# taz.de -- Film aus dem Iran über Autofahren: Sogar die Zensur ist ratlos | |
> In „Modest Reception“ schickt Mani Haghighi Mann und Frau mit Beuteln | |
> voller Geld ins Hinterland. Wer darin eine Allegorie sucht, kommt nicht | |
> weit. | |
Bild: Leyla und Kaveh sind in einer abgelegenen Grenzregion des Iran unterwegs. | |
Was man mit Bestimmtheit sagen kann: Die beiden haben einen Kofferraum | |
voller Geld. Die beiden, das sind eine Frau namens Leyla (Taraneh | |
Alidoosti) und ein Mann namens Kaveh (Mani Haghighi). Ihr genaues | |
Verhältnis zueinander, Liebende, Geschwister, Geschäftspartner, bleibt | |
unklar, sie behaupten mal das eine, mal das andere. | |
Leyla und Kaveh sind in einer abgelegenen Grenzregion des Iran unterwegs, | |
im noblen, wenngleich zusehends eingestaubten Lexus, in dessen Kofferraum | |
das Geld ist. Ihre Aufgabe: das Geld zu verteilen. Das ist gar nicht so | |
einfach. Es gibt ein paar Regeln: Jeder Empfänger bekommt nur einen der | |
Plastikbeutel, ein Foto oder ein mit dem Handy aufgenommener Film soll die | |
Übergabe bezeugen. | |
Wo das Geld herkommt? Eher unklar. Die beiden versichern, es sei nicht | |
geklaut. Im Hintergrund ist eine weitere Person, eine Frau, die | |
gelegentlich anruft. Sie gewinnt aber nicht wirklich Konturen. Was die | |
Geldverteilung bezweckt? Wer weiß. Dem einen erzählen sie dies, dem anderen | |
das. Auch untereinander sind sie alles andere als einig. Keineswegs führen | |
sie nur Gutes im Schilde. | |
Die Übergabe der Beutel wird ad hoc an Bedingungen geknüpft. Zwischen zwei | |
Brüder treibt Kaveh einen Keil, indem er den einen auf den Koran zu | |
schwören verpflichtet, seinem Bruder unter keinen Umständen etwas vom Geld | |
abzugeben. Einen Mann, der ein Grab für sein Kind gräbt, bringt Kaveh mit | |
dem Geld dazu, das Kind unbegraben zu lassen. | |
## Wilde Geschichten, Flucht, Abtreibung | |
Andere verunsichern sie mit wilden Geschichten, Flucht, Abtreibung, | |
sterbendes Kind. Man ist geneigt, das alles, schon weil es in einem vagen | |
Niemandsland spielt, allegorisch zu nehmen. Nur: Wie man es dreht und | |
wendet, es geht nicht in eindeutigen Lesarten auf. | |
Dass man die Leute, die alle arm sind, mit Geld verführen und sogar von | |
Dingen abbringen kann, die ihnen wichtig und nah sind, für diese schlichte | |
Erkenntnis wäre der erzählerische Aufwand arg groß. Um das, als | |
Kapitalismus- oder Gesellschafts- oder Sonstwaskritik lesen zu können, | |
fehlt es an Adressierbarkeit. | |
In wessen Auftrag, und das heißt auch: im Auftrag welcher Bedeutung, Leyla | |
und Kaveh unterwegs sind, ob sie ein auf Abwege geratenes Gutes oder ein | |
Gutes tuendes Böses verkörpern, darauf gibt es keine Antwort. Auch die | |
iranische Zensurbehörde war ratlos. Regisseur Mani Haghighi erzählt, dass | |
er tagelang mit ihr gerungen habe. Am Ende musste er nicht mehr als sechs | |
Sekunden kürzen. | |
Bleibt also der Versuch einer filmhistorischen Verortung. Unübersehbar | |
steckt „Modest Reception“ voller Anklänge an das Werk des inzwischen nicht | |
mehr im Iran drehenden Abbas Kiarostami, von der endlosen Autofahrerei | |
durch sich windende Straßen bis zum schlechten Handyempfang. | |
## Ins Absurde gedreht | |
Wo aber bei Kiarostami Bedeutungen bei großer realistischer Konkretion opak | |
bleiben, ist hier alles immer schon ins Absurde gedreht. Das war schon | |
ähnlich bei Haghighis nach einer Story-Idee von Kiarostami entstandenem | |
Film „Men at Work“ (2006), in dem eine Gruppe von Männern ohne | |
ersichtlichen Grund einen Felsen von seinem Platz in der Landschaft zu | |
verrücken versuchte. | |
Am weitesten kommt man womöglich, wenn man Haghighis Filme gar nicht erst | |
zu lesen versucht. Was man dann hat, ist eine Folge von Szenen, bei denen | |
man nie weiß, was passiert. Leyla und Kaveh spielen Theater und scheinen | |
ihre Rollen dabei zu improvisieren. Sie überraschen einander, und den | |
Zuschauer auch. Man reimt sich etwas zusammen, der zusammengereimte Sinn | |
wird aber gleich darauf torpediert. Ein Film als Beziehungsarbeit. Es ist | |
von Anfang an nicht einfach und bleibt kompliziert. | |
## „Modest Reception“. Regie Mani Haghighi. Mit Taraneh Alidoosti, Mani | |
Haghighi u. a. Iran 2012, 100 Min. Filmstart: Donnerstag, 27. Juni. | |
27 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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