# taz.de -- Filmfestival zum Thema Zensur: Vielsagende Verbote | |
> Die Filmgeschichte steckt voller Filme oder Sequenzen, die der Zensur zum | |
> Opfer gefallen sind. Berühmte Beispiele zeigt nun das Hamburger Cinefest. | |
Bild: Erst verboten wegen "unzüchtiger Darstellungen", dann rehabilitiert als … | |
HAMBURG taz | Die Zensur ist ein aufschlussreicher Vorgang, verrät sie | |
doch, welche Dogmen und Meinungen in anderen Ländern und zu anderen Zeiten | |
vorherrschten. Verbote verraten viel. Deshalb lohnt es sich, Filme | |
anzusehen, die in der Zeit des Nationalsozialismus oder in den prüden | |
1950er-Jahren oder auch im heutigen Iran und China verboten oder verändert | |
wurden. Über zwanzig berühmte Zensurfälle der Filmgeschichte werden nun auf | |
dem Festival [1][Cinefest] vorgestellt, das vom 16. bis zum 24. November im | |
Hamburger Kommunalen Kino Metropolis stattfindet. | |
Viele dieser Tabus wirken aus der Distanz absurd. So lief etwa der Film | |
„Früchte des Zorns“ von John Ford eine Zeitlang in den Kinos des | |
stalinistischen Russlands der 40er-Jahre, weil er von den unterdrückten | |
Arbeitern in den USA erzählt. Doch bald wurde er doch verboten, weil in ihm | |
auch zu sehen war, wie selbst die ärmsten von ihrem Land vertriebenen | |
Bauern mit ihren eigenen Autos von Oklahoma nach Kalifornien fuhren. | |
Seltsam wirkt heute auch, dass der größte Tabubruch in „Psycho“ nicht etwa | |
die Perversitäten von Norman Bates waren, sondern darin bestand, dass | |
Hitchcock in einem Film aus Hollywood eine Toilette zeigte. | |
Organisiert wird das Cinefest vom Hamburger Zentrum für Filmforschung | |
[2][Cinegraph], das seit 1984 das „Lexikon zum deutschsprachigen Film“ als | |
Loseblattsammlung herausgibt. Zusammen mit dem Bundesarchiv-Filmarchiv | |
Berlin organisiert es diese Veranstaltung jedes Jahr im November. | |
Konzipiert ist das Cinefest als ein Forum für Cineasten, | |
Filmwissenschaftler und Archivare. Dadurch, dass die Filme im Rahmen eines | |
Festivals gezeigt werden, wird vermieden, dass die Veranstaltung zu | |
akademisch wird. Das Hauptprogramm läuft im Metropolis Kino, wobei jeweils | |
Sachverständige oder Zeitzeugen Einführungen geben. | |
Im Idealfall sprechen dort die Betroffenen selber über das Schicksal ihrer | |
Filme. So erzählt etwa der Regisseur Peter Fleischmann vor der Vorführung | |
seines Films „Dorotheas Rache“ davon, wie dieser 1974 vom Amtsgericht | |
Hamburg wegen der „Verbreitung unzüchtiger Darstellungen“ beschlagnahmt | |
wurde. In der nächsten Instanz hatte der Richter dann einen weiteren | |
Horizont, erkannte die Sexfilm-Parodie als „Anti-Porno“ und gab den Film | |
wieder frei. | |
## Zu viel Idealismus | |
Gleich mehrere Künstler aus der ehemaligen DDR werden darüber berichten, | |
warum ihre Werke mit einem Vorführungsverbot belegt wurden. Die | |
Schauspielerin Jutta Hoffmann spielte 1965 in dem Film „Karla“ von Herrmann | |
Zschoke die Titelrolle einer wohl zu idealistischen jungen Lehrerin und ist | |
ebenso zu Gast wie die Regisseurin Iris Gusner, deren Debütfilm „Die Taube | |
auf dem Dach“ von 1972 zwar vom DEFA-Studio produziert wurde, dann aber | |
nicht in die Kinos kam. | |
Der älteste Film im Programm ist Reinhold Schünzels Stummfilm „Das Mädchen | |
