselhaft gefangen
halten. Die sollten sich mal diese ganz menschliche Frage stellen: „Wann
ist der richtige Zeitpunkt, um abzutreten?“ Es ging mir nicht darum, einen
schlechten Präsidenten zu zeigen, sondern einen Menschen, der sein Leben
befragt. Ich wollte den Präsidenten nicht verurteilen, sondern ihm, wenn
man so will, den Ball zuspielen. Er ist am Zug. Ich glaube, der Präsident
verkörpert einen Kompromiss, den jeder mit sich selber geschlossen hat.
Der Kompromiss besagt: „Wir wissen alle, dass es in Kamerun eine Menge
Probleme gibt, die dieser Präsident nicht mehr lösen wird. Lasst uns aber
einstweilen keine Fragen stellen. Er soll noch seine Jahre absitzen und
dann kümmern wir uns um all die Probleme.“ Natürlich spricht das keiner in
dieser Form aus. Man hat ja schon das Gefühl etwas Verbotenes zu sagen,
wenn man bei Sonnenuntergang prophezeit, dass die Sonne am nächsten Morgen
wieder aufgehen wird. Wir haben uns in dieser Selbstverleugnung
eingerichtet, und ich glaube, dass das Kino hier neue Horizonte aufreißen
muss, bevor es zu spät ist. Meistens kommt das Kino ja erst mit Verspätung
zum Zug und rekapituliert, was geschehen ist. Ich finde aber, das Kino muss
jetzt, in der Gegenwart, wirksam werden.
Aber in Kamerun – wie in vielen anderen afrikanischen Ländern – gibt es das
Kino als physischen Raum ja kaum mehr. Wie steht es um die Macht des Kinos
in einem Land, in dem es keine Kinos gibt?
Stimmt, in Kamerun gibt es derzeit kein einziges Kino. Der einzige Raum, in
dem regelmäßig Filme gezeigt werden, ist das französische Kulturinstitut in
Yaoundé. Ich habe versucht, meinen Film dort zu zeigen. Es gab auch schon
eine Zusage, die wurde dann allerdings auf Betreiben des französischen
Botschafters zurückgezogen. Begründung: Die Vorführung des Films bedeute
eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Kameruns. Okay, was macht
man als Filmemacher in einem Land ohne Kinos? Ich denke, dass man genau das
machen sollte, was ich gemacht habe, nämlich Filme, die ein derartiges
Interesse generieren, dass allein ihretwegen wieder Kinos entstehen. Die
Leute in Kamerun wollen den Film jetzt sehen, aber derzeit ist dort auch
kein Fernsehsender bereit, ihn zu zeigen.
Aber was ist mit Canal Plus Afrique, die „Le Président“ ja immerhin mit auf
den Weg gebracht haben. Gab es nicht den Plan, den Film möglichst bald nach
Fertigstellung über französisches Satellitenfernsehen auszustrahlen und
damit diese ganzen Probleme zu umgehen?
Tja, Canal Plus Afrique scheint auch von dieser merkwürdigen Angst befallen
zu sein, sich zum Komplizen von etwas Gefährlichem zu machen. Sie haben mir
gesagt, sie halten den Film derzeit für „zu politisch“ und wollen ihn nicht
programmieren. Wir reden also über einen Film, den noch kaum jemand gesehen
hat, der aber allen Angst zu machen scheint. An dieser absurden Situation
sieht man nicht nur, wie wirksam die Selbstzensur und der vorauseilende
Gehorsam sind, sondern man kann darin auch die Zwangslage erkennen, in der
afrikanische Filmemacher stecken. Auf der einen Seite ist es äußerst
schwierig, unsere Filme überhaupt finanziert zu bekommen, auf der anderen
Seite werden wir schon im Voraus geknebelt, was die Inhalte unserer Arbeit
angeht.
Die liberale Presse in Frankreich hat die Intervention des französischen
Botschafters gegen die Vorführung des Films im Institut Français
kritisiert. Das Argument: Da Sie einen französischen Pass haben, hätten Sie
ein Anrecht auf diese Vorführung gehabt.
Ich bin offenbar nicht französisch genug. Der Botschafter hat mich nicht
als Franzosen behandelt, sondern als Kameruner. Er weiß natürlich, dass ich
Franzose bin, aber er wollte mich an „meine“ Regierung verweisen. Er
forderte, dass ich mir eine Genehmigung der Kameruner Zensurbehörde
besorge, wo doch das französische Kulturinstitut in Yaoundé gerade das
Privileg genießt, Filme auch ohne eine solche Genehmigung zeigen zu dürfen.
Er akzeptiert also die Zensur in Kamerun, was er in Frankreich nie
akzeptieren würde. Auch darum geht es in meinem Film: um eine soziale
Krise, eine Krise der Demokratie. Es geht um universelle Werte wie soziale
Gerechtigkeit und künstlerische Freiheit, bei denen man nicht mit zweierlei
Maß messen sollte.
Wann wollen Sie nach Kamerun zurückkehren?
Ich habe lange gezögert, überhaupt auszureisen. Als Richard Djimili
entführt wurde, habe ich im Radio dazu Stellung bezogen und gefordert, dass
die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Aber es ist nicht
sicher, wer die Täter waren, und die Regierung verweigert bis heute
jegliche Stellungnahme dazu. Ich habe die Konfrontation gesucht, aber die
Unsichtbarkeit des Gegners produziert Angst. Und darum geht es, glaube ich,
derzeit in Kamerun: Angst zu verbreiten in der Gesellschaft, denn wir
befinden uns in der Schlussphase dieser Präsidentschaft und es ist unklar,
wie es danach weitergeht. Ich wollte nicht, dass es aussieht, als hätte ich
der Angst nachgegeben und sei abgehauen. Die Angst sollte die Seiten
wechseln: Diejenigen, die versuchen, uns allen Angst einzujagen, sollten
das Zittern bekommen, nicht diejenigen, die einfach ihre Arbeit machen.
Was haben Sie nun vor mit dem Film? Immerhin eines haben die Vorgänge ja
bewiesen: dass ein Film durchaus eine machtvolle Rolle spielen kann.
Das stimmt. Das Wichtigste ist nun, dass alle, die den Film sehen möchten,
ihn auch sehen können. Bislang konnten sie das nicht, aber wir wissen ja,
dass es unter den digitalen Bedingungen schwerfallen dürfte, ihn der
Öffentlichkeit lange vorzuenthalten. Was ich ja auch gar nicht will! Ich
möchte, dass anerkannt wird, dass ich Filmemacher bin und keine versteckte
Agenda habe. Ich kämpfe für das Kino, weil das Kino in unserem Land eine
wichtige Rolle spielen kann. Und deshalb wird auch alles daran gesetzt, uns
daran zu hindern, Kino zu machen. Sie wollen den Menschen den Traum
austreiben, für den das Kino steht: sich vorzustellen, dass die Dinge
anders sein können, als sie aktuell sind.
***
„Le Président“ wird am 13. Juni um 18 Uhr in Anwesenheit von Jean-Pierre
Bekolo im Kino Arsenal in Berlin zu sehen sein. Tobias Hering ist freier
Filmkurator und Journalist sowie Mitorganisator dieser Veranstaltung.
2 Jun 2013
## AUTOREN
Tobias Hering
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