aus der Ackergasse“ von 1919/20, der als klassischer „Sittenfilm“ von dem | |
Verhältnis von einem weltfremden Professor und einem jungen Mädchen | |
erzählt. Der Film lief drei Jahre lang unbeanstandet in den Kinos, wurde | |
dann aber doch noch von einer Prüfstelle der Weimarer Republik wegen seiner | |
„entsittlichenden Wirkung“ verboten. | |
Der berühmteste verbotene Film dieser Zeit war wohl Eisensteins | |
„Panzerkreuzer Potemkin“ der eine Zeitlang in Deutschland wegen „Gefährd… | |
der öffentlichen Sicherheit“ verboten wurde. Der Stummfilm wird in einer | |
gekürzten Nadeltonfassung von 1930 mit der Originalmusik von Edmund Meisel | |
aufgeführt und zu seinen vielen Zensur- und Verbotsverfahren im Deutschland | |
der 20er- und 30er-Jahre wird die DDR-Dokumentation „Potemkin frei“ von | |
1974 gezeigt. | |
Für die vielen Filme, die gleich nach der Machtübernahme durch die | |
Nationalsozialisten wegen ihrer „kommunistischen, sexuellen oder | |
pazifistischen Tendenz“ aus den Kinos entfernt wurden, steht der | |
Antikriegsfilm „Die andere Seite“ von Heinz Paul auf dem Programm. | |
## Protest der Katholiken | |
Natürlich wurde 1932 in Deutschland auch der Skandalfilm „Ekstase“ mit den | |
Nacktszenen von Hedy Lamarr wegen „gröbster Spekulation auf niedrigste | |
Instinkte“ verboten. Noch 1950 gab es bei den Aufführungen in den Kinos | |
Tumulte von katholischen Jugendgruppen. | |
Aber es gibt auch subtilere Arten der Filmzensur als das Vorführungsverbot. | |
Oft werden schon beim Drehbuch Änderungen gefordert oder Sequenzen aus den | |
fertigen Filmen herausgeschnitten. Manchmal wird auch bei der | |
Synchronisation verstümmelt, und als eines der bekanntesten Beispiele dafür | |
wird „Casablanca“ von Michael Curtiz in der deutschen Fassung von 1952 | |
gezeigt. Darin ist jeder Hinweis auf Nazis und Flüchtlinge aus | |
Nazideutschland getilgt und aus dem Widerstandskämpfer Victor Laszlo wurde | |
der Erfinder von gefährlichen „Deltastrahlen“. | |
Dass ein Filmverbot auch eine Chance für den Regisseur bedeuten kann, zeigt | |
die Zensurgeschichte von „Der Feuerwehrball“ von Milos Forman. Die Satire | |
über einen Jahresball der freiwilligen Feuerwehr in einem tschechischen | |
Dorf lief für drei Wochen in den einheimischen Kinos und wurde nach der | |
Niederschlagung des Prager Frühlings sofort „für immer verboten“. Francois | |
Truffaut sicherte sich danach die Rechte am Film, der nach einer Aufführung | |
auf dem New York Filmfestival ein Erfolg wurde. Forman siedelte in die USA | |
über und begann dort seine internationale Karriere. | |
Als ein kurioses Beispiel von Selbstzensur wird schließlich „A Clockwork | |
Orange“ gezeigt. Regisseur Stanley Kubrick war sehr erschrocken von der | |
Wirkung seines Filmes, in dem Malcolm McDowell den sadistischen Gewalttäter | |
einer Jugendgang so charismatisch verkörperte, dass Nachahmungstaten | |
befürchtet wurden. Kubrick selbst verbot dann in Großbritannien jede | |
öffentliche Aufführung des Films für 25 Jahre. | |
## Cinefest – Internationales Festival des deutschen Film-Erbes: 16.–24. | |
11., Hamburg | |
14 Nov 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.cinefest.de/ | |
[2] http://www.cinegraph.de/ | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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